Credit: ZDH Henning Schacht

07.12.2023

"Die Politik ist gefordert, bessere Rahmenbedingungen zu setzen"

Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, setzt sich für die Belange des Handwerks ein, darunter fallen auch die besonderen Anliegen von Friseurunternehmen. Was die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes angeht, sieht er Politik gefordert, bessere Rahmenbedingungen zu setzen: beim Bürokratieabbau, bei der gleichwertigen Förderung der beruflichen Bildung und bei der Entlastung des Faktors Arbeit ...

Jörg Dittrich. Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH),  im Gespräch mit Raphaela Kirschnick

Wie beurteilen Sie die aktuelle Einstellung der Politik zum Handwerk?
Jörg Dittrich:
Die allermeisten Politiker wissen um die Bedeutung des Handwerks. Diese Wertschätzung zieht sich durch alle Gespräche, die wir führen, ob mit Bundestagsabgeordneten, der Bundesregierung oder sogar der Präsidentin der Europäischen Kommission. Das ist gut und sollte den Belangen der eher kleinen Handwerksbetriebe Gehör verschaffen. Aber Wertschätzung alleine reicht natürlich nicht: Entscheidend ist, dass politisches Handeln die Belange des Handwerks auch tatsächlich berücksichtigt.

"... bei Gesetzesvorhaben nicht von Großkonzernstrukturen her denken..."

Welche Belange sehen Sie Handwerksübergreifend als besonders relevant?
JD:
 Bürokratie beispielsweise belastet einen Betrieb mit fünf Beschäftigten nun einmal viel stärker als ein Unternehmen mit 500 Beschäftigten, das möglicherweise eine eigene Abteilung hat, die sich nur mit Bürokratieregelungen befasst. Dass bei politischen Entscheidungen daher immer die spezifischen Anliegen kleinerer Betriebe in den Blick genommen werden müssen, und dass bei Gesetzesvorhaben nicht vor allem von Großkonzernstrukturen her gedacht werden muss, das müssen wir Politikerinnen und Politikern immer wieder bewusst machen – auch wenn es manchmal sehr zäh ist.

Wo orten sie die größten Schwachstellen?
JD:
Die fehlende Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland ist die wahrscheinlich größte „Standort-Baustelle“: überbordende Bürokratie, hohe Energiepreise, steigende Sozialabgaben, ein im internationalen Vergleich hohes Steuerniveau, zu wenige Fachkräfte, zu lange Genehmigungs- und Planungsverfahren. Die Liste der Standortdefizite ist lang und ließe sich fortsetzen. Es ist wieder Agenda-Zeit und entschlossenes Handeln gehört auf die politische Agenda! Fragen, die es zu beantworten gilt, sind etwa: Wie gelingt es, Unternehmerinnen und Unternehmern wieder den Freiraum zu geben, sich voll auf ihr Handwerk zu konzentrieren und nicht vor allem damit beschäftigt zu sein, bürokratische Arbeit zu erledigen?

Bürokratieabbau ist für Friseurunternehmen ein wichtiger Punkt, aber ebenso die Frage, wie der Faktor Arbeit langfristig entlastet werden kann?
JD:
Diese Frage müssen wir stellen, denn die steigenden Sozialabgaben sind für die lohnintensiven Gewerke - wie eben auch das Friseurhandwerk - eine immer schwerwiegendere Last. Dadurch bleibt immer weniger Netto vom Brutto in den Portemonnaies der Beschäftigten und die Investitionsspielräume für die Betriebe werden kleiner.

"Die Finanzierung der Sozialsysteme ... muss auf den Prüfstand ... und kann in der Zukunft nicht hingenommen werden."

