

07.06.2024
"Friseure müssen dahin kommen, wirtschaftlich und politisch eine Rolle zu spielen"
Im politischen Gespräch mit Niedersachsens Ministerpräsident Weil nimmt Oliver Bremer viel mit und macht aufmerksam auf die vielfältigen Anliegen des Friseurhandwerks. Was Weil dazu sagte ...
Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil besucht Friseurunternehmer und Obermeister Oliver Bremer im Salon. Zum einen, um sich einen Einblick ins Friseurhandwerk zu verschaffen und das Berufsbild kennenzulernen. Zum Zweiten, um sich intensiv nach der wirtschaftlichen Situation der Branche zu erkundigen.

Oliver Bremer nutzte diese Chance, um auf aktuelle Herausforderungen hinzuweisen, aber auch, um das ► Forderungspapier Friseurhandwerk 2024, wie beim Zukunftskongress in Berlin vorgestellt, zu übergeben.
Herr Bremer, gestern verbrachte Ministerpräsident Stephan Weil einen Tag in Ihrem Salon. Wie war's?
Oliver Bremer: Es war ein langer, schöner Tag gestern. Ich habe mich gefühlt wie nach einem guten Kinofilm, man geht heim und muss erst mal den Tag Revue passieren lassen. Diese 5 Stunden, die der Besuch von Ministerpräsident Weil dauerte, waren sehr beeindruckend, teilweise surreal, aber in erster Linie spannend.
Was haben denn ihre Kunden dazu gesagt? Herr Weil arbeitete ja auch an verschiedenen Köpfen.
OB: Wir haben dafür natürlich im Vorfeld Modelle gesucht für Ansatzfärbung und Dauerwelle. Herr Weil hatte aber darauf bestanden, dass der Salonbetrieb weiterlief und somit kamen auch viele andere Kunden, die natürlich über den Trubel sowohl überrascht als auch erfreut waren. Es gab ja bereits am Eingang Security, das war mal was Neues.
Wie lief es denn und was waren die Gesprächsthemen?
OB: Es gab natürlich zuallererst eine Begrüßung, dazu kam auch unser Wadenburger Bürgermeister, ebenso war die Presse zahlreich erschienen. Das dauerte zehn Minuten und dann haben Herr Weil und ich uns zurückgezogen und erstmal eine gute dreiviertel Stunde über die wirtschaftspolitischen Themen der Friseurbranche gesprochen. Die Herausforderungen der Branche haben ihn sehr interessiert. Dafür hat er sich bewusst Zeit genommen.
"Die Auswirkung der Kleinstunternehmer, die unter der 22.000 € Umsatzsteuergrenze liegen, versteht der Ministerpräsident und nimmt dies mit..."
Worauf wurde im Gespräch fokussiert?
OB: Die Schwerpunkte lagen in erster Linie auf der Umsatzsteuer-Ungerechtigkeit. Dabei hat auch Herr Weil umgehend auf die Umsetzungsschwierigkeit der Forderung nach 7 % Mehrwertsteuer verwiesen. Was Herrn Weil jedoch nicht bewusst war, war, welch ein branchenspezifisches Problem die Anzahl der Kleinstunternehmer, die unter der 22.000 € Umsatzsteuergrenze liegen, bilden. Zumal diese Grenze ja noch erhöht werden soll. Unser Ministerpräsident konnte das vollkommen nachvollziehen und das hat Herr Weil auch mitgenommen.
Weshalb ist der Einfluss des Kleinstunternehmertums so nicht bewusst?
OB: Ich diskutierte das Thema vor Kurzem mit der Hausspitze der Oldenburger Handwerkskammer. In den meisten Handwerken ist das kein Thema, z.B. die Baubranche steht vor anderen Herausforderungen, nicht aber dem Kleinstunternehmertum. Dafür liegen deren Umsätze in anderen Sphären.
