Andreas Wendt ©acunmedya

21.03.2025

Andreas Wendt: Bin ich der Gute oder bin ich der Billige?

Man kennt ihn als Salonretter bei RTL und stößt regelmäßig auf scharfzüngige Kommentare in den Sozialen Netzwerken. Zur Mindestlohndebatte bezieht er klar Stellung: 20 €/ Stunde sollten Friseure mindestens verdienen und sich klar vom allgemeinen Mindestlohn abheben…

Sie sind bekannt für ihre sehr lautstarken Kommentare in den Sozialen Medien, aktuell geht es um den Mindestlohn von 15,00€. Als Salonretter sind sie in vielen Salons unterwegs. Wie sehen Sie die Problematik?
Andreas Wendt: Was mich am meisten betroffen macht, ist eigentlich die Tatsache, dass der Zentralverband öffentlich Warnungen an Kunden sendet, und mit Preissteigerungen von bis zu 40% droht. Der Mindestlohn wird um 17% angehoben, selbst mit Lohnnebenkosten komme ich auf keine 40%. Wenn ein Haarschnitt beispielsweise 69,00€ kostet und der Lohn wird um 2,80€, inkl. Lohnnebenkosten, die Stunde erhöht, warum soll dann der Haarschnitt rund 30,00€ teurer werden, das passt doch irgendwie nicht zusammen und ist rein rechnerisch falsch.

Der Markt ist hier gespalten. Viele Unternehmen fühlen sich durch die Erhöhung bedroht.
AW:
Das heißt doch, die Unternehmen, die hart arbeiten, wollen das nicht leisten, aber die Mitarbeitenden, die hart arbeiten, damit diese Unternehmen überhaupt am Markt existieren können, die können ruhig weiter ausgebeutet werden! Das bringt uns an den Rand der Pleite, sorgt für weniger Arbeitsplätze und das Schlimmste, mehr Schwarzarbeit.

Wie lautet denn ihr Lösungsansatz?
AW:
Man muss die Salons dafür sensibilisieren, wie man Preise richtig gestaltet. Im Magazin FOCUS war gerade ein großartiger Fall. Da kam eine Friseurmeisterin aus Dormagen zu Wort, die sagte, dass sie eigentlich 100,00€ für einen Männerhaarschnitt nehmen müsste und beschwert sich über Billigkonkurrenz. Im nächsten Absatz sagt sie dann, ein Herrenhaarschnitt mit Waschen kostet bei ihr 18,00€. Das heißt, diese Billigkonkurrenz, über die sie sich beschwert, ist sie ja eigentlich selbst.

Lösungsansatz Sensibilisierung klingt gut, funktioniert aber offensichtlich nicht. Warum tun sich Ihrer Meinung nach die Friseure nach wie vor so wahnsinnig schwer Preise zu erhöhen?
AW:
Weil es oft ein Hobby mit Taschengeld ist.

„Das Problem im Friseurhandwerk ist, viele haben noch immer im Kopf, jeder muss zu uns kommen können.“

Aber das gilt doch nicht für die Unternehmer?
AW:
Viele Unternehmer sagen immer: „Unsere Kunden schauen aufs Geld“, das ist aber falsch. Denn sie kaufen auch bei Hermes, Gucci, Rolex, etc.. Das Problem im Friseurhandwerk ist, dass viele noch immer im Kopf haben, jeder muss zu uns kommen können.

Wie äußert sich das?
AW:
Ich habe in meiner Sendung auf ProSieben und jetzt bei RTL als Salonretter über 100 Salons betreut. Wenn ich frage, wen möchtest du denn als Zielgruppe erreichen, dann kommt immer die Antwort „Ich möchte für jeden da sein“. Aber wenn man für jeden da sein will, dann ist man am Ende für jeden da, nur nicht für sich selbst.

Also mehr Fokus auf die richtige Klientel?
AW:
Viele glauben, dass das Friseurhandwerk auf den eigenen Wohlstand verzichten soll, nur um den Wohlstand anderer Menschen möglichst lange am Leben zu halten. Das Problem der Branche ist, man denkt im eigenen Mindesteinkommen. Für viele Friseure sind 50,00€ viel Geld, ergo wird geschlussfolgert, das muss für die anderen auch so sein. Corona hat gezeigt, dass wir nicht systemrelevant sind. Friseur ist Luxus. Man kann sich die Haare selber schneiden, man kann sie mit Drogeriemarktfarbe färben, man ist nicht auf den Friseur angewiesen.

