29.01.2021
Dr. Thomas Fischer: Die Branche muss schrumpfen, um gesund zu wachsen
Der Geschäftsführer der Aida Friseure Unternehmensgruppe ist verärgert über die Politik und fehlenden Lobbyismus, setzt auf Mitarbeiter und Filialflexibilität, Preisanpassung und baut Kosmetik aus…
Im Gespräch mit Raphaela Kirschnick
Herr Dr. Fischer, wie geht es Ihnen im jungen 2021?
Dr. Thomas Fischer: Meine Familie und ich persönlich sind gesund. Der Unternehmensgruppe geht es den Umständen entsprechend gut. Wir sind mit enormen Anstrengungen und besonderen Engagement unserer Mitarbeiter durch das Jahr 2020 gekommen. Die Leistungsträger des Unternehmens haben ihre Ärmel hochgekrempelt und sind mit vielen Lerneffekten durch das Krisenjahr gekommen.
Welche Lerneffekte sind hervorzuheben?
DrTF: Organisation, Logistik, Abstimmung und Kommunikation sind das A und O in der Krise, insbesondere auf Mitarbeiterebene. Einige Mitarbeiter konnten ihren persönlichen Umsatz steigern. In der Unternehmensgruppe liegen wir -18% unter Plan. Insgesamt wird die Unternehmensgruppe nach den aktuell vorliegenden Zahlen eine schwarze Null schreiben.
Welche Zuschüsse waren für Sie hilfreich?
DrTF: Im 1. Lockdown haben wir für die Unternehmensgruppe nicht rückzahlbare so genannte Corona Soforthilfe erhalten. Bezogen auf alle Filialstandorte ist das ein Betrag von 2.500€ je Filiale. Verglichen mit den Corona-Hilfen für andere Branchen und Konzerne ist das nicht sonderlich viel. Im 2. Lockdown konnten wir bisher für November und Dezember keine externen finanziellen Hilfen in Anspruch nehmen.
„Reserven … striktes Kostenmanagement“
Wie haben Sie ihr Unternehmen liquid gehalten?
DrTF: Wir verfolgen ein nachhaltiges Liquiditätsmanagement. Das ist das Ergebnis von zwei Faktoren: Erstens erfolgreiche zurückliegende Geschäftsjahre, in denen wir Reserven aufbauen konnten. Zweitens ein striktes Kostenmanagement in allen Bereichen der Unternehmensgruppe.
Was hat ihr Kostenmanagement beeinflusst?
DrTF: Wir haben einigen unserer Filialleiterinnen mehr Verantwortung für die Standorte übertragen, um flexibler in den lokalen Märkten zu agieren. Das war wichtig, um die maximal mögliche Flexibilität zu realisieren. Dies hat sich vor allem bei den individuell angepassten Öffnungszeiten ausgezahlt, um Mitarbeitereinsatz und Hygienekonzepte optimal aufeinander abzustimmen.
Filialföderalismus als Schlüssel?
DrTF: Natürlich kann man das nicht allen Führungskräften an die Hand geben. Es kommt auf die jeweiligen Persönlichkeiten an, einige sind emotionaler und stärker im Personalmanagement, andere sind betriebswirtschaftlich stärker. Es kommt vor allem auf die Stress-Resistenz an.
Ende Januar beginnen interne regionale Gespräche und Meetings zwischen unserer Geschäftsführerin Vertrieb und den Führungskräften. Dabei werden die Erfahrungen und Ergebnisse miteinander ausgewertet und abgestimmt, um gemeinsam den bestmöglichen Geschäftsstart vorzubereiten. Noch wissen wir ja auch nicht, wie es weiter geht mit dem Lockdown, Home-Schooling und Co.
Gibt es Corona Hilfen, die Sie nutzen?
DrTF: Wir haben den einmalig steuerlich begünstigten Corona Bonus leistungsbezogen für Mitarbeiter in den Filialen und der Verwaltung eingesetzt.
Da wir ein sehr attraktives Provisionssystem in allen Unternehmen der Gruppe haben, wurde der Corona Bonus on top gezahlt. In der jetzigen Situation betrachten wir dies als sehr wichtige Wertschätzung für unsere Mitarbeiter.
Wie hat sich der Umgang mit Mitarbeitern durch Corona verändert?
DrTF: Das größte Problem ist die Unsicherheit in Bezug auf die Dauer des Lockdowns.
Mitarbeiter wollen endlich wieder durchstarten. Man darf nicht vergessen, bei einigen gibt es echte Existenzängste. Aktuell wurde der Lockdown bis 14. Februar 2021 verlängert und ich glaube nicht, dass dies der letzte Lockdown sein wird.
Wie führen Sie in dieser Zeit?
