Credit: Sandrino Donnhauser

30.07.2019

Langhaarspezialist Ralf Suchomel ist Dienstleister mit Schaffungswert

Der Dresdner Ralf Suchomel, Suchomel & Bohm, breitet seinen Gästen den roten Teppich aus und sieht in Spezialisierung die Zukunft - für ihn ist es Langhaar. Dazu bedarf es neuer Ausbildungsmodelle und mehr Flexibilität.

imSalon: Ralf, Sie sind bekennender Langhaarspezialist. Warum?
RS: 1994 habe ich Langhaar ERlebt! Bei der Alexandre de Paris Tour mit Jean-Luc Minetti. Ich durfte damals 14 Tage lang mitreisen und habe gesehen, wie Minetti vorbereitete. Das war wahnsinnig inspirierend und prägend. Die Wandelbarkeit und gleichzeitige Schlichtheit von langen Haaren. Auf der Deutschland-Tour waren erstmals Couture-Kleider auf einem Catwalk, für über 3 Millionen DM! Das war unfassbar.

Ab wann ist langes Haar denn lang? Da scheiden sich ja oft die Geister.
RS:
Wenn es auf der Schulter ankommt.

Wann boomt langes Haar im Salon?
RS: Immer dann, wenn die Standesämter voll sind. Ende März bis in den Mai hinein.

Worauf kommt es bei der Langhaarfrisur an?
RS:
Zu realisieren: welcher Typ Haar, welche Länge, welches Kleid, welcher Anlass?
Was passiert? Für wie lang? Indoor oder Outdoor?

Was ist Langhaar-Trend bei Ihnen?
RS:
Nicht zu frisiert, sondern bewegt und locker. Alles, was geschwungen, gehäkelt, geflochten ist, nicht zu fest! Haarreifen mit Blüten, leichte schöne diffuse Wellen und Wellentäler mit Blüten, nicht zu tief, nicht zu friseurig. Lange Zopf-Varianten mit Haarteilen. Zöpfe mit zwei, drei unterschiedlichen Strukturen.

Haarschmuck, was empfehlen Sie?
RS:
Wir arbeiten mit der Kunstblumenmanufaktur Steyer aus Wallroda zusammen. Heide Steyer fertigt z.B. Blumen für die Hüte der englischen Königin, wie auch Seidenblumen nach dem Muster der Braut bzw. aus den Stoffen des Brautkleides. Solche Sachen verwenden wir, bis hin zu winzigen Maiglöckchen, ebenso Blumen vom Floristen.

Verborgen Sie Blumenschmuck?
RS:
Früher ja, aber davon sind wir abgekommen. Nach einer durchtanzten Hochzeitsnacht kommen die zarten Seidenblüten leider nicht mehr so zurück, wie sie vorher waren.  

Gäbe es einen Mastertitel für Langhaarspezialisten, was müsste der enthalten?
RS: Vier Stufen: Die Basics, Salonarbeiten, Fashion Week Erfahrung, Fotoproduktion.

"Wir sind Dienstleister mit Schaffungswert - das muss wertig sein und in die Köpfe der Gesellschaft."

Was ist bei der Umsetzung im Salon wichtig?
RS:
Grundsätlich: der Kundin muss es gefallen. Wir Friseure leben oft in anderen Sphären, wenn es um Haare geht. Es ist wichtig, unsere tollen Ideen immer wieder herunterzubrechen, minimal zu arbeiten und trotzdem handwerkliche Kunst zu machen. Es geht auch ohne viel technische Elemente, man muss lernen, dass auch eine glatt und leicht geschwungene Fläche handwerkliche Kunst ist! Kunden sehen so etwas. Wir sind Dienstleister mit Schaffungswert und das muss wertig sein und in die Köpfe der Gesellschaft.

Ein schöner Satz! Wie leben Sie das?
RS:
Indem ich auch mal Nein sage! Ich muss als Friseur nicht jeden Kundenwunsch erfüllen. Wichtig ist, sich auf bestimmte Sachen zu konzentrieren, auf UNSER Angebot! Das heißt ja nicht, dass wir das andere nicht können. Es ist wichtig, in sich zu ruhen und zu wissen, was wir handwerklich besonders gut können, dafür zahlen die Kunden.

Seit einem Jahr arbeiten Sie mit und für Estel. Warum? 
RS: Wir haben uns gesucht und gefunden. Wir wollten einen Umbruch, neue Aufgaben und neue Leidenschaften. Wir arbeiten mit Estel, weil sie sehr persönlich sind und man noch das ganze Team kennt. Das macht es sympathisch. Der Umstieg war für uns wie ein Umzug, wie noch einmal neu beginnen: neuer Salon, neue Farben, neue Produkte – ein Anschub!

Was bewegt dazu, von der Großindustrie auf Mittelstand umzustellen?
RS: Große Firmen verkaufen Produkte in Drogeriemärkten, man ist an Mengen gebunden, um bessere Preise zu erzielen und es ist frustrierend, als kleiner Friseur nicht dieselben Preise zu bekommen, wie beim Friseurbedarf. Mehrwert für kleinere Unternehmen gibt es nicht mehr. Das ist nur für die großen lukrativ, die kleinen müssen kreative Nischen finden.