„Bist du gut, verkaufst du dich über die Leistung, bist du schlecht, musst du dich über den Preis verkaufen!“

Aber was ist nun die Lösung, wie bekomme ich die Friseure dazu, dass man aus diesem Trott aussteigt?
AW:
Es gibt eigentlich nur 2 Optionen, bist du gut, verkaufst du dich über die Leistung, bist du schlecht, musst du dich über den Preis verkaufen. Und diese Frage sollte sich jeder stellen: Bin ich der Gute oder bin ich der Billige!
Die Salons, wo die Leute nur wegen des Preises hingehen, die müssen sich irgendwann eingestehen, ich habe den Anschluss verpasst und werden vom Markt verschwinden. Ich nenne sie Zombiesalons.

Wohin wird sich der Markt entwickeln? Was denken Sie?
AW: So hart das ist, ein großer Teil an Salons wird vom Markt verschwinden. Aber das ist eine ganz normale Marktbereinigung und die Menschen, die dann ihren Job verlieren, die werden woanders sofort einen neuen besser bezahlten Job finden. Auf diesem Mindestwert-Lohnniveau, wo ein Großteil der Branche ist, dürfen wir nicht bleiben, das kostet uns doppelt.

Was heißt, es kostet uns doppelt?
AW:
 Haarschnitte im Billigpreissegment werden heute auf Kosten der Steuerzahler erbracht. Spätestens im Rentenalter, wenn Grundsicherung nötig wird, weil die Rente zu niedrig ist, und weil für Rücklagen keine Kohle da war, werden wir alle dafür bezahlen, dass der Haarschnitt heute für 18,00€ möglich war.

Ich kenne sehr viele qualitativ hochwertige Salons, die ebenfalls mit Preiserhöhungen hadern. Weshalb?
AW:
Warum zahle ich in der Autowerkstatt für die Meisterstunde 140,00€ zzgl. Material? Natürlich kann ich mir ein YouTube Video ansehen und mein Auto selbst reparieren, mach’ ich aber nicht. Die Beauty Industrie hat einen enormen Zuwachs, den Menschen ist Schönheit so wichtig wie noch nie. Warum soll ich mich da billig verkaufen?

„Geiz ist geil“! Erwartet der Mensch erst mal billig, bevor er bereit ist, zu zahlen?
AW:
Wir erwarten Wertschätzung von unseren Kunden, diese muss ich auch an die Mitarbeitenden weitergeben. Wir setzen aber ein total schreckliches Signal, denn wir inszenieren uns als Billig-Branche, die heult und sich als Opfer sieht. Friseure haben Angst vor dem Drogeriemarkt, sehen ihn als Konkurrenz. Da muss ich doch hinterfragen, wie wenig ist meine Ausbildung wert, wenn ich Angst habe, dass Drogeriemarktfarbe und YouTube das ersetzen können, was ich 3 Jahre gelernt habe?

„Ich bin für einen Mindestlohn von mindestens 20 € die Stunde!“

Wo sollte ihrer Meinung nach der Mindestlohn im Friseurhandwerk liegen?
AW:
Ich bin für einen Mindestlohn von mindestens 20,00€ die Stunde, dann könnte man diese 18,00€ Haarschnitte gar nicht mehr anbieten, ohne dass man kaputtgehen würde.

Da kriegen jetzt einige Schnappatmung. Sie führen selbst keinen Salon, hat man es da leichter, dies zu fordern?
AW:
Auch bei uns in der Fernsehproduktion sind die Tagessätze in den letzten Jahren um mehr als 50% gestiegen. Deutschland hat das Problem, Niedriglohnkräfte mit Fachkraftqualifikation finden zu wollen. Welche Fachkraft will denn für 15,00€ die Stunde arbeiten, wenn 15,00€ auch die Person bekommt, die kein Deutsch kann, keine Ausbildung oder keinen Schulabschluss hat. Genau das passiert mit dem Mindestlohn, der im Friseurhandwerk in fast jedem Bundesland bezahlt wird, weil es fast nirgendwo allgemeinverbindliche Tarifverträge gibt. 

