Paula Gerardu weiß, wie schwer es ist, sich für seine Ausbildungswahl zu rechtfertigen | C: Paula Gerardu

29.09.2021

Paula Gerardu: Keine Lust mehr, mich für die Berufswahl zu rechtfertigen

Paula will Friseurin werden, doch das Umfeld hat eine eigene Meinung und stellt die Frage, ob FriseurIn ein richtiges Handwerk ist. Wie geht man als begeisterter Azubi mit abschätzenden Haltungen um und schafft es dennoch zu gewinnen …

Für Paula Gerardu stand bereits mit 15 Jahren fest, dass sie Friseurin werden möchte. Dafür musste sie sich in der Schule bei den Lehrern rechtfertigen und in einigen Kreisen ihre Begeisterung für den Friseurberuf ständig erklären. Sie startete in der Pandemie ihre Ausbildung und gewinnt noch vor ihrer ersten Zwischenprüfung den Cutting Edge Award 2021in der Kategorie Young Artist!

Was wir von einer Friseurauszubildenden lernen können…

Paula Gerardu im Gespräch mit Birgit Senger

Wann hast du dich dazu entschlossen Friseurin zu lernen?
Paula Gerardu
: Ich wusste schon mit 15 Jahren, dass ich Friseurin werden möchte. Nach dem Abitur habe ich erstmal ein Praktikum bei der Haarmanufaktur Can gemacht und mich dann dafür entschieden.Meine Eltern fanden es von Anfang an total cool.  Leider habe ich oft erlebt, dass die Lehrer meinen Entschluss nicht so lustig fanden und dass in bestimmten Kreisen eine Ausbildung nicht den gleichen Stellenwert hat, wie ein Studium. Ich musste mich da teilweise schon krass rechtfertigen.

Mit welchen Aussagen wird man da konfrontiert?
PG:
Leider begegnet man bei vielen Leuten auf eine Abneigung zu einer Ausbildung im Handwerk. Vor allem den alten Lehrern gegenüber musste ich mich ständig erklären. „Ach Paula, warum denn? Bist du dir sicher? Möchtest du nicht lieber studieren gehen?“ Und den Satz, den ich ganz oft zu hören bekomme. „Na, dann machst du das erst mal und danach machst du bestimmt was anderes.“ Dann denke ich immer: warum eigentlich? Vielleicht mach ich das auch mein ganzes Leben lang, warum brauch ich eine Option?

Was glaubst du, warum ist das so?
PG:
Ich spüre, dass die Haltung allgemein Handwerksberufen gegenüber ablehnender ist. Eine Diskussion, die ich leider auch sehr häufig führen muss, ist, ob FriseurIn eigentlich ein richtiges Handwerk ist. „Das ist doch nur ein bisschen schnacken und mit den Händen was machen, mehr auch nicht.“ Auch bei diesem Punkt habe ich das Gefühl wird dem Friseurberuf sehr viel abgesprochen.

Wie geht man damit um?
PG:
Das nervt mich sehr. Zum Glück merkt mein engeres Umfeld, dass die Arbeit mich glücklich macht und dass es mir damit gut geht. In meinem Freundeskreis ist es auch sehr durchmischt, einige studieren, die anderen machen unterschiedlichste Ausbildungen. Ich verstehe es nicht und es macht mich sauer, dass mein Beruf vor allem von älteren Menschen abgewertet wird. Sicherlich fällt es mir noch mehr auf, seit ich ihn selbst erlerne, ich finde es absolut nicht gerechtfertigt.

Hast du eine Idee, wie man die Attraktivität des Friseurberufes besser kommunizieren könnte?
PG:
Das frage ich mich oft. Mit Attila schaue ich mich oft auf Social Media um. Vieles, was wir sehen ist schon eine Art von Kunst und ein gutes Mittel, um zu zeigen, was Friseure so können. Auf der anderen Seite findet man aber auch Videos, wie man sich ganz schnell den Pony selber schneiden kann. Auch schwierig.

