31.07.2015

Andrea und Paul Böckmann; Banker und Tennisprofi werden Friseur

Er war Investmentbanker und sie Profisportlerin mit anschließendem Sportmanagement-Studium. Jetzt erfinden sie sich neu - als angehende Friseure. Was sie antreibt? Wir fragten nach.

Finanzen ziehen sich wie ein roter Faden durch sein Leben, schon in der Schule hat er seine ersten Börsengeschäfte gemacht, beim Investmentbanking war er schließlich in der Banken-Königsdisziplin angekommen. 
Sie war Tennisprofi bis zum 20. Lebensjahr, trainierte hart und viel, war 330. der Tennis-Weltrangliste. Anschließend hat sie Sportmanagement studiert, um im Business des weißen Sports zu bleiben.
Andrea und Paul Böckmann haben im letzten Jahr geheiratet. Und wer das tut, hat in der Regel gemeinsame Pläne. Der Investmentbanker und die Marketingspezialistin haben beschlossen, ihren alten Berufen den Rücken zu kehren, um mit 30 Jahren das Friseurhandwerk zu erlernen. Warum und wie sie sich ihre Zukunft vorstellen - ein Gespräch über Geld und sozialen Abstieg, neue Sichtweisen und den motivierten Blick auf ein trauriges Image. 

Paul Böckmann

Fakten: 

  • geboren und aufgewachsen in Steinfeld bei Oldenburg
  • Abitur & Bankenlehre
  • Studium in Bremen und Cardiff (GB): Finance and Acounting (BWL), Zwei Bachelor-Abschlüsse in Deutsch und Englisch
  • Associate Investmentbanking (Equity Capital Markets) bei der Baader Baader
  • Meininghaus, Akademie der Friseure, Forchheim

Andrea Böckmann

Fakten: 

  • geboren und aufgewachsen in Lutten bei Oldenburg
  • Fachabitur & Tennisprofisportlerin, 330. der Weltrangliste
  • Studium Sportmanagement, Medienwirtschaft & Medienmanagement
  • Sportmanagement u.a. für Eurosport und "Porsche Tennis Grand Prix"
  • Online Marketing bei der Werbeagentur Blue Summit Media GmbH, München
  • Meininghaus, Akademie der Friseure, Forchheim

imSalon: Warum verlässt man einen lukrativen Job, um Friseur zu werden?
Paul: Wir waren 3 Wochen in Südafrika in den Flitterwochen. Ich hatte Zeit zum Runterkommen und Entspannen. Kein Handy, keine Mails checken. Als Investmentbanker hat man praktisch niemals frei. Wenn man im High-Level Banking angekommen ist, hat man mindestens eine 70-Stunden-Woche und beinahe null Privatleben. Für mich war das keine berufliche Erfüllung mehr. In den Flitterwochen hat es bei mir einfach „klick“ gemacht, ich habe mich ernsthaft gefragt, ob ich Friseur sein könnte. Ich komme ja aus einer Friseurfamilie: Eltern, Tanten, Onkel, Cousins – viele Friseure. 
Andrea: Ich war sofort begeistert, dass er den Beruf wechseln möchte. Für mich hatte er nie richtig in diese Banker-Branche gepasst. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie er den ganzen Tag im Büro herum sitzt…
Paul: … arbeitet!
Andrea: … arbeitet! (schmunzelt) Mir war klar, er meint es ernst und hat einen konkreten Plan. Da ging es erst einmal um seine Idee und wie man es dann am besten angeht! Selber habe ich noch keine Überlegungen angestellt, dass ich selbst das Friseurhandwerk erlernen könnte.
 

