Credit: Silke Kiefer

03.05.2023

Natascha Delrue: Ich verrechne 1,50€ pro Minute im Salon

Herausragend, schnell und billig geht nicht. Deswegen bezahlt die Kundschaft in Natascha Delrues Salon in Darmstadt pro Minute. Wie das in der Praxis funktioniert, erzählt sie im Interview.

Im Interview mit Juliane Krammer

In deinem Salon verrechnet ihr nicht nach Länge, sondern nach Minuten. Seit wann führst du dieses Preiskonzept und was war ausschlaggebend dafür?
Natascha Delrue:
Mit der Eröffnung meines Salons im Juli 2020 habe ich diese Art der Preiskalkulation eingeführt, um Preise fairer und transparenter für alle zu machen. In der Preisgestaltung kommt es immer wieder zu Missverständnissen. Eine Kalkulation nach Zeitaufwand soll Klarheit schaffen.

Hast du ein konkretes Beispiel?
ND:
Zum Beispiel Langhaar-Kundinnen. Sie lassen oftmals nur ihre Spitzen schneiden. Das fand ich einfach unfair. Warum 75 Minuten bezahlen, wenn der zeitliche Aufwand geringer ist?

Die Bezeichnung deiner Schnitte sind nun von XS bis L angeführt. Wie nimmt die Kundschaft diese Art der Preise an?
ND:
Es hat ein halbes Jahr in Anspruch genommen, unsere Preistabelle zu erklären. Mittlerweile weiß die Kundschaft aber, dass wir Minutenpreise kalkulieren. Wir haben uns um die Kommunikation gekümmert und auch ein Erklär-Video gedreht. Neukundschaft weisen wir immer vor dem ersten Besuch auf unsere Preisgestaltung hin: Je nach Dauer werden dann die Schnitte XS, das sind 30 Minuten, bis L – 100 Minuten - verrechnet.

"Material-Aufschlag ist eine eigene Position. Wenn ich mehr Farbe, Produkt, … etc. benötige, wird das extra verrechnet."

Was passiert nach den 100 Minuten?
ND:
Es gibt einen Zeitaufschlag. Pro 10 Minuten werden 15,60 € dazugerechnet. Das ist ein Minutensatz von 1,56 €. Hier sind Gemeinkosten, Lohnkosten, Rücklagen, … beinhaltet.
Material-Aufschlag ist eine eigene Position. Wenn ich mehr Farbe, Produkt, … etc. benötige, wird das extra verrechnet.

Gibt es am Ende des Service für die Kundschaft nicht eine Preis-Überraschung?
ND:
Nein. Wir erstellen einen Behandlungsplan. Darin überschlagen wir, wie viel Zeit alles in Anspruch nehmen wird, mit dem Hinweis, dass ein „Aufschlag“ möglich ist.

Wann gab es bei dir die letzte Preiserhöhung?
ND:
2020 lag ein 60-Minuten-Schnitt bei 83 €, jetzt verrechne ich 90 €. Ziel ist, dass wir mit 100 € brutto die Stunde abschließen. Wenn ich meinen Mitarbeitern, der Kundschaft und mir viel ermöglichen will, ist das notwendig.
In meinem Salon gibt es Klasse statt Masse. Qualität, Weiterbildung und die Gesundheit meiner Mitarbeiterinnen sind mir wichtig. Deswegen plane ich auch mit einer geringeren Auslastung. Bei uns gibt es eine Wellness-Auszeit, da gehört Service, aber auch die Einrichtung mit dazu. Letzteres muss genauso up to date sein, um angemessen Preise kalkulieren zu können.

"Herausragend, schnell und billig geht nicht. Ich empfehle in so einem Fall gerne an andere Salons weiter ..."

Zurück zu den Minutenpreisen: Nimmt die Kundschaft die Preise einfach so hin oder wird auch gefeilscht, damit aus einem „L“-Schnitt, doch ein „M“ wird?
ND
: Bei mir ist das nicht der Fall. Denn, was gut werden will, braucht Zeit. Herausragend, schnell und billig geht nicht. Ich empfehle in so einem Fall gerne an andere Salons weiter – die Kundschaft muss ins Konzept passen und beide Seiten müssen sich wohlfühlen.