Was würdest du in der Friseurbranche gerne verändern?
PG:
Die Frage find ich sehr schwer zu beantworten, ich fasse ja gerade erst Fuß in der Branche und steh noch ganz am Anfang. Ich saug erst mal alles auf, was ich kriegen kann.

„…da hat man das Gefühl, es wird vieles so gemacht, weil es seit 100 Jahren so gemacht wird.“

Gibt es in der Ausbildung etwas, was man aus deiner Sicht verbessern könnte?
PG:  
Ich denke man könnte über bestimmte Prüfungssituationen nachdenken. Viele tun sich mit der Dauerwelle schwer, da hat man das Gefühl, es wird vieles so gemacht, weil es seit 100 Jahren so gemacht wird. Bitte nicht falsch verstehen, ich kann sehr gut verstehen, dass Handwerkskünste erlernt und weitergegeben werden müssen. Ich denke, es ist wichtig Wellen wickeln zu können. Das Thema Dauerwelle ist bei mir gerade sehr präsent, weil es Hauptbestandteil meiner Zwischenprüfung in drei Wochen ist. Aber bisher kannte ich Dauerwelle nur noch von meiner Oma. Zum Glück wurden die Richtlinien so gelockert, dass die Wickelstärke nicht festgelegt ist. Ich habe ein junges Modell und möchte ihr eine modisches Welle machen, die auch zu ihrem Typ passt.

Wieviele Leute, die du kennst, haben eine Dauerwelle?
PG:
Wie gesagt, meine Oma lässt sich ab und zu noch eine Dauerwelle machen. Zu uns in den Salon kommen vielleicht 5 Kunden regelmäßig zur Dauerwelle. Bei den Männern ist sie gerade ein Trend. Ich finde es sehr wichtig, Grundtechniken zu erlernen. Ich würde in einer Prüfungssituation jedoch auch gerne modisch und typgerechte Arbeit abliefern dürfen.

Was sind deine Ziele?
PG:
Mein erstes Ziel ist meine Ausbildung abzuschließen und dann bin ich mir sicher, dass ich in dem Jahr nach der Ausbildung noch viel lernen werde. Das stelle ich mir spannend vor. Für danach hab‘ ich ganz vieles im Kopf und sehe einige Optionen, Meisterprüfung ablegen, an weiteren Wettbewerben teilnehmen...

Wie bist du darauf gekommen am Cutting Age Award teilzunehmen?
PG:
  Ich war fasziniert von dem Prozess, der hinter der Teilnahme steckt. Von der ersten Idee, bis zu den Fotos, die man auswählt und einreicht. Ich habe mich viel mit Attila (Attila Can, Haarmanufaktur Can) unterhalten. Er hat auch beim Cutting Age Award teilgenommen hat und mir begeistert Tipps gegeben. Ich bin voller Neugier diesen ganzen Prozess zu durchlaufen.

Hattest du rasch eine Idee, was du einreichen möchtest?
PG:
Ja, tatsächlich. Die ersten Gedanken und das Modell waren gleich in meinem Kopf.

Welche Erfahrungen hast du während des Prozesses gemacht?
PG:
(Lacht) Auf jeden Fall, dass nicht immer alles so klappt, wie man sich das vorstellt. Wenn man merkt, dass die Voraussetzungen plötzlich andere sind, die Haare des Models feiner als gedacht, muss man spontan reagieren können. Es bringt gar nichts, stur am Plan im Kopf festzuhalten, sondern schnell zu reagieren, sich den Gegebenheiten anzupassen und eine neue Möglichkeit zu finden. Das war eine gute Erfahrung.

Wie haben deine Kollegen auf den Sieg reagiert?
PG:
Es freuen sich alle sehr für mich und es war voll schön, dass wir die Award Verleihung alle gemeinsam im Salon mitverfolgt haben. Die Stimmung während der Vorbereitungen im Salon war schon sehr schön. Jetzt ist es Gesprächsthema und auch einige Kunden sprechen mich darauf an, aber sonst hat sich nichts groß geändert.

Wirklich nichts?
PG:
Ok, ich bin selbstbewusster geworden.

