29.06.2023
Shayna Knittel: Jede Kollektion ist ein Investment ins Image der Branche
Kollektionen bringen kein Geld, dafür aber Schmetterlinge im Bauch, eine gut zahlende Kundschaft und motivierte Mitarbeiter*innen. Letztere bekommen eine Woche plus Urlaub und als Lehrabschluss eine Weiterbildung bei Sassoon geschenkt.
Shayna Knittel ist das „Shy“ hinter dem Zürcher Salonkonzept Shy + Flo, das den Friseurberuf und die Ausbildung auf eine andere Ebene heben will.
Im Gespräch mit Juliane Krammer
Vor kurzem feierte Shy + Flo das 10-jährige Jubiläum. In der Retrospektive: Wie waren die letzten 10 Jahre für dich?
Shayna Knittel: Für uns war unsere Jubiläumsfeier die Bestätigung, dass unsere Spezialität Kunst und Haar zu verbinden, genau der richtige Weg war und ist.
Wie kam es dazu, dass ihr diesen unkonventionellen Weg eines Friseursalons eingeschlagen habt?
SK: Flo und ich hatten vor Kunst zu studieren, sind aber beide in der Hair Industry gelandet. Damals noch unabhängig voneinander, spürten wir, dass es in der Branche sehr viel Potenzial gab und wir uns sehr frei bewegen dürfen.
Aber nun mal ehrlich: Kann man auf diese Weise wirklich Geld verdienen, wenn man seinen Salon auf künstlerische Looks spezialisiert?
SK: Wir trafen einen Nerv. Es lief von Anfang an gut und das ist noch immer so - mit unserer Spezialisierung auf progressive Styles. Dafür kennt man uns – unsere Kundschaft im Salon, aber auch die Fashion-Szene, die uns für Catwalk-Stylings engagiert.
Aber klar, unser Brot ist der Salon, da stecken wir trotz allen Projekten, Shows und Shootings sehr viel Herz rein. Wir zählen uns auch nicht zu einem herkömmlichen Friseur-Geschäft, wir sind hier eher eine kleine Oase. Das macht es für uns leicht, nicht nur Kunden, sondern auch Mitarbeiter zu finden.
"Ich bin nur so gut, wie mein letzter Haarschnitt."
Das klingt fantastisch, Kunst und Haare in einem Salon zu vereinen. Was ist das Rezept für euer Konzept?
SK: Wir sind einfach davon überzeugt, was wir machen und zeigen das in allem, was wir tun. Unsere Messlatte haben wir sehr hochgelegt, uns dabei aber nie mit anderen Friseur-Unternehmen gemessen. Unser Anspruch war immer, mit der Kunstszene mithalten zu können.
Technisch orientieren wir uns sehr an Sassoon. Ich hatte das große Privileg, nach der Lehre in der Schweiz, für ein halbes Jahr eine intensive Weiterbildung bei Sassoon in Los Angeles zu absolvieren. In dieser Zeit durfte ich meine kreativen Fähigkeiten entfalten, neue Techniken erlernen und meine Leidenschaft für das Haarstyling auf ein neues Level bringen. Es war eine wahre Inspirationsquelle und hat meinen Blick auf die Welt des Haardesigns verändert.
Shy + Flo Haarschnitte sind zeitlos technisch, das Styling geht mit dem Zeitgeist. Trotzdem sage ich mir immer: Ich bin nur so gut, wie mein letzter Haarschnitt. Auf den längst vergangenen Lorbeeren ausruhen, ist nicht drin.
"Unser Buchhalter meinte mal, dass wir hier sehr viel Geld in Kollektionen stecken und nichts dabei reinkommt. Ich sehe das anders! ... das Geld für Kollektionen ist ein Investment in unsere Brand und vor allem auch in die Industrie!
Ihr investiert viel Zeit und auch Geld in Kollektionen. Zahlt sich das aus?
SK: Unser Buchhalter meinte mal, dass wir hier sehr viel Geld in Kollektionen stecken und nichts dabei reinkommt. Ich sehe das anders! Es ist eine Werbemaßnahme, denn das Geld für Kollektionen ist ein Investment in unsere Brand und vor allem auch in die Industrie! Mit den Ergebnissen haben wir unseren Ruf, unsere Glaubwürdigkeit und Standards in Stein gemeißelt. Außerdem zieht das unsere Mitarbeiter und auch die Kundschaft an. Klar, kann ich das Geld nehmen und Urlaub machen, mir ein Auto oder Haus kaufen, aber das ist es uns wert.
Wir wollen mehr international erreichen und dafür brauchst du gute Models, Make-up Artists, … das hat seinen Preis. Eine neue Kollektion bereitet Schmetterlinge im Bauch, dieses Gefühl zieht mich dermaßen an, darauf will ich nicht verzichten müssen.