Einer ihrer wichtigsten Grundsätze ist: Haare sind wertvoll. Das geben Sie auch in Ihren Seminaren weiter.
RS:
Ja, wir widmen uns der Ausbildung im Langhaarbereich und wenden uns an Auszubildende und Friseure gleichermaßen. Wir sind gut vernetzt mit anderen Friseuren und jeder der uns kennt weiß, dass er bei uns jederzeit reinkommen kann und lernen. Einfach so.

Sie sind Wissensvermittler, bilden aber aktuell keinen Nachwuchs aus. Warum?
RS:
Ich bin ehrlich, würde hier jemand reinspazieren, der aktiv am Leben teilnimmt und offene Augen hat, der Sport treibt, sich für Kunst interessiert und Friseur werden möchte, dann nehme ich den gerne.  

"Ich behaupte, früher hatten Auszubildende einen besseren Notendurchschnitt, ein besseres Allgemeinwissen und breitere Interessen."

Das sind hohe Ansprüche, oder?
RS:
Das sind genau die Dinge, die in unserem Beruf wichtig sind. Ich erfahre etwas über die Bewegung und den Fall des Haares, wenn ich mir z.B. Tanz anschaue, so etwas bringt mich auf neue Ideen. Ich behaupte, früher hatten Auszubildende einen besseren Notendurchschnitt, ein besseres Allgemeinwissen und breitere Interessen. Jemand der nur mit 4ern und 5er im Zeugnis daherkommt, signalisiert mir nicht die Bereitschaft, etwas mit Begeisterung zu tun, z.B. auch trainieren zu wollen. Der schmeißt früher oder später den Beruf. Wir können nur hoffen, dass die Leute wieder aufwachen und erkennen, dass Dienstleistung hochprofessionell ist und unheimlich viel Spaß bringen kann. Nur, solange Eltern glauben, dass ihre Kinder alle Abitur machen müssen…

Gerade wurde der Mindestlohn für alle Auszubildenden beschlossen. Wie sehen Sie das?  
RS:
Wir reden immer von Mindestlöhnen und schimpfen. Wir diskutieren mit den Werten, die wir vor 20, 30 Jahren hatten. Wir brauchen höhere Löhne und dementsprechende Preise. Alles andere ist der falsche Ansatz!

"Wir akzeptieren, dass ein Arzt oder Rechtsanwalt gut verdient und begründen das gern mit dem langen Studium und deren Verantwortung. Und was ist mit uns?"

Was ist mit dem Argument der Finanzierung?
RS:
Das ist ganz einfach.Um Mitarbeiter gut zu bezahlen und ordentlich wirtschaften zu können, braucht es einen Umsatz von 60 Euro in der Stunde. Hab ich den nicht, kraxel ich herum.
Und wir brauchen einen höheren Lohn; für Fachkräfte wenigstens 2500 Euro! Denn wer will bei Vollzeit mit 1700 Euro nach Hause gehen? Wie kann man davon ein gutes Leben finanzieren? Wir akzeptieren, dass ein Arzt oder Rechtsanwalt gut verdient und begründen das gern mit dem langen Studium und deren Verantwortung. Und was ist mit uns? Wir fangen mit 16, 17 Jahren an zu arbeiten und finanzieren das! Es wird Zeit, das Handwerk an die Jetztzeit anzupassen!

Das heißt was?
RS: Die Lebensgewohnheiten haben sich geändert. Man will nicht mehr ständig an einem Ort arbeiten und dasselbe machen. WIR verhalten uns so, aber unsere Kinder gehen ins Ausland, sammeln neue Eindrücke, wollen flexibel sein, auch in der Ausbildung. Ich denke, es ist nicht schlimm, nur einen Teil in der Ausbildung zu absolvieren, um sich später zu spezialisieren mit dem Wissen: Jetzt bin ich angekommen. So jemanden sollten wir als Bereicherung sehen und ihm einen Arbeitsvertag geben. Wir müssen uns rechts und links eben öffnen.

Aber wie prüft man solche Leute?
RS:
Die Frage ist doch, ob eine Handwerkskammer denn alles prüfen kann, was auf dem Markt angeboten wird? Wer sagt, dass das die richtigen Standards sind? Wir haben seit 35 Jahren die gleichen Strukturen, aber haben die heute noch ihre Berechtigung? Darüber sollte nachgedacht werden.

Mit welchem Ziel?
RS:
Es geht um Vereinfachung und andere Wege der Ausbildung, um junge Leute für unsere Branche zu finden. Bei den Eltern soll ankommen: Mein Kind ist nicht schlecht, wenn es ein Handwerk lernt! Dann öffnen sich alle Blicke, auch die der Kinder.

Herr Suchomel, es war mir ein Vergnügen mit Ihnen zu plaudern, herzlichen Dank!

FACTS Suchomel & Bohm Dresden:

  • 160 m2 Salon in Dresden | 5 Mitarbeiter
  • Mitglied derHaute Coiffure Francaise Paris
  • Sessionstylisten für Givenchy, Dior, Yves Saint Laurent, Vivienne Westwood, Guido Maria Kretschmer, Michalsky und und und
  • freier Trainer für Langhaar, Fashion und Coaching mit Studio in Dresden
  • Akteur für Estel Europe