Das Friseurhandwerk wird immer eine personalintensive Branche bleiben, Automatisierung der Arbeitsleistung an sich ist nicht möglich, somit wird Beschäftigung zum Wettbewerbsnachteil aller persönlichen Dienstleister. Welche Forderungen stellen Sie hier an die Regierung?
JD:
 Da die Finanzierung der Sozialsysteme aktuell vor allem an den Faktor Lohn und Gehalt gekoppelt ist, spüren die personal- und damit lohnintensiven Handwerksbetriebe die steigenden Sozialabgaben unmittelbar: Dadurch verteuert sich lohnintensive Arbeit, werden Betrieben wie ihren Beschäftigten finanzielle Spielräume genommen und wird die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe geschwächt. Will man nicht riskieren, dass lohnintensive Geschäftsmodelle unbezahlbar werden, dann muss diese Form der Finanzierung der Sozialsysteme auf den Prüfstand und kann - auch angesichts der Vielzahl an digitalen Geschäftsmodellen – in der Zukunft nicht hingenommen werden.

Hat das Handwerk überhaupt eine Chance, im aktuell preisgetriebenen Konsumentenmarkt zu überleben?
JD:
Gerade das Friseurhandwerk, in dem ja wirklich von „Mensch zu Mensch“ gearbeitet wird, ist einer der Berufe, der persönliche Bedürfnisse befriedigt, auf die wir nicht verzichten können. Viele dieser persönlichen Dienstleistungen sind nicht durch KI oder Maschinen zu ersetzen. Haben wir nicht spätestens während der Corona-Lockdowns gemerkt, dass es für einen Haarschnitt viel mehr braucht als nur eine gute Schere? Dass der Besuch im Salon gefehlt hat, der Service und der Austausch? Die Pandemie war gerade auch für das Friseurhandwerk eine wirklich schwierige Zeit, weswegen wir uns als ZDH auch so massiv für Unterstützung eingesetzt haben.

"Wir alle wollen auch in Zukunft auf persönliche, durch Maschinen nicht ersetzbare Dienstleistungen nicht verzichten."

Dennoch schien all das in dem Moment wieder vergessen, als man seinen geliebten Friseur oder Friseurin zurück hatte.  
JD:
 Und doch können wir aus dieser schwierigen Zeit positive Erfahrungen mitnehmen: Das Wissen darum, dass wir alle auch in Zukunft auf persönliche, durch Maschinen nicht ersetzbare Dienstleistungen nicht verzichten wollen. Das bedeutet dann aber auch, dass Politik und Gesellschaft die Rahmenbedingungen schaffen müssen, damit sich solche personalintensiven Dienstleistungen am Markt auch behaupten können und bezahlbar bleiben.

Wenn da nicht die Schwarzarbeit wäre. Zuletzt gab es im Frühjahr 2022 bundesweit organisierte Zollkontrollen in 4.000 Friseurbetrieben, die zu Strafverfahren in knapp 25% der kontrollierten Betriebe führten. Weshalb wird nicht mehr dagegen getan?
JD:
Gerade in einer so personalkostenintensiven Branche wie dem Friseurhandwerk stellen die Personalkosten und die damit verbundene hohe Sozialabgabenlast einen wesentlichen Grund für Schwarzarbeit dar. Auch deswegen ist es so wichtig, dass wir an den genannten Standort-Baustellen arbeiten und die Wettbewerbsfähigkeit auf allen Ebenen stärken. Denn Schwarzarbeit geht zulasten der Solidargemeinschaft. Deswegen ist das Engagement der Sozialpartner hier wichtig. Der ZDH ist dazu im engen Austausch mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund. Und auch der Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks ist mit seiner Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft ver.di und dem Bundesfinanzministerium vorbildlich. Hier gilt es, gemeinsam am Ball zu bleiben.

"Damit es nicht zu einer weiteren Atomisierung der Betriebsstruktur kommt, ist auch Politik gefordert, hier die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen..."

