Fatih Erbay on Stage for ABC | Credit: Andrea Ganshorn

09.02.2023

Fatih Erbay: Mitarbeiter zu verlieren, kann auch ein Gewinn sein

Fatih verkörpert die Next Generation, die die Friseurbranche prägt. Er ist frisch, offen, teilt gerne und gönnerhaft, ist experimentierfreudig und authentisch. Ein Diamant, der auch andere gern zum Funkeln bringt.

Im Gespräch mit Birgit Senger

Welches Learning hat dich zuletzt geprägt?
Fatih Erbay:
Ich habe festgestellt, Mitarbeiter zu verlieren, kann auch ein Gewinn sein.

Wie meinst du das?
FE: Mit den 8 Mitarbeitern, die ich vor Corona im Salon hatte, war der Arbeitsalltag viel stressiger. Ich möchte jeden Mitarbeiter gleichwertig behandeln. Da aber jeder anders tickt, musst du folglich auch jeden anders behandeln. Während der Pandemie haben sich zwei meiner Mitarbeiter selbstständig gemacht und einen hab ich, weil es einfach nicht gepasst hat, entlassen müssen. Nur noch zu viert im Team, wurde die Arbeit viel entspannter. Plötzlich war alles viel übersichtlicher. Durch die entspannte Atmosphäre im Salon wurde auch ich ruhiger.

Wie hat sich das auf eure Umsätze ausgewirkt?
FE: Unsere Umsätze sind mit Einführung der 4-Tage-Woche gestiegen. Wir haben uns neu aufgestellt und die Kombination aus kleinem Team, komprimierten Arbeitszeiten und individuellerem Coaching führt dazu, dass wir heute unsere Ziele viel schneller erreichen. Egal ob beim Umsatz oder im Teamcoaching. Mein Ziel als Unternehmer sehe ich darin, meine Mitarbeiter*innen wachsen zu lassen. Es gibt Unternehmer, die ihre Mitarbeiter ab einem gewissen Punkt bremsen, damit sie sich nicht selbständig machen. Ich denke jeder Mitarbeiter der geht, macht den Platz frei für etwas Neues. Es könnte jemand noch besseres nachkommen oder es führt dazu, am Salonkonzept zu arbeiten.

Warst du wirklich so entspannt, als sich zwei Leute aus deinem Team selbständig gemacht haben?
FE: Auch wenn dir Mitarbeiter*innen sagen, sie würden immer für dich da sein, ist es ein Fehler daran zu glauben. Lieber nutze ich die gemeinsame Zeit, um Vollgas zu geben, Spaß und Erfolg zu haben, sowie sich gegenseitig zu puschen. Wen hältst du, wenn du aus Angst Türen schließt?
Jeden guten Mitarbeiter, der sich selbständig machen will, sollte man machen lassen. So hab auch ich es bei meinem letzten Arbeitgeber erfahren und das möchte ich genauso weitergeben.

Das vergessen viele Unternehmer oft, dass sie selbst auch mal Angestellte waren!
FE: Im Kopf ist der Schritt in die Selbständigkeit oft längst entschieden. Genau an dem Punkt war auch ich mal, warum also soll ich das nicht ok finden? Meinen beiden Ex-Mitarbeitern hab ich meine Unterstützung angeboten, wovon sie auch Gebrauch gemacht haben, als es um das Beantragen von Förderungen ging oder die Wahl des Kassensystems. Das fand ich gut, sollen sie ihr Ding machen und wenn es nicht klappt finden sie bei mir eine offene Tür, um wieder zurückkommen zu können.

Warum ist die 4–Tage–Woche auch wirtschaftlich ein Gewinn für euch?
FE: Vor 2 Jahren hatte ich Jungstylist*innen im Team, die während der 5-Tage-Woche nicht komplett ausgelastet waren. Daher hab ich gesagt, lass uns die 4-Tage-Woche mit 2 Stunde weniger versuchen. Wir fangen an 4 Tagen vor allem Donnerstag und Freitag morgens früher an und hören später auf. Nach circa 1,5 Jahren ernten wir die Früchte. Mittlerweile sind alle zu 100 % ausgelastet, haben höhere Umsätze und durch die Reduzierung der Nebenkosten höhere Gewinne.

Wie ist die Stimmung im Team?
FE: Wenn wir mittwochs starten, ist die Stimmung besser als mit der 5-Tage-Woche. Meine Mitarbeiter*innen werden weniger krank, was ich krass finde. Und sie sind dankbarer als vorher. Wir sind gelassener, entspannter und können, weil wir 3 Tage freihaben, auch mal länger wegfahren. Das war das Feedback im letzten Teammeeting.

„Ich bin ein Unternehmer, der mit im Unternehmen arbeitet“.

