17.05.2024
Die Stimmenfänger von Berlin | Kommentar von Holger Stein
Von fehlgeleiteten Diskussionen und offensichtlich verzweifelten Politikern. Ein Kommentar von Holger Stein, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Friseurhandwerks, zur aktuellen Mindestlohnforderungen von Politik und Gewerkschaften.
Jetzt schlägt's 13! Oder wohl eher 15, wenn es nach Bundeskanzler Olaf Scholz geht. Sonst eher bedacht abwägend, zeigt der Kanzler klare Kante und befeuert mit seiner Forderung die schwelende Mindestlohndebatte. Ganz schön früh, wenn man bedenkt, dass die Bundestagswahl erst im Herbst 2025 stattfinden wird und der Wahlkampf noch nicht begonnen hat. Oder hat er etwa doch?!
Die Forderungen von Wagenknechts BSW und die Statements von Verdi, den Grünen und der SPD zum Mindestlohn haben bereits zu Beginn des Jahres aufhorchen lassen. Von 14 oder gar 15 Euro ist die Rede, und das ist ein echtes Pfund. Egal, wie man dazu steht. Wir erinnern uns: Ursprünglich galt eine andere Idee. Nämlich die Diskussion zum Mindestlohn aus der Tagespolitik rauszulassen. Diese Debatte gehört dort nicht hin. Und das aus gutem Grund.
Zur Einführung des gesetzlichen Mindestlohns 2015 warnten Kritiker davor, dass er zum Spielball der Parteien werden könnte. Vor allem zu Wahlkampfzeiten. Lösen sollte das Problem die Gründung einer Tarifkommission. Gewerkschaften und Arbeitgeber sitzen an einem Tisch und erarbeiten Vorschläge. Gute Idee! Das ging auch bis 2021 gut. Damals lag der Mindestlohn bei 9,60 Euro. 2021 beförderte der Wahlkampf den Mindestlohn auf stattliche 12 Euro, was dann 2022 auch umgesetzt wurde.
Experten des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) sind sicher: Die Beschädigung des Tarifsystems wird nicht ohne Folgen bleiben. Tarifexperte Hagen Lesch bezeichnet die Forderungen von BSW, Verdi, den Grünen und der SPD als „Micky-Maus-Ökonomie“ und als „staatlich gelenkte Lohnpolitik“. Die Vorstöße der Politik und jetzt des Kanzlers werfen die Grundsatzfrage auf, ob die Tarifkommission gescheitert, garüberflüssig geworden ist. Die Idee, das Thema aus der Tagespolitik herauszuhalten, ist es offensichtlich bereits.
Die Forderungen kommen aber nicht ohne Argumente. In Zeiten hoher Inflation gilt es diese auszugleichen oder zumindest die Löhne daran anzupassen. Clemens Fürst, Präsident des ifo-Instituts und renommierter Wirtschaftsprofessor, gibt den Befürwortern in einer Sache Recht: Der Inflationsausgleich kommt verspätet beim Tariflohn an. Den Anstieg auf 14 oder 15 Euro kann er dennoch nicht nachvollziehen. Ein Rechenbeispiel zeigt, dass der Mindestlohn stärker steigt als die Inflation. Der Mindestlohn ist von Anfang 2021 bis Ende 2023 um 26% gestiegen. Die Inflation, gemessen anhand der Verbraucherpreise, um 19%. Bei den ausgerufenen 14 Euro Mindestlohn läge der Anstieg sogar bei 47%.
Bei den Unternehmenden schrillen spätestens jetzt die Alarmglocken. Zu Recht. Die Anpassungen des Mindestlohns hatten seit Einführung immer auch Auswirkung auf das gesamte Lohngefüge in den Unternehmen. Das soll aber nicht bedeuten, dass eine Anhebung nicht notwendig wäre. Augenmaß wäre wünschenswert.
Darauf ist man aber nicht aus. Die Diskussion gleicht einem Bieterwettbewerb auf Ebay und am Ende erhält der Höchstbietende den Zuschlag in Form von Wahlstimmen. Der Mindestlohn ist ein Thema, ohne Zweifel. Er gehört aber nicht als Triebmittel in den Wahlkampf, sondern ausschließlich auf den Tisch der Tarifkommission. Je früher, desto besser.