Einen großen Wettbewerbsnachteil erfährt das Friseurhandwerk durch die Kleinunternehmerregelung, die 2021 28% aller Friseurunternehmen beanspruchten, Tendenz weiter stark steigend. Wie können hier faire Rahmenbedingungen geschaffen werden?
JD: 
Die Vielzahl von Soloselbstständigen, die eine andere Kalkulationsbasis haben, stellen bei den Friseuren eine nicht zu unterschätzende Konkurrenz zu den klassischen Salons am Markt dar. Unser gemeinsames Ziel muss sein, inhabergeführte Betriebe, die Verantwortung übernehmen, ausbilden, Gesellen und Meister beschäftigen, zu stärken. Damit es nicht zu einer weiteren Atomisierung der Betriebsstruktur kommt, ist auch Politik gefordert, hier die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen: Beispielsweise durch eine Altersvorsorgepflicht Selbstständiger, die Abschaffung des antiquierten Reisegewerbes und eine bessere Unterstützung von Ausbildungsbetrieben.

Haben andere Gewerke des Handwerks ähnliche Herausforderungen mit der Kleinunternehmerregelung?
JD:
Diskussionen über die Kleinunternehmerregelung gibt es im Handwerk immer wieder, auch in anderen Gewerken wie bei Fliesenlegern und Malerinnen. Das Friseurhandwerk scheint hier aber besonders betroffen zu sein, weil es in diesem Gewerk sehr viele Solo-Selbstständige gibt, die die Kleinunternehmerreglung in Anspruch nehmen können. Von außen zu beurteilen, wo die Regelung etwa den Unternehmensstart vereinfacht oder wo vielleicht schon Wettbewerbsverzerrungen auftreten könnten, ist daher auch besonders schwierig.

Viele Betriebe sind klein, haben ihr Handwerk perfektioniert, sind jedoch wirtschaftlich herausgefordert. Die Beschäftigung eines Betriebswirtes ist bei kaum einem Betrieb möglich. Was machen Handwerksbetriebe, um sich strukturell so aufzustellen, um gesundes Unternehmertum leben zu können?
JD:
Wer nach der Meisterqualifizierung noch betriebswirtschaftlichen Weiterbildungsbedarf bei sich sieht, ist mit der Fortbildung zum Betriebswirt im Handwerk gut beraten, die - ebenso wie andere Fortbildungen - auch förderfähig ist. Hier werden neben den wichtigsten Kompetenzen dazu, wie ein Unternehmen zeitgemäß geführt wird, auch Kenntnisse zur strategischen Ausrichtung, über Marketing oder finanzwirtschaftliche Fragestellungen vermittelt. Das alles zu wissen, ist auch im Friseurhandwerk sinnvoll, weil es dort einen intensiven Wettbewerb gibt.

Nicht jedem Handwerker liegt das Unternehmerische. Freilich könnte man nun argumentieren, sie sollen die Finger von der Selbstständigeit lassen, aber wer würde dann noch Salons in ländlichen Strukturen eröffnen und ein flächendeckendes Angebot der Friseurdienstleistung anbieten?
JD: 
Wem eine solche Fortbildung nicht möglich ist, der kann im Handwerk auf ein eigenes Netzwerk von Betriebsberaterinnen und -beratern zurückgreifen. Die stehen für alle Fragestellungen betriebswirtschaftlicher Natur zur Verfügung. Hier lohnt es sich wirklich, auf die eigene Handwerkskammer zuzugehen und den Beratungsbedarf abzustecken. Die kostenfrei tätigen Expertinnen und Experten für Handwerksunternehmen helfen, Chancen und Schwachstellen im Betrieb erkennen, können frühzeitig Maßnahmen einleiten, um den Unternehmenserfolg zu steigern, und wissen Rat bei allen Fragen der Unternehmensführung.

"„Unternehmertum“ ist ein Bildungs- und Karriereziel."

Nebst aller wirtschaftlichen Herausforderungen ist das Handwerk von einem eklatanten Fachkräftemangel betroffen. Gibt es hier bereits Lösungsansätze?
JD:
Natürlich bleibt als größte Herausforderung der Zukunft die Fachkräftesicherung. Es muss gelingen, wieder mehr junge Menschen dafür zu begeistern, eine Ausbildung im Handwerk zu starten. Wir müssen ihnen zeigen, dass im Handwerk echte Bildungskarrieren möglich sind. „Unternehmertum“ ist ein Bildungs- und Karriereziel. Dafür muss auch politisch angepackt werden: In politischen Reden zu betonen, dass das Land nicht nur Master, sondern auch Meister braucht, stimmt zwar, reicht aber nicht. Wer das will, muss auch die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung gesetzlich in einem DQR-Gesetz verankern.