Wie würdest du deinen Führungsstil beschreiben?
FE: Ich bin ein Unternehmer, der mit im Unternehmen arbeitet. In der Hierarchie im Arbeitsalltag sind wir alle gleich. Mir ist wichtig, dass sich jeder frei entfalten kann. Ich möchte nicht der Chef sein, der seinen Mitarbeiter*innen über die Schultern schaut und sie sich Gedanken darüber machen muss, was ich gerade denke. Ich will meine Mitarbeiter genau so behandeln, wie ich als Mitarbeiter auch gerne behandelt werden würde. Ich sehe mich in der Rolle als Chef und Buddy, was nicht ausschließt, dass ich auch mal sagen kann, was nicht gut läuft und was wir ändern müssen. 

Nach welchen Kriterien suchst du dir deine Mitarbeiter*innen aus?
FE: Wir haben ein sehr internationales Publikum, ein gutes Englisch setze ich voraus. Da wir im oberen Preissegment arbeiten, erwarten unsere Kunden ein Top-Level. Wenn eine Mitarbeiter*in diesen Ansprüchen noch nicht gerecht wird, ich jedoch das Potenzial eines Rohdiamanten sehe, bei dem man in den nächsten ein, zwei Jahren die Ecken und Kanten schleifen kann, dann investiere ich gerne Geld und Zeit für persönliche oder fachliche Weiterbildung. Wenn ich jemanden vor mir habe, der seit 10 Jahren nichts mehr an Weiterbildung gemacht hat, bin ich inzwischen vorsichtiger geworden. Dann muss auch ich nicht unbedingt derjenige sein, der Geld in die Hand nimmt und in einem Jahr ist sie wieder weg. Ich probiere gerne mal was aus, weiß aber auch, dass die Kunden bei uns viel Geld bezahlen und wegbleiben, wenn sie nicht eine entsprechende Leistung bekommen.

Zahlt der Kunde bei jedem Mitarbeiter für den Schnitt den gleichen Preis?
FE: Noch ist es so, dass wir die Preise für den Haarschnitt von 65 bis 95 Euro in 10 Euro Stufen gestaffelt haben. In zwei Jahren möchte ich aber alle auf ein Level gebracht haben, damit wir uns dahin entwickeln Unisex Preise, die sich auf einen einheitlichen Stundenlohn beziehen, anzubieten.

Welche Ziele hast du die dieses Jahr gesteckt?
FE: Dieses Jahr habe ich mir zum Ziel gesetzt, viele Fortbildungen zu machen, sowohl für mich als auch für meine Mitarbeiter im fachlichen, persönlichen und gesundheitlichen Bereich. Eine Möglichkeit, die ich meinen Mitarbeitern schon biete, ist der Wellpass, mit dem sie 6.500 Sport und Wellnesseinrichtungen in Deutschland und Österreich besuchen können, den zahle ich meinen Mitarbeitern zu 50 %. So individuell wie auch jeder gesehen werden will, so individuell will ich auch als Chef oder Freund meine Wertschätzung ausdrücken. Ich glaube nicht, dass die Aufstockung der Gehälter immer das beste Mittel ist. Für mich passt es manchmal mehr einer Mitarbeiterin zu sagen, hey du machst so einen super Job, ich würde dich gerne mal zum Yoga-Wochenende schicken oder dir eine Rolex schenken.

Was glaubst du, welche Konzepte werden sich bei uns Friseuren durchsetzen?
FE: Ich habe das Gefühl, die großen Salons mit 30 bis 50 Mitarbeitern*innen werden aufgrund der steigenden Löhne und Kosten immer weniger. Alles in der Branche orientiert sich daran kleiner, qualitativ hochwertiger und boutiquer zu werden. Der Trend geht zu kleineren Salons, zur Spezialisierung und sich mehr Zeit für den Kunden zu lassen.

Wie würdest du deine Spezialisierung beschreiben?
FE: Ich bin ein guter Allrounder. Was ich anbiete, ist überdurchschnittlich gut. Ich könnte mich in Schnitt oder Farbe weiter spezialisieren, will ich aber nicht. Dafür habe ich ein Netzwerk von wunderbaren Spezialisten. Ich finde die Friseurbranche sollte es sich zum Nutzen machen sich gegenseitig zu empfehlen und dankbar zu sein, dass es großartige Spezialisten unter uns gibt. Ich habe viele Kolleg*innen, die ich meinen Kund*innen, wenn es passt, weiterempfehle. Wenn jemand einen Blondspezialisten sucht, empfehle ich zu mir zu kommen oder alternativ Damian Tworuschka in Frankfurt aufzusuchen, wenn jemand in Berlin unterwegs ist, empfehle ich Said Rubaii. Man sollte nicht zu egoistisch sein. Mir geht dadurch nichts verloren, sondern Kund*innen und Kolleg*innen merken sich das und empfehlen, wenn es passt, auch mich weiter. Was haben wir davon, wenn wir verschweigen, dass es auch um uns herum tolle Friseur*innen gibt?

Lieber Fatih, ich danke dir für deine Zeit und das Gespräch. Bis bald und viel Erfolg!

Über Fatih

Fatih Erbay ist Szenefriseur in Stuttgart ► fatih-stuttgart.de  und Global Testimonial für die Marke Authentic Beauty Concept