Credit: Nevitaly Deutschland

28.01.2022

Raffaele Guerra: Friseure haben Angst zu kassieren, was sie wert sind

Der Preis kann sich ausschließlich an Zeit orientieren, niemals am Gender oder an Kurz, Mittel, Lang, das keiner definieren kann. Paketpreise können da helfen, sagt Raffaele Guerra und empfiehlt Salons ausschließlich zu ihrer Expertise stehen und diese auch entsprechend zu verkaufen.

Im Interview mit Juliane Krammer

„Ich bin oftmals schockiert von den Kollegen in der Branche, wie diese die Geschäfte führen!“

Raffaele, du bist Haarstylist, im Bereich Education tätig und bietest Unterstützung in der Salon-Entwicklung. Wie kommt es zu deinem Einsatz für eine Änderung der Preiskultur in der Branche?
Raffaele Guerra: Ich bin 2007 in die Friseur-Welt „reingerutscht“ – als „Mädchen für alles“. Beim damaligen Chef - er ist jetzt mein Geschäftspartner – habe ich die Lehre gemacht, danach die Salonleitung bekommen und dann haben wir gemeinsam den zweiten Salon eröffnet - mittlerweile sind es drei. 2015 habe ich den Meister gemacht, somit kenne ich den Salon-Alltag in- und auswendig. Mein Einsatz für einen Paradigmen-Wechsel der Friseur-Preise kommt daher, dass ich oftmals schockiert bin, wie manche Kollegen die Geschäfte führen.

Du plädierst in den Sozialen Netzwerken für vereinfachte Preise bzw. Preispakete …
RG: Die Preiskalkulation sieht bei vielen Friseuren häufig so aus, dass sie schauen, wie es die anderen machen, daran richten sie dann die eigenen Preise aus. Wer sich ein wenig auskennt, weiß, dass es unwirtschaftlich ist, so zu denken. Wir haben bereits 2006 erkannt: Eine Preisliste darf kein Geheimcode sein!

Wie sah das in der Praxis aus?
RG:
Unsere erste Idee war damals das „Queen for a day“-Paket. In diesen 3h bekam die Kundin ein Getränk, Salat und Bruschetta und natürlich ihr Haarservice. Das hat sich rumgesprochen: Die Kundin hatte einen schönen Haarschnitt, Farbe inklusive Salat und Brot. Diese Donnerstags-Aktion hatte so eine Nachfrage, dass wir Unterstützung an diesem Tag brauchten. Das war die Entstehung der Paketpreise und das Schaffen eine klaren Preistransparenz.
Danach gab es die „129“-Aktion Kampagne. Das war die Zeit als der Ombre Look angesagt war. Um 129 Euro konnte die Kundin ein All-in-One Paket buchen. Es gab eine kleine Beratung und man konnte starten: Schnitt, Farbe und Styling. Der Preis war schon im Vorhinein klar.

"Der Klempner kann das auch! Warum nicht auch wir Friseure?"

Welche Empfehlung hast du für KollegInnen, wenn sie jetzt mit neuen Preisen durchstarten wollen?
RG:
Ich appelliere an ein Umdenken! Man muss sich bewusst sein, dass die Kundin eine gewisse Zeit auf meinem Stuhl sitzt. Bei aufwendigeren Techniken auch länger. Genau das ist der Dreh und Angelpunkt. Wenn man es sauber in Angriff nimmt, rechnet man sich seinen Minuten-Satz bzw. Stundensatz aus – was ist der Friseur wert? Die Behandlung selbst rückt in den Hintergrund, sondern der zeitliche Aufwand ist hier zu kalkulieren.
Nun gibt es einige, die sagen: Ich kann ja nicht in der Stadt die gleichen Preise kalkulieren, wie am Land. Ich sage: doch! Der Klempner kann das auch! Warum nicht auch wir Friseure?

Von 100 Kundinnen ist eine dabei, mit der man eventuell Verlust macht, weil sie eine Überlänge hat oder sehr viele Haare. Die 99 restlichen haben aber keine Haare bis zum Po.