imSalon: Wie ging es dann weiter?
Andrea: Stimmt. Paul ist mit seinen Eltern zur Messe Top Hair nach Düsseldorf geflogen, ich war leider krank, das war ärgerlich. Er hat mich öfter angerufen und so begeistert von der Messe erzählt, dass es bei mir in den Fingern zu kribbeln angefangen hatte, ich habe gespürt, das will ich auch machen und zwar zusammen mit Paul! Ich habe mich dann erst mal mit meiner Schwester besprochen - sie betrachtet es von außen immer sehr klar und unkompliziert. Meine Überlegungen waren, welche Fähigkeiten und Voraussetzungen muss ich beherrschen muss, um eine gute Friseurin zu sein. 
Paul: Meine Intention war ja schon, sie für diesen Beruf zu begeistern. Der Messebesuch wäre für Andrea perfekt gewesen, um mit der Branche direkt in Berührung zu kommen und die Leute kennenzulernen. Die ticken nämlich ganz anders. Und das würde ihr sicher gefallen. Leute, die sagen was sie denken und einfach authentisch sind.
Andrea: Wir kennen uns jetzt seit 9 Jahren, hatten Jahre lang eine Fernbeziehung. Wir harmonieren miteinander und jetzt machen wir das zusammen - ich finde das cool. Wir sehen es ja auch bei den Paul’s Eltern und am Familiennetzwerk, dass es gut funktionieren kann.

"Natürlich gibt es auch Menschen, die meinen, das wär jetzt ein sozialer Abstieg."

imSalon: Wie reagiert Ihr privates Umfeld auf Ihre neue Berufsentscheidung? 
Paul: Ich habe meine Entscheidung anfangs im engeren Familien- und Freundeskreis besprochen. Meine Eltern haben sich sehr darüber gefreut, nicht nur wegen der Unternehmensnachfolge, sondern auch für unser neues Leben. Das ist auch für sie ein Motivationsschub. Heute sprechen wir oft über den Beruf, über inhaltliche Themen und Perspektiven. Das war damals fast nicht möglich, weil man das Investmentbanking schwer erklären kann. Ganz wichtige Ratgeber sind für uns mein Onkel und meine Tante Matthias und Kirstin Kramer (www.kramer-und-kramer.de). Ich war ja auch auf der Messe, um über meine beruflichen Pläne zu sprechen. Stephan Conzen z.B. (Geschäftsführer GLYNT, Anm.) war begeistert davon, dass jemand aus der Investmentbranche ins Friseurhandwerk geht. Oder Dieter Schneider, ein langjähriger Wegbegleiter meiner Eltern, findet solche Entscheidungen für das Image der Branche gut: Quereinsteiger, die mit Zahlen umgehen können. Natürlich gibt es auch Menschen, die fragen, ob das jetzt nicht ein sozialer Abstieg sei? Daran erkennt man was in Deutschland los ist und wie krass man in Schubladen denkt.
Andrea: Ich habe das von Anfang an offen gesagt. Eigentlich fanden alle diese Entscheidung gut. Schlussendlich geht es aber nicht darum, dass andere unsere Entscheidung gut finden, sondern was wir selber wollen und was wir daraus machen.

imSalon: Reagieren Frauen da anders als Männer?
Paul:
 Klar, Männer reagieren anders! Die können sich das nicht vorstellen und sind zweischneidig.
Auf der einen Seite sagen sie: Mutig und Respekt, auf der anderen denken sie, das warten wir jetzt aber erst einmal ab.

"Wir können mit dem jetzigen und dem neuen Wissen dem Geschäft nützen."

imSalon: Planen Sie die Geschäftsübernahme Ihrer Eltern?
Paul:
 Das ist schon der Hauptantrieb, die Unternehmensnachfolge anzutreten. Es ist natürlich nicht einfach, mit 30 Jahren plötzlich was komplett anderes machen zu wollen. Das tut man nicht einfach mal so. Ich wurde unternehmerisch denkend erzogen und habe diesen Spirit, etwas Eigenes machen zu wollen. Und das nicht „Larifari“, sondern fundiert mit einer guten Ausbildung und einer geplanten mehrjährigen Praxis. Wir können mit dem jetzigen und dem neuen Wissen dem Geschäft nützen.