DrTF: Die gesamte Geschäftsführung ist im regelmäßigen persönlichen Kontakt mit allen Führungskräften und informiert alle Mitarbeiter über die aktuellen Entwicklungen. Jedem Mitarbeiter wurde ein persönliches Schreiben zum Neujahrsfest gesendet. In diesem Schreiben hat sich die Geschäftsführung persönlich für das Engagement bedankt. Den Dank und die Anerkennung vieler Mitarbeiter habe ich in vielen Gesprächen und persönlicher Post deutlich gespürt. Dies hat mich emotional sehr berührt. Die aktuelle Situation erfordert besonders viel Empathie.
„Meine Aufgabe als Unternehmer ist es Liquidität zu steuern und Mitarbeitern ein Gefühl der Sicherheit zu geben“
Worin sehen Sie Ihre Hauptaufgabe als Unternehmer?
DrTF: Meine Aufgabe als Unternehmer ist es, Liquidität zu steuern und Mitarbeitern ein Gefühl der Sicherheit zu geben. Dies ist übrigens eine wesentliche Herausforderung vieler Führungskräfte.
Mitarbeiter haben das Recht auf persönliche Kommunikation. Denn wenn ein Mitarbeiter unsicher ist, spürt das der Kunde, spürt es das Unternehmen, spürt es der Chef.
„Unserer Branche fehlt es an professionellem Lobbyismus,
das ärgert mich maßlos.“
Welche Chancen verpassen wir zur Zeit?
Dr. TF: Jetzt ist die Zeit der Schreihälse, wenn Sie keinen haben, ist das schlecht für ihre Interessen. Unserer Branche fehlt es an professionellem Lobbyismus, das ärgert mich maßlos.
Wer wäre denn für den Lobbyisten verantwortlich? Wer koordiniert den?
Dr. TF: Eines unserer aktuellen Probleme in der Branche ist es, dass wir offensichtlich zu viele Einzelkämpfer haben. Die eigentliche Kommunikation in der Branche, dass Aufeinander zugehen, findet viel zu wenig statt. Es fehlen strategische Dialoge zwischen den Unternehmern, denn sobald es ans Eingemachte geht, stockt der Austausch.
Die Verantwortung und die Koordination für den Lobbyismus unserer Branche liegt bei uns Unternehmern selbst. Es ist Zeit für eine Initiative der Friseurbranche auf Bundesebene.
Was würden Sie ändern?
Dr. TF: Wir zahlen Beiträge an die Handwerkskammern und den Zentralverband. Das Feedback ist überschaubar und das ist positiv gesprochen. Die Innungen haben seit Jahren mit sinkenden Mitgliederzahlen zu kämpfen, da steckt heute zu wenig Power dahinter.
Mein Eindruck ist, dass die Friseurbranche bei Entscheidungsträgern in der Politik auf Landes- und Bundesebene und bei Kammern keine besondere Resonanz und Aufmerksamkeit erzielt.
Was wäre die Lösung?
Dr. TF: Man muss eine neue Form der spezifischen Interessenkommunikation finden und positive Akzente setzen. Dafür müssen auch die Kapazitäten organisiert und aufgebaut werden. Ich bin mir sicher, es gibt viele interessierte und engagierte Friseurunternehmer in Deutschland, die ebenfalls in diese Richtung denken und diese Herausforderung sehen. Lobbyismus muss finanziert werden. Bezogen auf unsere Branche ist zum Beispiel ein „Interessen-Euro“ denkbar. Mit ca. 80.000 Unternehmern und einem Euro je Monat wäre ein Jahresbudget von 960.000€ darstellbar. Damit sollte eine finanzielle Basis für den Aufbau einer Interessenvertretung möglich sein.
„Wenn die Zulieferindustrie und die Friseure gleichzeitig strukturelle Probleme haben, dann ist das ein schlechtes Setting für den Markt.“
Brauchen Sie dafür nicht die ganze Branche?
Dr. TF: Die Branche ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Der selbsterklärte Marktführer ist insolvent. Viele regionale Filialisten sind im Schrumpfungsprozess. Die Zulieferindustrie, die wir ebenfalls brauchen, die großen Vier, sind in den letzten Jahren auch mit sich selbst beschäftigt. Wenn die Zulieferindustrie und die Friseurbranche gleichzeitig strukturelle Probleme haben, dann ist das ein schlechtes Setting für den Markt. Ich glaube es ist Zeit für einen „New Deal“ zwischen Friseurbranche und Zulieferindustrie, da beide grundsätzlich gemeinsame Marktinteressen haben.
Ist der Schrumpfungsprozess, den Sie beobachten, ein Guter?
Dr. TF: Ich bin überzeugt, dass lokale und regionale Filialunternehmen nachhaltig erfolgreich agieren und wachsen können. In den zurückliegenden Jahren war eine deutliche Marktübertreibung erkennbar. Die Ergebnisse dieser Tendenz spüren wir jetzt in einer Form der Marktverzerrung zwischen Angebot und Nachfrage. Wenn wir das volkswirtschaftlich betrachten, benötigen wir eine Marktbereinigung mit einem geschrumpften Angebot von Marktteilnehmern, um wieder gesund wachsen zu können.