Wie haben Freunde und Familie reagiert?
PG:
Die haben sich krass gefreut und waren begeistert, Es ist eine schöne Erfahrung, zu sehen, dass ich meinen Job gut mache und Leute das auch anerkennen. Eine schöne Bestätigung.

Könntest du dir vorstellen dich selbständig zu machen?
PG:
Soweit bin ich im Kopf noch nicht. Ich bin jetzt 22 und bin kurz vor der Coronakrise in den Job gestartet, wo man auch die Schattenseiten einer Selbständigkeit vor Augen hatte. Ich könnte mir vorstellen mal im Theater oder als Hair & Make-up Artist zu arbeiten, das machen ja viele auch auf selbständiger Basis. Aber erst einmal fühle ich mich im Friseursalon genau richtig und freu mich auf vieles, was ich noch lernen kann. Es ist toll zu wissen, dass ich mit meiner Ausbildung später in so vielen unterschiedlichen Bereichen arbeiten kann.

Wie könnte man diese tolle Ausbildung für junge Menschen interessanter machen?
PG:
  Ich denke, was zieht ist Kreativität, durch den ganzen Input an Bildern, die wir durch Social Media konsumieren, wird das Verlangen mit den Händen auch selbst etwas zu erschaffen größer. Was auf jeden Fall ein Punkt ist und da sind wir bei den ernsteren Themen, ist die Bezahlung und die Arbeitszeit. Beides ist, wenn man von der Schule kommt, nicht das attraktivste. Dadurch, dass ich mir zu 100% sicher war, dass dieser Beruf das ist, was ich machen will, war es für mich ok. In der Berufsschule lerne ich aber auch Leute kennen, die die Ausbildung nur machen, weil sie sonst nichts bekommen haben oder unzufrieden sind, weil sie alternativ auch ungelernt an der Supermarktkasse das gleiche Geld verdienen könnten. Für mich nicht so ein Thema, weil ich für mich nach meiner Ausbildung deutlich bessere Aufstiegschancen sehe. Was mich tatsächlich vor meiner Ausbildung sehr gestresst hat, war die Vorstellung Samstag arbeiten zu müssen.  

Und wie siehst du das heute?
PG:
Zum Glück ist es nicht so schlimm, wie ich mir das vorgestellt hatte. Ich glaube, es ist eine Frage der Organisation, die wenige Freizeit besser zu nutzen. Zur Schulzeit war ich halt immer um 15 Uhr zu Hause. Unser Salon hat an 2 Wochentagen bis 20 Uhr geöffnet und anstatt am Wochenende 2 Tage, steht mir nur noch der Sonntag als gemeinsamer freier Tag mit Familie und Freunden zur Verfügung. Ich verstehe, dass wir unsere Öffnungszeiten so gestalten, dass Berufstätige auch die Möglichkeit haben zum Friseur zu gehen. Ab und zu finde ich es Freitagabends schade, dass ich mich mit meinen Freunden nicht über ein gemeinsames Wochenende freuen kann.

Wenn ich mir einen neuen Job als Friseurin suchen wollte, nach welchen Kriterien sollte aus deiner Sicht auswählen?
PG:  Was ich ganz wichtig finde ist ein gutes Team
. Wie ist das Team aufgebaut? Wie ist der Umgang miteinander? welche Arbeitsatmosphäre herrscht? Werden dort verschiedene Techniken angeboten und ist man Neuentwicklungen aufgeschlossen? Wird Wert auf Schulung, Seminare und Weiterbildung gelegt? Gibt es Zeitrichtlinien? Abfertigung der Kunden oder Akkordarbeit würden mich unglücklich machen. Generell sind Zeitrichtlinien wichtig und zeigen, wie professionelle gearbeitet wird.

Liebe Paula, vielen Dank für das aufrichtige Gespräch. Ich wünsche dir viel Erfolg bei der Zwischenprüfung. Du kannst wirklich mächtig stolz sein, schon so jung im Beruf einen Award abgeräumt zu haben.

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