

13.06.2025
„Es ist erschreckend, wie viele Jungmeister fachlich nichts vorweisen können“
Unser Ausbildungssystem steht auf der Kippe, So-wie-immer und Konkurrenzdenken stehen häufig im Weg und ein Ausbildungssystem, das auf der Kippe steht. Als Friseurunternehmerin mit akademischer Ausbildung sieht Julia Goray vieles durch die Change-Management-Brille und hat Verbesserungsvorschläge.
Julia Goray, ist seit 30 Jahren Friseurin und seit 20 Jahren Meisterin. Vor 7 Jahren begann ihre akademische Weiterbildung. Erst Bachelorstudium dann Masterstudium mit dem Fokus Changemanagement. Die akademische Weiterbildung hat viel getriggert, unter anderem im Führungsdenken. 2019 führte es dazu, dass sie ihr eigenes Unternehmen gründete. Heute hat sie 18 Mitarbeitende, inklusive 4 Auszubildende.
Julia Goray im Gespräch mit Raphaela Kirschnick
Du bist Friseurin, hast auch die akademische Seite im Studium kennengelernt und sagst Friseure machen intuitiv viel richtig. Was machen sie denn richtig?
Julia Goray: Die menschliche Kompetente, das ist das, was den Friseuren sehr gut liegt: Kunden zu verstehen, Mitarbeitende zu führen und Menschen empathisch gegenüberzutreten. Das ist sehr zeitgemäß, dennoch befinden wir uns in herausfordernden Zeiten und es gilt nun sich auch existenziellen Fragen, was Wirtschaftlichkeit und Organisation betrifft, zu stellen. Vielen Friseuren fehlen grundlegenden Managementkenntnisse.
Wenn du sagst "Menschen verstehen", inwieweit hilft das im Business?
JG: Konkret in der Mitarbeiterführung, denn Friseure kommunizieren sehr gerne und gerade in den Führungspositionen wissen sie wie.
Und wo gibt es Verbesserungsbedarf?
JG: Leider gibt es einen Satz, der mir auch im Umgang mit dem eigenen Business immer wieder begegnet: „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Das ist fatal, denn heute werden andere Konzepte gefordert. Die Menschen haben sich verändert, junge Leute brauchen andere Führungs- und Arbeitskonzepte.
Zum Beispiel?
JG: Flexible Arbeitszeiten sowie Entwicklungsmöglichkeiten sind Themen. Ab 1. Juli haben wir 5 Auszubildende, Ausbildung ist ein irre wichtiges Thema. Theorie ist gut und schön, aber die jungen Leute wollen Praxis, sie wollen handwerklich tätig sein, sie wollen jeden Tag sehen, was sie geschaffen haben, sie wollen die handwerkliche Freude an den Dingen, die sie umsetzen. Das erfordert sehr viel Veränderungsbedarf, und da muss bald viel passieren.
„Fakt ist, unser Ausbildungssystem steht auf der Kippe.“
Wir haben beim Zukunftskongress im Januar gesehen, wie starr die Strukturen sind und wie langsam die Mühlen mahlen. Der Nachwuchsrückgang ist fatal und gerade mal 10% der Betriebe bilden noch aus. Hast du große Hoffnung auf baldige Änderung?
JG: Tatsächlich nein. Aus eigener Erfahrung weiß ich, welch unglaublicher Invest die Ausbildung für einen Unternehmer ist. Ein Auszubildender kostet ein Unternehmen in drei Jahren um die 30.000€, man investiert viel Zeit, in der Umsatz verloren geht, das ist teuer und dann bleiben die Auszubildenden womöglich nicht. Den meisten Unternehmen, mit denen ich spreche, sind drei Jahre viel zu lange. Ich bin überzeugt, wenn wir die Ausbildungauf 2 Jahre intensiv reduzieren würden, würden viel mehr Betriebe wieder ausbilden wollen.
Fakt ist, unser Ausbildungssystem steht auf der Kippe.
„Private Friseurakademien gewinnen immer mehr an Bedeutung“
Wenn sich von oben nichts bewegt, wie wird es sich dann von selbst regulieren?
JG: Private Friseurakademien gewinnen immer mehr an Bedeutung und werden sicher bald eine Konkurrenz zu unserer dualen Ausbildung sein. Das könnte eine Zukunft sein.
Das würde eine Privatisierung der Ausbildung bedeuten?
JG: Genau, hin zu mehr Eigenverantwortung.
„Es ist erschreckend, wie viele Jungmeister fachlich nichts vorweisen können…“
Es wird viel bemängelt, dass das Niveau der Junggesellen nicht das Beste ist. Wie ist hier deine Erfahrung?