imSalon: Ausbildung, gutes Stichwort: Sie haben gerade bei Meininghaus begonnen. Warum dort?
Paul:
 Wir haben uns über verschiedenste Schulen und Einsteigerkurse informiert und uns für Meininghaus entschieden, hier passt das Bauchgefühl. Zum einen ist es der gute Name, zum anderen aber auch, dass die 3-jährige Ausbildung auf ein halbes Jahr komprimiert wird. In unserem Fall bis Dezember. Wir lernen praxisbezogen von Grund auf die Basis. In unseren ersten vier Wochen ist viel weiter gegangen: Föhntechniken, Hochstecken, Farben, Produkte und die erste Basis mit der Schere. Alles an Modellen... Da wird man schon ins kalte Wasser geschmissen. Die gucken einem richtig auf die Finger. Das macht Spaß, schnelles Feedback zu bekommen, nachfragen zu können. Und der Kick ist dann, wenn die Kunden es gut finden! 

imSalon: Ein halbes Jahr ist schnell vorbei, was dann?
Paul: Wir haben vor, mittelfristig, das Familiengeschäft zu übernehmen, wir wollen schnellstmöglich Praxiserfahrung sammeln, in gut geführten Salons, bei unterschiedlichen Inhabern. Wie es nach Meininghaus genau weitergeht, steht noch nicht fest. Wir schauen uns grad noch verschiedene Optionen an.

"In der Friseurbranche wird das nichts mit dem geldorientierten Denken."

imSalon: Wie finanzieren Sie die Ausbildung?
Paul:
 Wir haben Rücklagen, schaffen das ohne Fremdfinanzierung. Wir sind uns bewusst, dass wir erst einmal ein anderes Gehalt haben werden. Aber wir erleben ja jetzt den sozialen Abstieg, (lacht) da werden wir schon über die Runden kommen. In der Friseurbranche wird das nichts mit dem geldorientierten Denken. (lacht).

imSalon: Nicht geldorientiert Denken - Ist das nicht schwierig für einen Ex-Banker?
Paul
: Geld ist nicht alles. Klar, es liegt auf der Hand: Als Investmentbanker kann man gutes Geld verdienen. Jeder, der als Investmentbanker anfängt, will schlussendlich das große Geld machen. Da winkt die Karotte vor der Nase, der Bonus, den jeder haben will. Das ist ein reiner Egotrip und du hast ein gewisses Standing im Leben. Aber Stopp! Ist es das alles wert? Ich habe schon so viel vom Geld gesehen, wie die Geldflüsse funktionieren, wie der Aktienmarkt funktioniert, wer sich in diesem Mauserad wohlfühlt: Gut! Für mich ist das ein Grund zu sagen: Nein! Wir sind beide auf dem Land aufgewachsen, haben dort unsere Freunde und wir verlassen München ohne schlechtes Gewissen. Von meinem Vater habe ich gelernt, man muss sich ausgelebt haben, um wieder voll durchstarten zu können. Und das haben wir. Das ist abgehakt.

imSalon: Wie gehen Sie mit der körperlichen Umstellung um? Vom Sitzen zum Stehen?
Paul:
 Gut. Eigentlich kein Problem, wenn man ein wenig Sport macht.
Andrea: Für mich ist es die Umstellung auch nicht so wild. Wichtig ist, dass man sich einen Ausgleich zur Arbeit schafft. 

imSalon: Haben Sie vorher schon professionelle Friseur-Produkte benutzt?
Andrea:
 Bevor ich Paul kennenlernte, nicht. Schon die besseren Produkte, aber keine friseurexklusiven Marken.
Paul: Ich verwende immer schon die Produkte aus dem Salon meiner Eltern: GLYNT. Die mag ich, bei denen kenne ich mich aus.

imSalon: Erwarten Sie sich mit Ihrem Background einen Businessvorteil?
Paul:
 Ja, klar! (lacht). Wir werden sicherlich unser Wissen in BWL und Marketing nutzen. Das ist schon ein Vorteil. Man kann der beste Friseur sein, aber wenn man keine Persönlichkeit hat, wird es schwer mit dem täglichen Kundenkontakt.

imSalon: Gibt es etwas, das Sie im Unternehmen Ihrer Eltern anders machen würden? 
Paul:
 Auf jeden Fall! Da gibt es mittlerweile schon ein paar Reibungspunkte. Wir bekommen viel mit und ich weiß, viele Dinge mache ich fix anders. Ich sage, was ich denke und meine Eltern sind offen dafür, was viel Wert ist.

