Michelle Barnes, International Educator für JPMS | Credit: Sandra Vitting imSalon

07.07.2023

Michelle Barnes: Gerade jetzt ist es wichtig, Gas zu geben, nicht stehen zu bleiben

Über den Tellerrand blicken, ob in den USA oder anderen Bereichen, um den eigenen Berufsstand aufzuwerten, mehrere Hundert Euro für Farbe eine Selbstverständlichkeit und der große Glaube an den Friseurberuf …

Im Gespräch mit Katja Ottiger

Michelle, du bist in Amerika geboren, deine Friseurausbildung hast du in Deutschland gemacht, bist immer wieder viel in den USA unterwegs. Amerika vs. Deutschland - was sind die Unterschiede?
Michelle Barnes:
In Amerika haben Hairstylisten keine Angst, Geld entsprechend ihrer Arbeit zu verlangen. Das können bei einer Farbe schon mal ein paar Hundert Dollar sein.

Sie verdienen entsprechend besser?
MB:
In amerikanischen Salons arbeiten Friseure als Angestellte sowie auf Stuhlmiete. Angestellte bekommen ein Grundgehalt und arbeiten auf Provision, teilweise sind das bis zu 50 Prozent. Und das ist sehr verlockend, um entsprechend Gas zu geben.

Was sind in deinen Augen die positiven Aspekte in Deutschland?
MB
: Stabilität und keine Angst, den Job zu verlieren! Beim „hire and fire system“ in Amerika, kannst du jederzeit ohne Job dastehen.

Und natürlich die Lehre! Deine Ausbildung in Amerika zahlst du selbst! 1.700 Stunden Unterricht (ca. 3 Jahre, Anm.) kosten dich da schon mal 20.000 – 30.000 Dollar, es sei denn, du hast einen Salon, der so nett ist und dich in dieser Zeit bezahlt. Du entscheidest dich für eine Schule oder eine Firma. Großkonzerne haben Akademien, beispielsweise wie Paul Mitchell, an denen sie eigene Techniken unterrichten. Dort lernst du die Theorie im Allgemeinen, denn es gibt ein grundlegendes System, und du machst auch Prüfungen.

Du gibst im Jahr um die 160 Seminare für Paul Mitchell, was sind deine Lieblingsthemen?
MB
: Farbe! Tatsächlich hat sich das über die Jahre entwickelt. Für mich ist das richtige Mindset der Teilnehmenden das Wichtigste. Ich möchte in deren Kopf und dass sie gemeinsam mit mir analysieren. Wenn das Verständnis, wozu ich etwas tue, fehlt, kann die Technik nur schwer verstanden werden.

„Der Beruf ist mehr als waschen, schneiden, föhnen, Kunde kommt, Kunde geht …“

Die Herausforderung dabei?
WB
: Die unterschiedlichen Level. Die ‚Natural-Macher‘ sehen etwas und setzen es sofort um, der ‚Sachtyp‘ zerdenkt und hat Schwierigkeiten in der schnellen Umsetzung. Die Herausforderung ist, dass alle ins Handeln kommen, die Angst überwinden, einfach mal schauen, was passiert und daraus lernen. Der Beruf ist mehr als waschen, schneiden, föhnen, Kunde kommt, Kunde geht, Kunde kommt. Es steckt so sehr viel mehr dahinter.

Du arbeitest rechts- und linkshändig …
WB: Ich bin Rechtshänderin, aber arbeite tatsächlich mit beiden Seiten. Denn wenn ich die rechte Seite mit rechts nach hinten föhne, muss ich die linke Seite eigentlich mit der Linken föhnen. Das ist etwas, das ich mir über die Jahre antrainiert habe. Das ist Disziplin und bedeutet, aus der Komfortzone herauszugehen. Wenn dein Gehirn etwas mehrmals macht, speichert es das ab und irgendwann wird es normal, mit der linken Hand zu föhnen. Es gibt Leute, die haben gelernt, mit der linken Hand zu schneiden, obwohl sie Rechtshänder sind, weil der Ausbilder Linkshänder ist. 