Der Markt muss schrumpfen, um zu wachsen?
Dr. TF: Wenn ich von 80.000 Marktteilnehmern ausgehe, dann glaube ich, sind wir vom Angebotsgrad in Deutschland zu hoch. Zudem ist davon auszugehen, dass ca. 1/3 der Friseurdienstleistungen als so genannter Schwarzmarkt existiert. In der gegebenen Marktsituation wird dieser Marktanteil vermutlich zunehmen. Dies bedeutet für die gesamte Friseurbranche ein zunehmender Preis- und Kostendruck.
„Wir können nur wachsen, wenn die Branche wieder gesundgeschrumpft ist.“
Das heißt der durch Corona beschleunigte Schrumpfungsprozess ist etwas Gutes?
Dr. TF: Absolut! Das ist auch das Neue für die Branche, denn bisher gab es kaum Insolvenzen. Der Markt ist statistisch immer gewachsen. Jetzt haben wir erstmals die Situation massiver Strukturprobleme und Wettbewerbsverzerrungen. Wir können nur wieder wachsen, wenn die Branche wieder gesundgeschrumpft ist. Das ist die große Chance in der durch den Corona-Schock ausgelösten Krise.
„Die Glaubwürdigkeit der Politik in einem solchen Schockmoment, ist wesentlich für die Ernsthaftigkeit der Lösungsansätze.“
Welche Rolle spielt für Sie dabei die Politik?
Dr. TF: Die Politik ist leider nicht glaubwürdig! Der wesentliche Rahmen unseres Wirtschaftslebens wird von der Politik bestimmt. Wir haben es nicht nur mit Corona zu tun, sondern mit politischen Irrationalitäten. Es werden Entscheidungen getroffen, die vollkommen realitätsfremd sind.
Es werden Zusagen gegeben, die offensichtlich nicht eingehalten werden. Hier sei nur an das Handling der aktuellen Corona-Hilfsprogramme November und Dezember erinnert. Die Glaubwürdigkeit und Kalkulierbarkeit der Politik in dem jetzigen Schockmoment ist wesentlich für die Ernsthaftigkeit der wirtschaftspolitischen Lösungsansätze für diese Krise.
Das führt langfristig zur Desillusionierung bei vielen Unternehmern, nicht nur in unserer Branche, denn vielen Unternehmen geht es ans Eingemachte.
Wie planen sie mit all diesen Unsicherheiten 2021?
Dr. TF: Unsere Lösungsansätze basieren auf den Erkenntnissen aus dem letzten Quartal 2020. Wir planen eine schwarze Null. Der Kern der Planung basiert auf einen Kundenfrequenzabschlag von -15%. Auf dieser Basis werden die Kostensätze angeglichen. Dafür wurden 3 größere Projekte nach 2022 verschoben. Quartalsweise werden wir unsere Planung anpassen.
Mit einer hohen Sicherheit können wir davon ausgehen, dass 2021 kein Wachstumsjahr wird. Eine seriöse Jahresplanung ist in unserer Branche für mich in diesem Jahr nicht möglich.
„…zum 1. Februar 2021 eine Preiserhöhung zwischen 2-3%“
Preiserhöhung, ja oder nein?
Dr. TF: Ja, wir planen zum 1. Februar 2021 eine Preiserhöhung zwischen 2-3%.
„Kosmetik… der Cross-Selling-Faktor ist für die Kundenbindung enorm wichtig geworden“
Sie führen auch Kosmetik in den Salons, diese ist noch schlimmer betroffen. Wie geht es da weiter?
Dr. TF: DieKosmetik ist seit 4. November 2020 geschlossen. Wir bieten Kosmetik und Fußpflege in unseren großen Filialkonzepten mit mindestens 10 Mitarbeitern an. Wir planen diesen Geschäftsbereich weiter ausbauen. Vor allem die Fußpflege ist in den letzten Jahren deutlich gewachsen.
Der Cross-Selling-Faktor ist für die Kundenbindung enorm wichtig geworden. Langfristig möchte ich das Kosmetik- und Fußpflegegeschäft in allen geeigneten Standorten erweitern.
Was wünschen Sie sich persönlich?
Dr. TF: Die allgemeine Befindlichkeit der Gesellschaft und Wirtschaft ist seit geraumer Zeit geprägt von Anspannung, Unsicherheit und teilweise auch Aggressivität. Ich wünsche mir mehr Frohsinn und Optimismus der Menschen und deutlich positive und verlässliche Settings von der Politik.
Ich danke Ihnen für das offene Gespräch und wünsche weiterhin viel Erfolg.
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Über Dr. Thomas Fischer
Ist Geschäftsführer der Aida Friseur-Gruppe
42 Salons in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt