

02.05.2025
"Was will die Blinde beim Friseur?" - wie man Inklusion lebt (und wie nicht)
Jennifer Sonntag ist fashion- und schönheitsaffine Autorin, Sozialpädagogin, Journalistin und Moderatorin. Sie ist im jungen Erwachsenenalter erblindet und gibt unter anderem blinden Frauen Tipps zum Schminken. Wir haben sie gefragt, worauf Friseure bei sehbehinderten Kundinnen und Kunden achten sollten.
Interview von Katriina Janhunen
Was können Friseure tun, damit sich blinde Kundinnen im Salon wohlfühlen?
Jennifer Sonntag: Viel Kommunikation! Viele Menschen fremdeln mit der Blindheit und wenn keine Willkommenskultur herrscht, ist das für Betroffene erstmal unangenehm. Vieles ist sehr sehend gedacht und als blinde Person kommt man sich wie ein Alien vor. Darum ist im ersten Schritt eine Willkommenskultur wichtig, in der sich keiner fragt „Was will denn die Blinde beim Friseur oder beim Kosmetiker, die sieht es doch eh nicht.“ Den Satz habe ich wirklich schon sehr oft gehört.
Ich habe großes Glück mit meinem Salon, habe aber auch eine Weile gesucht. Meine Friseurin hat für mich eine Führtechnik entwickelt – die weiß, wie sie mich zum Stuhl bringt und wenn sie was nicht weiß, dann fragt sie mich ganz offen.
Was beinhaltet so eine Führtechnik?
JS: Mir ist z.B. wichtig, dass man nicht einfach Mantel, Tasche und Langstock wegnimmt und irgendwo hinstellt, ohne dass ich weiß, wo mein Hab und Gut ist. Für mich verschwindet es dann ja irgendwie im Nirvana und ich bin 2 Stunden lang total nervös, weil ich nicht weiß, wo meine Sachen sind.
Es ist nicht schlimm, wenn man keine Erfahrung mit blinden Menschen gemacht hat, da muss man sich erst herantasten und darf keine Angst vorm Fragen haben. Einfach fragen, ob man zum Stuhl geführt werden möchte, ob man sich einhaken soll oder wie man durch die Tür führen soll. Man darf immer Hilfe anbieten, aber nicht einfach ungefragt machen oder angreifen. Stühle sind auch ein Thema, weil die drehen sich manchmal weg.
"Es hilft, wenn die Friseurin einfach laut ausspricht, was sie tut! „Ich lege ihre Tasche vor ihnen auf die Ablage“
Es hilft, wenn die Friseurin einfach laut ausspricht, was sie tut, also z.B. „Ich lege ihre Tasche vor ihnen auf die Ablage“. Meine Friseurin hat immer kleine Willkommenstafeln mit dem Namen auf dem Platz – das macht sie bei mir auch und sagt mir das dann. Das finde ich eine schöne Geste.
Also viel fragen, viel kommunizieren – dabei sind wir noch gar nicht beim Schneiden angekommen.
JS: Genau, erst mal nur, wie komme ich da hin, wie komme ich rein? Da fängt es schon an! Wie finde ich einen Friseur überhaupt? Wie ist die Anfahrt? Gibt es in der Nähe eine Blindenampel oder ein Blindenleitsystem? Ist die Webseite barrierefrei, sodass ich Informationen überhaupt lesen kann?
Wie wichtig ist das Thema Beratung?
JS: Wenn man falsch beraten wird, weiß man es erst nicht und die anderen sagen dann alle „Wie siehst du denn aus?“. Darum ist es sehr wichtig, eine gute Friseurin zu finden, der man wirklich blind vertrauen kann.
"Es ist ein Unterschied, ob jemand geburtsblind oder später erblindet ist, also eine Farberinnerung hat."
Wie sieht es aus mit Haarfarbe? Das Thema verunsichert, weil viele nicht wissen, wie man mit jemandem über Farbe sprechen kann, der sie nicht sieht.
JS: Es ist ein Unterschied, ob jemand geburtsblind oder später erblindet ist, also eine Farberinnerung hat. Man sollte neu geschaffene Farbbegriffe wie „Mauve“ oder „Taupe“ vermeiden und kann sich herantasten bei der Farbbeschreibung, an welche Farben sich die Person noch erinnern kann. Aber auch geburtsblinde Menschen haben Lieblingsfarben.
Viele blinde Menschen sind traurig über den Verlust von Farbe und wenn sie zum Friseur gehen, interessieren sie sich ja in der Regel für Stil, Form und Schnitt und würden auch Farbe nicht ausklammern.
Was ist Ihnen bei Produkten wichtig?
JS: Das sinnliche gut-riechen und gut anfühlen, spielt eine große Rolle. Ich finde z.B. Haaröl gut, das die Haare glatt macht. Ich bin auch ganz dankbar, wenn man mich zu Produkten berät, vor allem, wenn sich Preise geändert haben oder es Angebote gibt – ob ich es in Anspruch nehme oder nicht, kann ich ja dann entscheiden.
"... andere Qualitäten wie Düfte werden bedeutend..."
Bedeutet Schönheit für Blinde etwas anderes als für Sehende?
JS: Spät Erblindete haben noch die Schönheitsideale aus ihrer sehenden Erinnerung, aber natürlich sucht man auch noch nach anderen Qualitäten wie schönen Düften. In meinen Büchern habe ich oft nach der Antwort gesucht, wie Geburtsblinde Schönheit beschreiben. Ist es eher das Wesen oder ist es eine warme Stimme oder ist es eher die Art sich zu verhalten...
In einem Ihrer Bücher geben Sie Schminktipps für blinde Frauen. Wie reagieren Sie, wenn Sie hören „Wozu schminken sich Blinde denn, weil sie sehen es ja selber gar nicht?“
JS: Früher hat mich das total verletzt, aber jetzt bin ich relativ milde, weil die Person, die jetzt diese komische Frage stellt, kann sich vielleicht nicht vorstellen, wie das ist - wie soll sie auch. Als ich noch gesehen habe, konnte ich mir mit Sicherheit nicht so gut vorstellen, wie blinde Menschen leben.
Es sind auch immer die anderen, die dem Gesicht begegnen. Auch als sehende Person tritt man nicht mit seinem geschminkten Gesicht in die Welt und hält immer einen Spiegel vor Augen, sondern man zeigt das Gesicht den anderen. Als blinder Mensch hat man nur manchmal eine Unsicherheit, ob jetzt was verwischt und ist auf die anderen angewiesen, die einem das sagen. Es schminken sich aber viel weniger blinde Frauen als Sehende – es ist natürlich anstrengender, es passieren leicht Fehler und es fehlt auch das Erlebnis vorm Spiegel, dass man die Veränderung sieht. Bei einer Frisur ist das viel einfacher!
Vielen Dank, Frau Sonntag, für diese spannenden Einblicke!