Auf der Bühne für die ►deutsche friseurakademie Anfang der Woche in Ulm hattest du eine Färbe-Pinseltasche dabei, die bei den Kolleginnen gut ankam.
MB:
Ja, die ist geil, die habe ich über die Wild Beauty gekauft. Wenn du mit dieser Tasche zum Kunden gehst, und vor deren Augen den Pinsel herausnimmst, wertest du damit als Künstlerin alles auf. Ich arbeite gern mit unterschiedlichen Pinseln. Früher sind meine Pinsel im Koffer herumgeflogen, jetzt sind sie sortiert. Ich kann es auch überhaupt nicht ab, wenn die Pinsel beim Arbeiten quer über der Farbschale liegen, dann ist alles verpappt und die Pinsel sehen aus, als hätten sie eine wilde Nacht hinter sich, das ist grausam.  

Michelles Färbepinsel-Tasche | Credit: Sandra Vitting imSalon

Wie viele Färbepinsel hast du denn?
MB:
Zwei weichere, einen härteren, einen breiten, einen zum Federpinseln, einen angewinkelten Pinsel und einen Schwamm.

Du wolltest eigentlich keine Friseurin werden, das war eher Zufall. Wie könnte die Branche Berufs-unentschlossene Jugendliche auf sich aufmerksam machen?
MB:
Ich hatte mich für verschiedenes beworben, als Raumausstatterin und Stewardess, aber nichts bekommen. Bei mir war es dann das typische ‚Dann werd ich halt Friseurin!‘. Im Nachhinein war es das Beste, was mir passieren konnte. Ich denke, es ist wichtig, Jugendliche hinter die Türen schauen zu lassen. Durch Social Media und die Pandemie haben Friseure einen anderen Status bekommen und den müssen wir uns bewahren. Gerade jetzt ist es umso wichtiger, Gas zu geben und nicht stehen zu bleiben.

Was wäre deine Idee?
MB:
Aktiv werden. Auf Veranstaltungen, Konzerten oder auch unter der Woche in die Schulen … einfach mal hingehen und zeigen, was man in Kürze mit Haaren machen kann, schnell begeistern und die Jungen auf die Idee bringen, einfach einmal Friseure zu besuchen.

Ich bemerke bei Jugendlichen in meinem privaten Umfeld, dass bei der Jobwahl der Verdienst immer bedeutender wird, eine wichtige Stellschraube …
MB:
Das große Thema beim Friseur wird immer der Preis sein. Viele Salons merken, dass sie mitziehen müssen und dass sie mehr Gewinn machen, wenn sie 60 statt 30 Euro für einen Haarschnitt verlangen. Sie bemerken aber auch, dass Leute bereit sind, das zu zahlen. Es gibt immer weniger arbeitende Friseure – warum? Das Gehalt! Du kannst nur mehr verdienen, wenn die Preise dementsprechend sind. Ein Rattenschwanz! Und so lange das nicht verstanden wird, wird es auf Dauer so sein, dass Leute, die gut arbeiten und nicht angemessen verdienen, woanders hingehen. Ja, es werden immer weniger Friseure, dafür aber qualitativ bessere und preislich höhere.

In Vorarlberg (Österreich) hast du Auszubildenden gecoacht und gemeinsam mit ihnen die New Talent Hairshow erarbeitet - als andere Form des Lehrlingswettbewerbes. Wie war das?
MB: Ooh, das war eine tolle Premiere! 20 Auszubildende auf einer Bühne, eine Show mit komplettem Script, das war unbeschreiblich! Der Boden hat gebebt, die Leute haben gejubelt. Die Lehrlinge, mit denen ich an fünf Sonntagen zuvor gearbeitet und die Show erstellt habe, sind bis heute hin und weg und ich habe bis heute Kontakt zu ihnen. Sie konnten mit Spaßfaktor lernen und einfach machen, was sie wollten, auch wenn mal etwas schiefgeht, egal, am Ende des Tages sind es nur Haare. Das könnte ein Startschuss für etwas Neues sein ...

... eine Erneuerung oder eine Konkurrenz zu den Lehrlingsbewerben?
MB:
Vielleicht. Denn hier geht es nicht darum, der oder die Beste zu sein und in Konkurrenz zu treten, sondern als Team auf der Bühne zu agieren und das Glücksgefühl mit nach Hause zu nehmen. Friseure sollten keine Konkurrenten sein!  

Michelle Branes mit Paul Kent live für die deutsche friseurakademie Neu-Ulm ►Zur Berichterstattung

Über Michelle Barnes

  • Geboren in den USA, Wahlheimat Stuttgart
  • Friseurausbildung in Deutschland
  • seit über 20 Jahren Educatorin bei Paul Mitchell (Wild Beauty)