Jörg Müller, Hauptgeschäftsführer Zentralverband des deutschen Friseurhandwerks | Credit: ZV

03.12.2021

Jörg Müller: Ich mahne zur Vorsicht bei unterschwelliger Ausbildung

Die Entwicklung am Ausbildungsmarkt ist anhaltend negativ dramatisch. Welche Hebel bewegt der Zentralverband, wir sprachen mit Hauptgeschäftsführer Jörg Müller …

Ausbildung neu denken ist aktuell eine Serie auf imSalon.de. Wie sehen Sie die Thematik?
Jörg Müller:
Das Ausbildungswesen ist aktuell eine Herausforderung für alle. Die Passgenauigkeit zwischen Salonunternehmern und Bewerbern funktioniert nicht mehr, Salons werden kleiner, Bewerbungen gehen zurück, da hat Corona entscheidend mitgewirkt.  

Nun war der Negativtrend bereits vor Corona dramatisch. Was tut der Zentralverband?
JM:
Wir werden die Ausbildung weiter stärken. Wir fordern eine starke Entlastung der Ausbildungsbetriebe.

„Wir fordern eine Gleichwertigkeit von Studenten und Auszubildenden!“

Können Sie das konkretisieren?
JM:
Zum Beispiel können Studenten sogar bis 25 Jahren bei ihren Eltern familienversichert bleiben, in der Ausbildung zahlt das der Ausbilder. Wir fordern eine Gleichwertigkeit von Studenten und Auszubildenden. Und wir brauchen politische und finanzielle Unterstützung der Ausbildungsbetriebe. Das ist eine zentrale Forderung an die neue Bundesregierung.

Denken Sie, das ist ausreichend?
JM:
Friseure haben in der Corona-Zeit einen enormen Imageschub erlebt. Jedoch gibt es ein demografisches Problem und im Moment sind es leider auch die Eltern, die ihre Kinder von einer Handwerkslehre abhalten. Wir müssen hier viel Aufklärungsarbeit leisten. Der ZDH organisiert hierfür eine millionenschwere Nachwuchskampagne, die langfristig angelegt ist und sehr erfolgreich auch die Friseure repräsentiert.

Imagekampagnen haben offensichtlich in den letzten Jahren nicht allzu viel gebracht. Was soll da anders werden?
JM:
Wir müssen verstärkt Leuchttürme nach vorne bringen, zeigen, was Friseure können. Als Verband beeinflussen wir die politischen Rahmenvoraussetzungen. Jetzt müssen wir das nach draußen kommunizieren, gleichsam lauter werden.

Ausbilder fordern neben der finanziellen Unterstützung auch eine Änderung von Rahmenbedingungen der Ausbildung. Was wird sich hier ändern?
JM:
Wir müssen in Ausbildung investieren und müssen professioneller werden, so wie es Herr Rothenbühler im Interview betont hat. Es gehören Perspektiven aufgezeigt und in breiter Öffentlichkeit Friseurstars und Topsalons präsentiert.

Wer veranlasst das?
JM:
Das kann nur eine gemeinschaftliche Initiative des Zentralverbandes mit anderen Verbänden und der Industrie sein. Daran arbeiten wir, diese Gespräche starten bald.

Viele Ausbilder kritisieren, dass das Berufsbild Friseur veraltet ist. Welche modernen Ansätze dürfen wir hier erwarten?
JM: Wir müssen digitaler werden, dafür werden wir mit einer neuen Ausbildungs-App ein Statement setzen. Das Digitale sollte ja so gestaltet sein, dass es in den Alltag der Auszubildenden passt. Hier arbeiten wir an einem großen Projekt für eine Digitale Ausbildungsunterstützung.

„Ich mahne zur Vorsicht bei unterschwelliger Ausbildung
und dem Trend zu Minijobs.“

Kommt das nicht alles viel zu spät?  
JM:
Ich mahne zur Vorsicht bei unterschwelliger Ausbildung und dem Trend zu Minijobs. Qualitätssicherung muss gewährleistet sein, die Dienstleistung muss erlebbar sein, damit Kunden diese weiter nachfragen und auch gut dafür zahlen.

Die junge Generation hat nun mal andere Vorstellungen, was Ausbildungszeiten anbelangt. Eine dreijährige Lehrzeit ist da häufig abschreckend.
JM:
Unser Ziel muss es natürlich sein, Azubis rasch an den Stuhl zu bringen. Für gute Rahmenbedingungen setzt sich der Zentralverband ein.

„Mindestlohn … durch Preiserhöhungen kaum zu kompensieren sein.“ 

Auch die Entlohnung spielt eine Rolle. Friseurausbildung gehört zu den schlechtbezahltesten Ausbildungsberufen
JM:
Ja, die Ausbildungsvergütung ist eine Challenge, deshalb ist es so wichtig, dass wir Azubis rasch an den Stuhl bringen. Die große Herausforderung ist aber auch der 12 € Mindestlohn. Ich bin entsetzt über die Aushebelung der Mindestlohnkommission durch die kommende Bundesregierung. Für das Friseurhandwerk wird das sehr schwierig, weil es durch Preiserhöhungen kaum zu kompensieren sein wird. 

Können Sie sich vorstellen, dass sich die Friseurdienstleistung langfristig, analog anderer Handwerksberufe, auf einem höheren Preisniveau etabliert?
JM:
Das muss das Ziel sein. Aber für viele Friseure wird es ein schwerer Weg sein, höhere Preise durchzusetzen. Aber es gibt auch Vorbilder, die sich mit spezialisierten Konzepten, zum Beispiel Barber, die ein Marktsegment erfolgreich auf ein höheres Preisniveau gebracht haben.

Aktuell ziehen sich zu viele Betriebe aus der Ausbildung zurück, um flächendeckend den Bedarf an Nachwuchs zu decken.

Viele finden auch keine Auszubildenden!
JM:
Wir müssen um Nachwuchs werben, das wird auch Bestandteil erster Gespräche mit der neuen Regierung sein. Und das Handwerk investiert Millionen in eine große Kampagne zur Nachwuchsgewinnung. Und wir gehen zusätzlich an die Schulen: Unter dem Motto „Handwerk macht Schule“ rücken wir das Handwerk ins Bewusstsein der Schüler und bringen unsere Berufe in den Unterricht. Wir müssen dauerhaft bei den Jugendlichen präsent sein und die Chancen im Friseurhandwerk aufzeigen. Wenn der erste Kontakt erst beim Berufsorientierungskurs am Ende der Schulzeit entsteht, ist es doppelt schwer für eine Ausbildung zu werben.

Was wünschen Sie sich vom Markt?
JM:
Wir sind als Verband offen für alle Stimmen aus dem Markt und ich freue mich über jeden, der mit uns den Kontakt sucht, um weitere Ideen zu besprechen.

Herr Müller, vielen Dank für Ihre Zeit und das offene Gespräch