Die Ausbildung läuft auch nach einem anderen Konzept ab, wie wir es sonst von Salons kennen …
SK: Wir haben aktuelle vier Lernende. Schon in der Schnupperwoche wird ein eigener Haarschnitt gemacht. Das Ziel ist, dass sie von Anfang an mit den herausfordernden Techniken in Berührung kommen. Sie bringen ihre eigenen Kunden mit und 20 Franken pro Haarschnitt wird zu ihrem Umsatz im 1. Lehrjar gezählt. Der Umsatz pro Model steigt schrittweise an, bis sie Juniorstylisten sind.
Unsere Lernenden durchlaufen die unterschiedlichsten Themen von Basic- bis Trendtechniken, danach gibt es eine Prüfung und sie bekommen das Shy + Flo Diplom. Wir sind in der privilegierten Position, auch Bewerber ablehnen zu können. Denn Talent muss auf alle Fälle vorhanden sein.
"Wer nur 80% arbeitet, verdient auch weniger. Das verstehen viele nicht."
Ihr habt 6 Tage die Woche geöffnet. Ist die 4-Tage Woche für euch ein Thema?
SK: Aktuell nicht, aber wir merken, dass die Thematik auch bei uns aufschlägt. Man muss offen sein und dem Team auch Freiheiten geben, aber gleichzeitig muss man sagen: Wer nur 80% arbeitet, verdient auch weniger. Das verstehen viele nicht. Da hat sich die Einstellung ein wenig verzerrt. Nichtsdestotrotz sind unsere Leute fokussiert und helfen außerhalb der Ladenzeiten bei kreativen Prozessen mit. Es ist eine Art Teambuilding.
"Unaufgefordert gibt es bei uns nach dem 2. Jahr im Team eine Woche plus Ferien. ... nach erfolgreichem Abschluss ihrer Ausbildung haben die Lernenden die Möglichkeit, eine ... Weiterbildung bei Sassoon in London zu absolvieren.."
Fordern eure Mitarbeiter*innen ein Entgegenkommen in punkto Bezahlung oder Reduktion von Stunden?
SK: Unaufgefordert gibt es bei uns nach dem 2. Jahr im Team eine Woche plus Ferien. Aufgrund des großen Kundenandrangs können Ziele leicht erreicht werden. Wir setzen auf eine hohe Anzahl an Seminaren und nach erfolgreichem Abschluss ihrer Ausbildung haben die Lernenden die Möglichkeit, eine 1-2-wöchige Weiterbildung bei Sassoon in London zu absolvieren. Es ist eine Belohnung für ihren Fleiß und ihr Engagement während der Lehre und ein weiterer Schritt in ihrer beruflichen Entwicklung.
"Der Friseurberuf soll so etabliert sein, wie der des Künstlers, Architekts, Gourmetkochs oder der erfolgreichen Band."
Wie ist das Standing des Friseurberufs in der Schweiz?
SK: In der Schweiz verdienen Friseure mehr als in Deutschland oder Österreich. Wir vergleichen uns aber nicht mit anderen Salons, weil wir ein anderes Konzept verfolgen. Ich weiß aber, dass wir bei Shy + Flo sehr hohe Löhne auszahlen. Das geht über den Mindestlohn weit hinaus. In der Schweiz liegt der Mindestlohn bei 4000 Franken. In unserem Salon steigt das Gehalt jedoch schnell in 400 Franken Schritten an. Das hat folgenden Grund: Der Friseurberuf soll so etabliert sein, wie der des Künstlers, Architekts, Gourmetkochs oder der erfolgreichen Band. Dafür muss man aber viel Geld und Zeit investieren, um am Ende mehr zu verdienen.
Im vergangenen Jahr hast du den Hairdressing Award gewonnen. Bis du 2024 wieder dabei?
SK: Auf jeden Fall! Ich bin wieder bei den Hairdressing Awards mit dabei! Es ist ein großartiges Event, bei dem die gesamte Haarindustrie zusammenkommt, um ihre Kreativität zu entfalten, sich gegenseitig zu inspirieren und viele fantastische Menschen zu treffen. Es ist eine tolle Gelegenheit, Teil dieser lebendigen Gemeinschaft zu sein.
Ich wünsche euch alles Liebe und Gute für die nächsten 10 Jahre Shy + Flo! Danke für deine Zeit!
Über Shy + Flo
Shayna und Florian Knittel waren für Intercoiffeur Kuhn in Zürich tätig und lernten sich Backstage auf Tournee kennen. Das war der Startschuss für die Erstellung von kreativen Looks für die Hairdressing Awards. Shayna, die gebürtige US-Staatsbürgerin ist, wanderte gemeinsam mit Flo in die USA aus. Beide bekamen das Angebot, Partner eines etablierten Zürcher Salons zu werden: So entstand „Shy + Flo“. Nach fünfjähriger Partnerschaft entschlossen sich die beiden dazu, sich selbstständig zu machen.
#partnersincraft. Für Schwarzkopf Professional erarbeiten sie zudem Trend-Looks und stehen regelmäßig auf internationalen Bühnen.