Barber Nils Ferrand lässt in seinem Satement zur aktuellen Lockdown-Situation tief blicken © Jan Stephan Hubrich

03.02.2021

Friseur Nils Ferrand: Unmoralische Angebote und ein Zwiegespräch

…oder wie ein Unternehmer das Vertrauen in die Politik verliert. Das Facebook-Statement des Kölners, Scissors by Ferrand, ist ein Sinnieren über den „Ist“-Zustand. Von unmoralischen Angeboten, roten Zahlen und Fragen in Richtung Politik.

Ein Gastbeitrag

Mein Name ist Nils Ferrand und ich weiß nicht, wie es in Zukunft weitergehen kann und wird.

Sonntag. Ich öffne auf dem Handy meine E-Mails und als Erstes springen mir zwei neue Nachrichten von Kunden ins Auge, die sich über das Kontaktformular meiner Website gemeldet haben:

„Hallo, ich wollte einmal fragen, ob Sie während Corona die Möglichkeit von Hausbesuchen anbieten und falls ja, wie sich die Preise dadurch verändern?“

Kunde: „Hallo, ich bin definitiv bereit, eine Grauzone zu benutzen (…) eine Spende ist ja durchaus in Ordnung.“

„Hallo, ich benötige dringend die Haare geschnitten. Ich bin zwar generell für die aktuellen Corona-Beschränkungen, allerdings denke ich schon, dass einige Regularien nicht ganz angemessen sind. Insofern bin ich definitiv bereit, eine Grauzone zu benutzen. Eine weitere Person darf ja im Haushalt sein. Insofern fände ich es in Ordnung, wenn mich jemand besucht, der glücklicherweise auch Haare schneiden kann. Eine Spende als Geschenk ist dann ja auch durchaus in Ordnung.“

Die beiden Nachrichten erschlagen mich, denn sie holen mich wieder ein. Sie machen mich wütend, traurig, verzweifelt und noch so vieles mehr. Ich schließe sie, ohne zu antworten.
Direkt schießen mir wieder Gedanken zu meinem Bankkonto ins Gedächtnis, die Gehälter meiner Mitarbeiter, meine Miete — habe ich den Strom bezahlt? Sofort logge ich mich in mein Bankkonto ein, mein Dispositionskredit ist nicht nur ausgereizt, sondern überreizt. Überall nur Abbuchungen und rote Zahlen, dazwischen eine grüne Zahl, eine Einzahlung: „Bundesagentur für Arbeit“. Diese datiert vom 08.01.2021 und ist die Erstattung meines Antrages für Kurzarbeit im Dezember 2020, bei welcher ich natürlich in Vorleistung gehen musste. Man darf übrigens nicht denken, dass ich selbst etwas von diesem Geld hätte, denn dies ist ausschließlich für meine Mitarbeiter und selbst das bekommt man nicht zu 100 %, sondern zu ca. 78 % erstattet. Zuzüglich Krankenkassen natürlich, die man überhaupt nicht erstattet bekommt. Direkt denke ich, wie das wohl im Folgemonat gehen soll, wenn ich jetzt bereits meinen Dispositionskredit überzogen habe? Doch dazu später mehr.

„Mein Bankkonto ist tief in den roten Zahlen (…), mir wird schwindelig.“

Danach kommen nur noch Abbuchungen: Telefon, Versicherungen, die Anfang des Jahres bezahlt werden müssen, Zeitungen, Jobtickets, Krankenkassen, die Umsatzsteuer vom Dezember. Und dann geht das Spiel wieder von vorne los: Gehälter, Miete, Strom, Heizung etc., und schon haben wir den heutigen Tag und mein Bankkonto ist tief in den roten Zahlen. Mir wird schwindelig — ich lege das Handy weg und gehe mit meinem Hund eine Runde Gassi.

Als ich wieder zu Hause bin, setze ich mich an den PC. Ich lese die neuesten Schlagzeilen der lokalen Nachrichten: „Corona-Inzidenzwert geht wieder deutlich nach oben“, „Corona Köln: Sechs Fälle von britischer Virus-Mutation in vier Kitas“, „Professor attackiert Politik wegen Corona“. Als ich diese Überschriften lese, weiß ich schon, dass ich mir die Artikel mir durchlesen werde. Denn in all diesen Nachrichten geht für mich persönlich nur eine Nachricht hervor: Corona da — Menschen Tod — Laden zu.

„Die Politik hat versagt. Nicht gesellschaftlich, aber wirtschaftlich.“

Die Politik hat meiner Meinung nach versagt. Nicht gesellschaftlich, aber wirtschaftlich. Natürlich muss dieser Lockdown sein, natürlich müssen Masken getragen werden, natürlich müssen wir Abstand halten und natürlich werden uns diese Beschränkungen noch lange begleiten. Ich stehe vollumfänglich hinter diesen Maßnahmen. Doch wirtschaftlich? Wirtschaftlich geht es den allermeisten „kleinen“ Selbstständigen so schlecht, dass sie überlegen, ihre Geschäfte für immer zu schließen — ich auch. Geschäfte, die seit vielen Jahrzehnten — gar über 100 Jahre bestehen. In dritter, vierter oder sogar fünfter Generation. Geschäfte, die seit jeher das Rückgrat unserer Wirtschaft waren, die unseren Mittelstand ausgemacht haben, welcher sowieso schon in den letzten Jahren stark zu kämpfen hatte.

Doch ich bleibe bei den Friseuren, denn hier kann man es ganz deutlich sehen: Wir sind für die November- und Dezemberhilfe nicht antragsberechtigt. Warum eigentlich? Weil wir bis zum 15. Dezember geöffnet haben durften. Laut meiner Steuerberaterin dürfte ich mich glücklich schätzen, wenn ich für die Überbrückungshilfe ll überhaupt einen 4-stelligen Betrag erwarten dürfte. Warum? Weil wir dafür bestraft werden, dass wir an den letzten beiden Tagen im Dezember (14. & 15. 8-24 Uhr) so hart gearbeitet haben, um unseren Verlust zu minimieren. Fixkosten von 75% werden erstattet. Was glaubt die Politik eigentlich, wie hoch die Margen beim Friseur sind? Das wird für keinen von uns auch nur ansatzweise reichen. Die Überbrückungshilfe lll ist ein leichter Hoffnungsschimmer, der mich gedanklich noch wachhält. Doch wann genau diese überhaupt beantragt werden darf, das weiß keiner. Wie diese im Detail aussehen wird auch nicht und schon gar nicht, wann sie ausgezahlt wird. Momentan geht man im Übrigen davon aus, dass sie Mitte Februar gestellt und Ende März ausbezahlt wird.

„Ich habe einen Kreditantrag gestellt, (…) mit hohen Zinsen, weil der Bank das Ausfallrisiko sehr hoch erscheint.

Also was werde ich tun müssen? Ich habe einen Kreditantrag gestellt. Einen Kredit mit hohen Zinsen übrigens, da der Bank das Ausfallrisiko durch weitere Verlängerungen und Ausbleiben der Hilfen als sehr hoch erscheint. Einen Kredit, den ich über Jahre hinweg abbezahlen muss — unverschuldet wohlgemerkt! Einen Kredit, den ich zusätzlich mit wahrscheinlichen Steuererhöhungen (auch, wenn die Politik dies jetzt noch verneint), abtragen muss.

Mein Name ist Nils Ferrand und ich weiß nicht, wie es in Zukunft weitergehen kann und wird.