Klappt das auch bei deinen Mitarbeiterinnnen?
ND:
Es gab sogar einmal den Fall bei einer Kurzhaar-Kundin, die unbedingt einen XS-Schnitt, also 30 Minuten, bei meiner Mitarbeiterin buchen wollte. Ich habe ihr unser Konzept noch einmal erklärt und ihr gesagt, dass mein Team nichts in die Länge zieht und ihr verständlich gemacht: „Für deine Haare musst du eine Stunde bezahlen. Wenn du das nicht möchtest, musst du dir einen anderen Salon suchen.“

Du hast selbst die Lehre gemacht und in Salons wird sehr oft Wert daraufgelegt, schnell zu sein und viele Kunden zu schaffen. Warum hast du dich für den anderen Weg entschieden?
ND:
Ich hatte schon immer ein unternehmerisches Denken, in der Lehre sowie als Mitarbeiterin. Damals war mir schon klar: Je schneller du arbeitest, desto ungenauer wird deine Arbeit. Deswegen: Höhere Preise, keine Abfertigung.

In Zeiten von Genderbending und Diversität, führst du den Herrenhaarschnitt extra an. Wie kalkulierst du bei Männern mit langem Haar?
ND:
Der Herrenhaarschnitt ist mit 40 Minuten + Materialkosten extra angeführt. Es ist eigentlich kein Unterschied. Wir haben den Schnitt extra angeführt, damit keine Fragen aufkommen. Es gibt bei uns Kinderhaarschnitte auf der Preisliste. Bis 12 Jahren werden diese im 10-Minuten-Takt abgerechnet. Ich bin Mutter von 3 Jungs und ich weiß, wie anstrengend es sein kann, mit Kindern zum Friseur zu gehen. Deswegen: Kind darauf vorbereiten und vor dem Friseur-Termin austoben lassen. Je weniger Zeit, umso günstiger wird es. (lacht)

Hast du Empfehlungen für eine Umstellung auf eine Minutenkalkulation?
ND:
Den eigenen Laden nicht durch die rosarote Brille sehen.

"Man muss mit sich selbst und seinem Salon knallhart ins Gericht gehen."

Was darf man darunter verstehen?
ND:
Alles genau unter die Lupe nehmen und hinterfragen, ob die Qualität noch passt. Haben meine Stühle Risse, muss mein Interieur angepasst werden? Schneidet mein Mitarbeiter nur mit Maschine? Bedarf es einer Weiterbildung? Muss ich mich von Mitarbeitern trennen? Man muss mit sich selbst und seinem Salon knallhart ins Gericht gehen. Das kann sehr unbequem sein.
Deine Preise müssen mit deiner Qualität und deinen Zielen einhergehen. Es hilft, sich vorzustellen, was und wen man erreichen will, um herauszufinden, was man dafür tun muss. Für mich war immer klar: Wenn du dich selbstständig machst, wirst du der teuerste Salon der Stadt. Das kann ich mir auch erlauben, da ich ein einzigartiges Konzept habe. Ich habe viel investiert, es lohnt sich.

Hattest du je Zweifel an deinem Konzept und der Minutenkalkulation?
ND:
Ein gesundes Maß an Zweifel brauchst du, um aufmerksam zu bleiben.

Wo soll es nun hingehen?
ND:
In 5 bis 10 Jahren möchte ich ein zweites Geschäft eröffnen und meine Mitarbeiter selbst ausbilden. Mein Wunsch ist, dass sämtliche Kollegen nachziehen, damit wir gemeinsam ein Umdenken beim Endverbraucher schaffen. Ich möchte überzeugen, mutig zu sein und ordentlich zu kalkulieren. Gerade wir Frauen sind viel zu zaghaft in unserem Business. Wenn du etwas verändern willst, brauchst du Mut.

Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für die Zukunft!