„Kunden sind nicht bereit, viel zu bezahlen, wenn Sie das Gefühl haben, es ist eigentlich eine Freundschaftsleistung.“

Das würde einen massiven Kostenschub bedeuten und auch einen damit verbundenen Preisanstieg. Die Medien postulieren bereits: Wird der Friseur bald teurer?, oft mit einem negativen Unterton Richtung unserer Branche. Wie gehen wir damit um?
AW:
Unternehmer müssen sich vor allem erstmal fragen, ob es schlau ist, mit seinen Kunden ein freundschaftliches Verhältnis zu pflegen. Kunden sind oft nicht bereit, viel zu bezahlen, wenn sie das Gefühl haben, es ist eigentlich eine Freundschaftsleistung.

„Die junge Generation sagt eher, wenn der Kunde es sich nicht leisten kann, hat er Pech gehabt…“

Fällt es jüngeren Unternehmern leichter, hohe Preise zu verlangen, quasi ein Generationen-Denkwechsel?
AW:
Die jüngere Generation sieht durch die Social Media Brille. Sie sieht, wie viel Geld Menschen verdienen können, indem sie „einfache Jobs“ machen, für die man weder studieren muss noch eine Ausbildung braucht, Influencer zum Beispiel. Das zeigen fancy Salons wie Diego Fossa in Köln, wo Kunden locker 450 € für eine Balayage zahlen. Diego sagt klar, sein Lifestyle ist High-Class und legt seinen Fokus darauf, es sich leisten zu können. Er ist es sich wert und verlangt die entsprechenden Preise. Die junge Generation sagt eher, wenn der Kunde es sich nicht leisten kann, hat er Pech gehabt, ich arbeite hier nicht für einen Apfel und ein Ei.

Wie schaffen wir es, die Branche zu mobilisieren?
AW:
Die Friseurbranche hält zu wenig zusammen. Man sieht es ja an den Kommentaren im Netz. Jeder denkt, da kümmert sich dann schon der andere drum. Junge Leute sollten bereits in der Schule lernen, sich in Gewerkschaften oder Verbänden zu organisieren und für ihre Rechte zu kämpfen. Aber, dann heißt es 40,00€ Mitgliedsbeitrag, das ist mir zu teuer, das bringt ja nichts, oder? Oder Demos, da fährt keiner hin, das haben wir in Corona gesehen, das war ja peinlich.

Wie sieht es mit ihrem Engagement aus? Auch von Ihnen liest man mehr in Kommentaren. Sie könnten ja mit ihren Medienkontakten viel bewegen?
AW:
Ich habe vor Ewigkeiten angeboten, mich zu engagieren, aber das wurde nie angenommen. Zuletzt hatte der Zentralverband mir vorgeworfen, nur Gegenwind zu machen und meine Kommentare gelöscht. Ich habe mich in der Corona-Pandemie sehr stark und unentgeltlich für die Friseurbranche eingesetzt. Mein Geld verdiene ich in den eigenen Unternehmen, im Fernsehen. Jederzeit stehe ich für Austausch und Ideen zur Verfügung, man muss sich nur melden

Wir hatten Sie zum Zukunftskongress eingeladen, haben aber leider nichts zurück gehört. Da konnten wir viel, zumindest politisch anstoßen.  
AW:
Ich war leider im Ausland. Ich hätte da sicherlich viel zu sagen gehabt. Beim nächsten Mal bin ich gerne dabei.

„Wenn ich Angst habe, mich zu binden, dann sollte ich keine Beziehung eingehen. Wenn ich Angst habe, Geld zu kassieren, darf ich keinen Salon aufmachen.“

Welchen persönlichen Rat geben Sie Unternehmern?
AW:
Es ist vor allem wichtig, dass man Ängste ablegt. Lassen Sie mich ein weither geholtes Beispiel geben: Wenn ich Angst habe, mich zu binden, dann sollte ich keine Beziehung eingehen. Wenn ich Angst habe, Geld zu kassieren, darf ich keinen Salon aufmachen. So einfach ist das.

Herr Wendt, ich bedanke mich für das Gespräch.