"Schwarzarbeit ... Meisterpflicht ... Behörden ... Zuständigkeiten... Ministerpräsident Weil wird sich das anschauen."
Welch andere politische Themen wurden angesprochen?
OB: Ein wichtiges Thema war auch die Schwarzarbeit und die damit verbundene Punkte wie beispielsweise die Meisterpflicht. Einige Salons entsprechen ja nicht der Meisterpflicht, um es vorsichtig zu formulieren. Auch da war unser Ministerpräsident überrascht. Obwohl immer wieder Indizien vorliegen, wird es von den Behörden nicht verfolgt, häufig mit der Ausrede, es sei kein Personal dafür da. Hier kam die klare Rückmeldung, dass es nicht sein kann und Zuständigkeiten nicht hin und her geschoben werden dürfen. Er will sich das anschauen.
Und wie sind sie verblieben?
OB: Wir haben Herrn Weil das aktuelle Forderungspapier des Friseurhandwerks übergeben und er hat es auch gerne mitgenommen. Wir haben jetzt verabredet, dass ich nochmal alles, was wir besprochen haben, zu Papier bringe. Dann werden wir wieder darüber sprechen. Ich bleibe in jedem Fall dran.
Im November 2023 hatten Sie ja bereits ► 200 Briefe von Friseurunternehmerinnen und Unternehmern an Herrn Weil übergeben bzgl. der Unzufriedenheit mit dem Umgang der Corona-Soforthilfe. Was wurde daraus?
OB: Herr Weil erkundigte sich, ob sich daraufhin etwas beim Wirtschaftsministerium bewegt hatte. Leider musste ich ihm mitteilen, dass das Ergebnis für uns noch nicht befriedigend ist.
Was war überraschend für Sie?
OB: Wie unglaublich gut Herr Weil vorbereitet war, nicht nur über die Branche, sondern auch über mich.
"Friseure werden in der politischen Öffentlichkeit nicht wahrgenommen"
Wie war denn sein Feedback zur Präsenz der Friseure in der Politik?
OB: Das Bewusstsein für die Probleme der Friseure ist in vielerlei Hinsicht nicht vorhanden. Mal vollkommen unabhängig von dem Termin gestern, beobachte ich das immer wieder. Auch gestern habe ich oft gehört „Ach das wusste ich nicht, das ist mir neu,…“
Das höre ich aber auch aus den Kammern, anderen Ministerien und so weiter. Der häufige Tenor: ‚Friseure werden in der politischen Öffentlichkeit nicht wahrgenommen‘.
Was können Innungen und Verbände hier tun?
OB: Wir haben jetzt wieder begonnen, regelmäßig Obermeistertreffen zu veranstalten, zu denen wir Politikerinnen und Politiker einladen, um mit ihnen zu sprechen. Dort machen wir Lobbyarbeit und da kommt auch Bestätigung. Nur, da muss man dranbleiben.

Was nimmt Herr Weil nebst Forderungspapier mit?
OB: Ich sehe den Besuch des Ministerpräsidenten als Wertschätzung unserer Branche. Herr Weil wickelte Dauerwellen, machte Ansatzfarbe und sein Kommentar danach war „Das muss man schon lernen und können“. Herr Weil hat sich viel Zeit genommen und auch mit allen Mitarbeitern Gespräche geführt. Da hat man gemerkt, wie die Achtung vor unserem Handwerk stieg.
Was sind jetzt nächste Schritte? Mit dem Besuch an sich haben sie ja schon viel erreicht. Was können Friseure tun, um diese Aufmerksamkeit weiter fortzuführen?
OB: Wir wollen auf verschiedenen Ebenen zwei Dinge ganz rasch voranbringen.
