Filiz Erdogu - Wozu Sonderangebotsgutscheine? Öffnungszeiten massiv ausweiten ist angesagt!

Ihr habt vor kurzem einen Eurer Salons komplett umgebaut und einen anderen renoviert. Im Moment kommt kein Geld in die Kasse, die Kosten laufen weiter. Trotzdem kannst Du ruhig bleiben?
FE: Ja. Wir haben gute Rücklagen.

Wie konntet Ihr Euch diese Sicherheiten aufbauen?
FE: Wir zahlen uns seit 21 Jahren ein Gehalt aus, mit dem wir auskommen müssen. Alles, was wir mehr erwirtschaften, geht auf ein Tagesgeldkonto. Schon seit Jahren gibt uns das die Möglichkeit unseren Mitarbeitern am Ende des Jahres Weihnachtsgeld zu zahlen und zu investieren. Natürlich haben wir für Umbau- und Renovierungsmaßnahmen auch Kredite in Anspruch genommen.

Wer bearbeitet die Anträge, die im Moment gestellt werden können?
FE: Wir haben eine Mitarbeiterin im Backoffice, die unsere gesamte Büroarbeit erledigt. Unsere Steuerbüro könnte uns bei den Anträgen helfen, aber das wäre viel teurer. Wir sind so erfolgreich, weil jeder im Team seinen Stärken entsprechend eingesetzt wird. Klar jeder muss sein Geld wert sein, keiner kann nur durchgeschleust werden, denn die Gehälter sind gestiegen, aber die Preise hängen noch hinterher.

Kommuniziert Ihr das auch so offen den Mitarbeitern?
FE: Wir führen mit jedem Mitarbeiter Jahresgespräche. Darin geht es um Zahlen und Ziele, die wir gemeinsam festlegen. Wir sind dankbar, dass wir Mitarbeiter im Salon so integrieren können, dass es ihren Stärken entspricht, z.B eine Auszubildende, die ihre Prüfung nicht geschafft hat, aber sehr gut Haare färbt, kann bei uns das machen, worin sie richtig gut ist: Haare färben.

Was machen Eure Mitarbeiter im Moment zu Hause?
FE: Jeder braucht Zeit, um die Situation anzunehmen und damit umzugehen. Für viele ist das die größte Krise, die sie in ihrem Leben erlebt haben. Wann waren wir schon mal am Stück so lange zu Hause? Wir haben uns entschieden eine Mitarbeiter-Corona-WhatsApp-Gruppe zu gründen, um Informationen weiterzugeben, z.B. zum Thema Kurzarbeit. Unseren Azubis liefern wir dauernd Ideen, wie sie für die Prüfung lernen können. Diese Gruppe ist nicht dazu da, dass jeder seine Meinung schreiben kann, denn bei 55 Mitarbeitern entsteht schnell Unruhe, die aktuell nur negativ sein kann. Sollte es Bedarf zum Reden geben, hat jeder Mitarbeiter meine Handy-Nummer und wir nehmen uns gerne Zeit für ein persönliches Gespräch.
Derzeit halten wir den Ball flach, besonnen sein, jeder soll zu sich finden. Das ist unser Plan für die nächsten Tage und dann sehen wir weiter.

Siehst Du in der Krise auch eine Chance?
FE: Für uns auf jeden Fall! Im Moment wird mal nicht nur über schlechte Bezahlung gesprochen. Alle sind gefordert darüber nachzudenken, was sich ändern muss, damit Menschen von ihrem Lohn auch leben können. Das wird eine Welle auslösen! Wir Friseure können davon profitieren, denn wir alle sollten uns nicht unter unserem Wert verkaufen.

Habt Ihr euch überlegt Gutscheine anzubieten?
FE: Wir haben noch nie Sonderangebote unterstützt. Wenn ich eine Dienstleistung verschenke, verschenke ich Arbeitszeit. In ein paar Wochen, wenn die Kunden wieder in den Salon dürfen, werden wir genügend von dieser Arbeitszeit brauchen, um Umsatz zu machen.

Ok, ich trau mich jetzt fast nicht mehr zu fragen, tu es trotzdem: Schickt Ihr Euren Kunden Farbprodukte nach Hause, mit denen sie ihre Ansätze kaschieren können?
FE: Nein. Sollten unsere Kunden bisher noch nicht bewusst wahrgenommen haben wie wichtig ihnen ihr Friseur ist, wäre es großartig wenn es ihnen jetzt auffällt. Bei mir melden sich auch Kunden und jammern über ihren Ansatz. Die bekommen von mir ein Foto von meinen Ansätzen zurück, das hilft meistens schon. Eine perfekte Lösung gibt im Moment nicht. Das sollte jeder Salon für sich entscheiden.

Und Pflegeprodukte?
FE: Für zwei Produkte so viel zusätzliche Verpackung und Transportwege. Nein, das ist für uns nicht nachhaltig.

Ihr seid immer auf Wochen ausgebucht. Wie wollt Ihr die abgesagten Kundentermine abarbeiten?
FE: Sobald wir den Salon aufschließen, werden wir genug Kunden haben. Da bin ich mir auch in diesen unsicheren Zeiten sehr sicher.Ich gehe davon aus, dass wir im ersten Schritt nur eingeschränkt wieder arbeiten dürfen.

Was überlegt Ihr, um dann gut vorbereitet zu sein?
FE: Wir könnten die Öffnungszeiten ausdehnen. Montags öffnen, Samstag länger arbeiten. Wir können uns vorstellen, Teams zu teilen, um in 2er Teams zu arbeiten. So könnten wir in größeren Abständen zueinander arbeiten. Ich weiß, dass unsere Mitarbeiter gerne arbeitenund sich freuen wieder loszulegen.

Gab es unerledigte Dinge, denen Du Dich jetzt widmen konntest?
FE: Oh ja, wir haben uns unsere Inventur etwas genauer angesehen. Es tut gut zu sehen, was man eigentlich alles im Laden hat und ob man das Zeug überhaupt braucht! Da sind uns einige Kosten aufgefallen, die wir reduzieren können. Unsere Reinigungskräfte haben wir dazu verdonnert jede Ecke und jede Schublade im Salon sauber zu machen. Dabei kommt auch einiges zum Vorschein was sich unnötig angesammelt hat.

Glaubst Du an die Chance in der Krise?
FE: Jede Krise in meinem Leben hat mich ein Stück mehr zu mir selbst gebracht. Krisen helfen Orientierung zu finden. Das wird vor allem den jungen Menschen gut tun. Viele von ihnen haben in ihrem Leben noch keine Krise durchlebt. Manche werden in ein paar Wochen dankbar sein einen Job zu haben.

Wozu hast Du im Moment mehr Zeit als vorher?
FE: Kochen! Jetzt hab ich die Zeit und Ruhe jeden Tag ein neues Rezepte auszuprobieren. Und ich versuche jeden Tag zwei Stunden raus zu gehen. Ich bin dankbar, dass wir trotz Einschränkungen raus gehen dürfen, nicht mehr vor die Tür gehen zu dürfen wäre für mich das Allerschlimmste. Eine Ausgangssperre habe ich mit 12 nach einem Militärputsch in der Türkei erlebt.
Ich werde nicht jammern, dass es für unser Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern keine Soforthilfe gibt. Die deutsche Regierung bietet mir genug, um dankbar zu sein, ein besseres Gesundheitssystem als in vielen anderen Ländern und vor allem Freiheit.

Vielen Dank Filiz für das Gespräch, schöne Ostern und bleibt gesund!