JG: Auch das ist erschreckend. Bei uns bewerben sich nicht nur Junggesellen, sondern auch Jungmeister, selbst diese bringen häufig Nullqualifizierung mit und können fachlich nichts vorweisen. Dann schaue ich nach Spanien, Frankreich, Holland oder auch England, da gibt es keine Handwerkskammern und keine Berufsschulen, da ist es stark privatisiert und da läuft das viel erfolgreicher.
Was machen die besser?
JG: Die jungen Menschen gehen mit Eigenverantwortung und Überzeugung an den Start und werden in einer sehr kurzen Zeit zu richtigen Profis. Es würde sich lohnen, unseren Nachbarn ein bisschen mehr über die Schulter zu schauen.
Da haben jetzt einige Schnappatmung. Du bist doch selbst in der Innung? Wird da nicht massiv an der Dualen Ausbildung festgehalten?
JG: Innungen brauchen mehr junge Leute, das ist, glaube ich, allgemein gesehen nicht nur in Koblenz, sondern auch deutschlandweit der Fall. Neue Blickwinkel, anstelle des Festhaltens am So-wie-immer, werden bald überlebenswichtig.
Was braucht das Verbandswesen?
JG: Es braucht Change-Prozesse, die Mut aufweisen und neue Wege gehen.
Viele geben auf, weil sie das als Kampf gegen Windmühlen sehen. Wie könnte man junge Menschen begeistern für diesen wertvollen Einsatz?
JG: Viele Junge steigen leider bereits aus, wenn sie ehrenamtlich hören. Wozu für eine Branche kämpfen, die dann auch noch undankbar ist, wenn du nichts dafür bekommst.
Also, was sind deine Lösungsvorschläge?
JG: Die Friseurbranche war viel zu lange leise und hat erst jetzt angefangen etwas lauter zu werden und das ist sehr gut so. Wir müssen weiterhin laut bleiben und noch stärker in der Politik und Öffentlichkeit einsetzen.
Was würdest du gerne unmittelbar jetzt in eurer Innung verändern?
JG: Es würde uns guttun, wenn wir mehr Mitglieder hätten. Wir haben leider in den letzten Jahren einige Mitglieder verloren, weil die genauso wenig den Sinn darin sehen und nicht wissen, wohin ihre Gelder fließen. Gerade Betriebe, die ausbilden, brauchen mehr Unterstützung, sei es politisch oder auf der Fachebene.
Die Innung Hanau hat jetzt einen eigenen Posten für politische Lobbyarbeit geschaffen. Wie findest du das?
JG: Genau das ist ein guter Ansatz, so dass wir uns politisch einfach mehr engagieren. Es braucht weitaus mehr politische Aufklärung als das bisher unternommen wurde. Viele Unternehmen wissen gar nicht, was macht denn eigentlich eine Innung oder was macht jetzt auf einmal die Friseurbranche in Berlin und warum kämpfen wir für gewisse Tarifverträge und so weiter. Jemanden zu beauftragen, der sich ganz speziell um die politischen Agenden kümmert, das finde ich einen super Ansatz.
„…es gibt leider viel zu viele Unternehmen, die nicht kalkulieren können, die ihre Kostenstrukturen nicht kennen,…“
Tarifverträge wurden in manchem Bundesland seit Jahrzehnten nicht angefasst worden, das Niedriglohnimage zementiert sich weiter. Wo siehst du hier Änderungsmöglichkeiten?
JG: Bei uns im Rheinland wurden die Tarifverträge angefasst. Da gab es auch einen Riesenaufschrei. Hier komme ich wieder auf Change-Management zu sprechen, denn es gibt leider viel zu viele Unternehmen, die einfach nicht kalkulieren können, die ihre Kostenstrukturen nicht kennen, die ihre Preise nicht kennen. Da werden Preise PI mal Daumen mit Blick auf die Preisliste der Konkurrenz gemacht, so kann man sich nicht weiterentwickeln.
„Wir müssen aber auch Abstand nehmen vom Konkurrenzdenken.“
Welche Tipps gibst du deinen Kollegen, um Change-Management Techniken einzubetten.
JG: Jeder Unternehmer muss zuallererst bei sich anfangen und sich mit seinen unternehmerischen Herausforderungen auseinandersetzen? Es gibt viele Möglichkeiten sich spezifisch weiterzubilden, sei es in der Innung oder sei es mit der Industrie. Wir müssen aber auch Abstand nehmen vom Konkurrenzdenken. Wir sind ja gerade mit Wella auf Malta und der Austausch mit anderen Unternehmerinnen und Unternehmern ist sehr wertvoll. Ich hatte in den vergangenen Tagen unzählige Gespräche mit Friseuren oder Friseurunternehmer*innen, zu Ausbildungskonzepten, Preiskalkulation und da ist immer auch ein Lerneffekt dabei.
Vielen Dank Julia, für dieses Gespräch und noch weiterhin tolle Gespräche hier beim Wella Destination Event, die auch ich sehr genieße.
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