Wenn es so einfach ist, warum wagt die Branche nicht flächendeckend den Schritt und arbeitet nach Stundensätzen?
RG: Friseure stehen sich da leider selbst im Weg. Viele haben Angst und Bedenken und sagen „Was ist, wenn Kundinnen mit ganz langen Haaren kommen oder ganz dicken Haaren?“ Ich nenne das immer die 1% Regel: Von 100 Kundinnen ist eine dabei, mit der man eventuell Verlust macht, weil sie eine Überlänge hat oder sehr viele Haare. Die 99 restlichen haben aber keine Haare bis zum Po.

Meinst du, es ist der Generationen-Wandel und die Änderung des Konsumverhaltens, dass nun Preise neu kommuniziert werden müssen?
RG: Ja, absolut. Es muss doch auch Gleichberechtigung geben! Warum zahlt die Frau doppelt so viel, wie der Mann? Egal wer auf dem Stuhl sitzt: Männlich, weiblich, divers, etc. für 30 Minuten oder 60 Minuten muss ein gewisser Preis kalkuliert werden.

Genauso ist das Denken „Kurz, Mittel, Lang“ sehr veraltet und unverständlich. Wenn ich bei einem Seminar in die Runde frage: „Bis wohin geht bei dir kurzes Haar?“, dann ist die Definition dieser Länge für jeden anders und genauso für die Kundin. Was soll denn die Kundin hier buchen, wenn keiner weiß, was „kurz, mittel, lang“ bedeutet?

Viele ältere Kollegen sind da festgefahren. Ich stelle aber oft die Frage: Was passiert, wenn deine Tochter Pizza bestellen möchte? Es wird gegoogelt, man klickt auf die Plattform, sucht sich ein Produkt aus, erfährt, was man dafür bezahlt und bestellt. Genauso läuft das beim Haarschnitt ab: Google, Auswahl, Buchung. Deswegen müssen Preise auf Instagram, der Website, überall, klar definiert sein. Die Friseure geben diesem Verhalten zu wenig Gewichtung, aber das entscheidet über dein Geschäft.

"Die Salons wollen einfach alles anbieten, anstatt ausschließlich zu ihrer Expertise zu stehen und diese zu verkaufen."

Warum wagen die KollegInnen den Schritt nicht, Preise zu ändern oder fehlt das Bewusstsein, welche Chancen es gäbe?

RG:
Das ist eine Art Verlustangst und Angst vor Veränderungen. Dazu wissen 80% der Friseure nicht, wie gut sie eigentlich sind. Das hat auch mit Selbstwertgefühl zu tun. Wenn ich Italien und Deutschland vergleiche, hat der italienische Friseur ein viel besseres Standing. Das Ansehen hier in Deutschland wird besser, aber viele sagen noch immer „Ich bin nur Friseur“. Dann kommt noch die Angst, das zu kassieren, was sie wert sind dazu. Die Lösung ist: Der Stylist muss sich im Klaren sein, was er kann, was er anbieten möchte. Dann kann er fixe Preise machen. Die Salons wollen einfach alles anbieten, anstatt ausschließlich zu ihrer Expertise zu stehen und diese zu verkaufen. Wir haben 2022. Ich möchte das wirklich in der Branche ändern und wenn da eine große Community entsteht, da schafft man eine Dynamik, die so einiges bewirken kann.

Danke für das spannende Gespräch, Raffaele!

Raffaele Guerra ist für die Marke Nevitaly in Deutschland für den Bereich Education und Salonentwicklung tätig. Seit Anfang des Jahres komplettiert er das internationale Creative Team der italienischen Marke. Auf seinen Sozialen Kanälen gibt er Tipps rund um das Thema Salongestaltung mit der Ambition ein Umdenken in puncto Salon-Preise in der Branche zu schaffen. Er und sein Geschäftspartner Francesco Gammuto werden auch als „Erfinder der Paketpreise“ in der Branche bezeichnet.