Das Erste intern: Wir wollen verstärkt Betriebe wieder in die Innung zurückholen. Das Problem mit dem Mitgliederschwund wurde in den vergangenen Jahren auf allen Ebenen sträflich vernachlässigt, egal ob auf Verbands-, Innungs- oder Kammerebene. Ich nehme uns, die Innung Oldenburg, da gar nicht raus. Auch wir haben viel zu lange am Status Quo festgehalten. Es lief ja irgendwie. Eigentlich jedoch ist viel zu wenig passiert und deshalb ist es der erste große Schritt, dass wir Friseure wieder gemeinsam netzwerken und etwas auf die Beine stellen.
"Wir müssen wir uns doch fragen, ob wir Kleinstunternehmen und Salons mit Migrationshintergrund weiter außen vor lassen oder den Dialog führen, ..."
Wie wollen Sie das angehen?
OB: Wenn ich sehe, dass wir in Deutschland mehr als 30.000 Kleinstunternehmen haben, dann muss ich mir die Frage stellen, ob ich mir diese nicht auch dazuhole. Das gilt auch für Betriebe mit Migrationshintergrund. Auch hier müssen wir uns doch fragen, ob wir die weiter außen vor lassen oder den Dialog führen, um diese zu gewinnen.
Das finde ich einen ganz spannenden Punkt, denn alle reden immer von gemeinsam und dass man miteinander reden muss, aber ganz schnell werden wieder Aber-Grenzen eingezogen. Denn sie gehen ja nicht weg, nur weil ich darüber nicht rede.
OB: Ich kenne wirklich tolle Friseure in beiden Kreisen, die richtig gute Arbeit leisten. Man kann nicht pauschalisieren. Wir müssen endlich eingetretene Pfade verlassen.
Wie würde ein solcher Pfad aussehen?
OB: Na beginnen wir doch mit der Gebührenordnung für Innungsmitgliedschaften. Eine Frau, die allein zum Beispiel als Mobilfriseurin arbeitet, die zahlt doch im Jahr keine 400 € Innungsbeitrag. Wovon denn?
Die Frage, die jeder stellt: Warum soll ich denn in die Innung kommen. An der Antwort arbeiten wir mit ganz viel Hochdruck, Friseure müssen das spannend finden.
"Wir müssen dahin kommen, dass wir wirtschaftlich und politisch eine Rolle spielen."
Das klingt nach einem relevanten Plan. Sie sprachen von einem zweiten Punkt.
OB: Zweitens: Wir müssen als Branche mehr wahrgenommen werden. Natürlich haben wir Anfragen, aber die sind alle modischer Natur, wie vor Kurzem Fragen zum Vokuhila. Die sind wichtig, aber wir müssen auch dahin kommen, dass wir wirtschaftlich und politisch eine Rolle spielen. Dazu müssen wir auf lokaler Ebene beginnen und das werden wir bei allen kommenden Obermeistertagungen, indem wir die örtlichen Bundes- und Landtagsabgeordneten einladen. Dazu gehören auch regelmäßige Gespräche mit den Spitzen der Handwerkskammern.
Über Handwerkskammern wird wenig gesprochen.
OB: Und das ist falsch. Wir wollen auch im Kreis der Handwerker wieder stärker involviert werden, denn es gibt oft auf der einen Seite die Handwerker und es gibt die Friseure. Ich möchte da wieder mehr zusammen und enger mit allen Handwerken zusammenarbeiten. Das WIR-Gefühl fürs Handwerk muss gestärkt werden, um HANDWERK als solches stark zu machen. Wenn es dann handwerkspolitische Dinge gibt, dann können wir auch da unser Friseurhandwerk einbringen.
Herr Bremer, ich danke Ihnen für Ihren Einsatz und Ihre Zeit und bin schon sehr gespannt auf die nächsten Schritte. Weiterhin viel Erfolg und halten Sie uns auf dem Laufenden, wir sehen uns spätestens beim Zukunftskongress!
Oliver Bremer ist Salonunternehmer in Wardenburg, Obermeister der Friseurinnung Oldenburg sowie Vorstandsmitglied im LIV Niedersachsen.