Die Anzahl der Auszubildenden geht im Friseurmarkt überproportional zum Gesamthandwerk zurück. Die Kritik am Dualen Ausbildungssystem wird lauter, es werden Alternativen gefordert. Was braucht ihrer Meinung nach die Zukunft der Ausbildung?
JD:
Insgesamt spüren wir am Ausbildungsmarkt nach wie vor die Auswirkungen der Pandemie. Zu viele Berufsorientierungsmaßnahmen wie Messen oder Praktika sind ausgefallen, viele Jugendliche hatten – und haben – außerdem mit den Auswirkungen zu tun. Im Gesamthandwerk sehen wir in diesem Jahr aber wieder eine leichte Bewegung nach oben. Das liegt auch daran, dass es immer besser gelingt, Klischees abzubauen und stattdessen die modernen Berufsbilder in die Öffentlichkeit und damit auch in die Köpfe von Schülerinnen und Schülern, Eltern sowie Lehrkräften zu bringen.

Sehen Sie das Duale System als zukunftsfähig? Denn woher soll der Nachwuchs denn in Zukunft kommen?
JD: 
Als echter Erfolg hat sich das Portal „Handwerk macht Schule“ erwiesen, an dem auch das Friseurhandwerk mitgearbeitet hat: Mit passgenau zugeschnittenen Unterrichtsmaterialien können Lehrerinnen und Lehrer Schulklassen jeden Alters zeigen, wie vielfältig der Arbeitsalltag und das benötigte Wissen ist: Von der Farbenlehre über Dreisatzberechnungen bis hin zu den benötigten Chemiekenntnissen können so junge Menschen in ihrem Schulalltag abgeholt und ihnen gezeigt werden, wie sich ihr Wissen ins Berufsleben übersetzen lässt. Das macht Handwerk greifbar und ist ein durchschlagender Erfolg: Das Portal ist erst etwas älter als ein Jahr und erreicht mittlerweile fast 300.000 Schülerinnen und Schüler pro Monat!

Herr Dittrich, ich bedanke mich für das Gespräch und freue mich auf Ihren Besuch beim Zukunftskongress und die große Podiumsdiskussion.   

Über Jörg Dittrich

Jörg Dittrich ist Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH). Er ist gelernter Dachdeckermeister, sowie Bauingenieur/Diplom-Ingenieur (FH) für Hochbau.
Seit 1997 ist er gleichberechtigter, alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Dachdeckermeister Claus Dittrich GmbH & Co. KG. Daneben belegt er zahlreiche Ehrenämter, darunter Präsident der Handwerkskammer Dresden, Präsident des Sächsischen Handwerkstages e. V. und andere.

FriseurHandwerk Zukunft meistern

Beim großen Zukunftskongress am 15.1.2024 ist Jörg Dittrich Teil der Podiumsdiskussion, um #NeueWegeFriseurHandwerk zu diskutieren und zu finden. Wir werden am  ► Zukunftskunftskongress politisch.

Wie die Zukunft des Handwerks gemeistert wird, ist auch im Fokus beim Parteitag der Friseure Montag, 15. Januar 2024, in Berlin beim #NeueWegeFriseurHandwerk Zukunftskongress. Branchen-Persönlichkeiten, Politik sowie Presse werden dort versammelt, um Herausforderungen zu adressieren und Lösungen zu formulieren. Ihr seid bereit, neue Wege zu gehen, dann sichert euch Tickets und seid bei der wegweisenden Veranstaltung mit dabei. Mehr Infos zum Zukunftskongress sowie Tickets findet ihr ► hier.