"Am Anfang hatte ich ein richtiges Brett vorm Kopf (...) Wir hatten es uns einfacher vorgestellt."

imSalon: Wie haben Sie Ihre Friseur-Leidenschaft entdeckt? 
Andrea:
Die richtige Leidenschaft entwickelt sich gerade. Wichtig war für mich, dass ich mir die Tätigkeit und alles was damit zusammenhängt für mich persönlich vorstellen kann. Und dabei hat mir die Art „Liste“ mit Aufgaben zum Friseurhandwerk und die Sichtweise meiner Schwester geholfen.
Paul: Die Leidenschaft spürt man durch das Arbeiten an den Modellen. Es ist oft auch ein „Learning by Doing“. Am Anfang hatte ich ein richtiges Brett vorm Kopf. Da bekommt man einen Föhn in die Hand gedrückt, soll die Haare wedeln und eine Frisur schaffen. Puh! Jetzt nimmt alles Gestalt an, der Spaß kommt, wenn man weiß, alles hat einen Sinn und einen Zweck, und die Hände funktionieren. Wir hatten es uns einfacher vorgestellt.
Andrea:Es sieht ja alles immer einfacher aus als es ist, aber das ist eben genau die einwandfreie Technik, die es so aussehen lässt. Beim Tennis denken ja auch viele: ach, nur den Ball übers Netz schlagen, das bekomme ich auch locker hin.

"Ihr habt doch studiert, ihr könntet doch auch etwas anderes machen (...) Es ist nervig, dass die Leute so denken!"

imSalon: Wie sind denn die Reaktionen anderer Friseure auf ihren Entschluss?
Andrea:
 Wir kennen natürlich noch nicht so viele Friseure außerhalb der Familie, aber es gab schon die ein oder andere verwunderte Reaktion, wie: Ihr habt doch studiert, ihr könntet doch auch etwas anderes machen. Für mich ist es verwunderlich, dass sogar innerhalb der Branche so ein Schubladendenken vorhanden ist. 
Paul: Friseur sein hat in Deutschland leider diesen negativen Touch. In den meisten medialen Darstellungen leidet der Friseur am Hungertuch, aber schlechte Bezahlung trifft nicht auf alle zu! Wenn man nach Paris oder London schaut, da ist das ganz anders. Da passen Image und Geld. Der Friseurberuf ist bei uns in Deutschland einfach nicht attraktiv, man muss sich manchmal rechtfertigen, dass man Friseur ist. 

"Der Friseurberuf ist bei uns in Deutschland einfach nicht attraktiv, man muss sich manchmal rechtfertigen, dass man Friseur ist."

imSalon: An wen richten Sie den Appell? Die Innungen, die Verbände?
Andrea: Hier braucht man Leute, die jung, frisch und authentisch sind. Persönlichkeiten, die man als Kunde selbst auch gut findet.
Paul: Ja! Nehmen wir die jüngste Wella Kampagne: "Friseure bewegen" ! Ein toller Film, der über die Gefühlsebene kommuniziert, mit authentischen Leuten, die erzählen, warum sie Friseur geworden sind und was sie umtreibt. Berufswerbung muss aber auch über die Schulen laufen.
Jeder legt doch irgendwie Wert auf sein Styling, die jungen Leute schauen ob und wie jemand gestylt ist. Da müssen junge Kollegen hin, die Vorbilder sein können und nicht von oben herab. 
Andrea: Und auch ganz klar die Möglichkeiten aufzeigen, die man als Friseur haben kann. Trainer, Markenvertreter, Sessionstylist. Leider sind oft die Eltern schon die Gegenredner, die ihren Kindern raten zu studieren und was „Ordentliches“ zu machen.
Paul: Wir müssen uns auf die Fahnen schreiben, das zu verbessern: durch gutes Marketing, eine attraktiver gestaltete Ausbildung, durch Präsenz an den Schulen.

imSalon: Wir sagen Danke für die viele Zeit und wünschen einen guten Start ins neue Berufsleben!

Das Interview führte Katja Ottiger