17.05.2024

Johanna Röhl: „Cannabis wird legalisiert und beim Frauenthema kommt die Regierung nicht voran“

Nach 10 Jahren erfolgreicher Selbstständigkeit wird Johanna Röhl schwanger und realisiert, wie wenig Rechte schwangere Unternehmerinnen haben. Dafür kämpft sie jetzt und nutzt dazu auch ihre Position in der Innung …

Johanna Röhl ist selbstständige Unternehmerin (friseursalon-roehl.de) und aktiv im Vorstand der Landesinnung und des Landesverbands der Friseure Rheinland.

Das Gespräch führte Raphaela Kirschnick

"Solostylistin: Ich liege gut über 22.500 €, zahle Gewerbesteuer, ..."

Johanna, du bist schwangere Unternehmerin. Kurz zu deiner Situation…
Johanna Röhl:
Ich bin seit 10 Jahren selbstständig, die meiste Zeit mit Angestellten. Meine letzte Mitarbeiterin wurde vor 2,5 Jahren schwanger und ist nicht aus der Elternzeit zurückgekommen. Seither arbeite ich allein im Salon, den ich in unser Haus reinbauen konnte. Das war ein Traum von mir und hat das Thema Familienplanung einfacher gemacht.

Johanna Röhls Salon

Den Salon im eigenen Haus ohne Mitarbeitende, das weckt bei vielen den Verdacht der Schwarzarbeit. Bist du Kleinstunternehmerin und liegst unter 22.500€ Jahresumsatz?
JR:
Nein, ich liege gut darüber. Mein Gewerbe ist ganz normal angemeldet und ich zahle Gewerbesteuer, etc,. Und ganz ordnungsgemäß habe ich auch eine Nutzungsordnungsänderung fürs Haus machen müssen.

Parallel bist du in der Innung.
JR:
Ja, ich bin seit 10 Jahren in der Innung Rhein-Hessen und auch seit vielen Jahren im Vorstand des Landesverbands Rheinland.

"Wenn ich als Solo-Selbstständige keine Einnahmen habe, sind am Ende des Tages null Euro in der Kasse, die Kosten laufen aber weiter."

Du bist schwanger geworden als Unternehmerin und fühlst dich benachteiligt als Frau und zukünftige Mutter. Beschreibe die Situation.
JR:
Ich bin auf eine Petition gestoßen: „Mutterschutz für alle“ – von der Tischlermeisterin Johanna Röh, mit über 120.000 Unterschriften ist sie zum Bundestag gegangen. Da ist mir zum ersten Mal so richtig bewusst geworden „Krass, wir bekommen als Unternehmerin ja gar nichts!“.
Unsere Familienplanung war damals schon präsent, aber das Thema, dass ich als Selbstständige keine Unterstützung erhalte und keinen gesetzlichen Anspruch auf Mutterschutz habe, das wurde mir erst durch diese Initiative bewusst. Das hat unserer Planung keinen Abbruch getan, wir kriegen das schon irgendwie hin.

Dennoch ist es nicht fair, dass man sich als Frau, egal in welcher Situation, Gedanken, um ihre Existenz machen muss. Das finde ich schade, dass selbstständige Frauen an diesen Punkt kommen. Fairness muss man auch im Auge behalten – jeder sollte die gleichen Rechte haben.

Wie trifft dich das als Solo-Selbstständige?
JR:
Es macht nochmal einen Unterschied, ob ich zehn Mitarbeiter habe, die Einnahmen machen und die laufenden Kosten decken. Wenn ich als Solo-Selbstständige keine Einnahmen habe, sind am Ende des Tages null Euro in der Kasse, die Kosten laufen aber weiter. Ohne Einnahmen kann ich die nicht bezahlen und da reden wir noch nicht mal davon, dass ich in dieser Zeit auch von etwas leben muss.

Welche Möglichkeiten bieten die Krankenkassen?
JR:
In der Grundversicherung hat man keinen Anspruch auf Krankengeld. Eine Aufstockung kostet sehr viel Geld im Monat. Anspruch auf Krankengeld hat man auch erst 6 Wochen nach der Geburt.
Bei angestellten Schwangeren beginnt der Mutterschutz 6 Wochen vor errechneten Geburtstermin und endet 8 Wochen nachher. Sie bekommt volles Gehalt vom Arbeitgeber, der es bei der Krankenkasse komplett zurückfordern kann.

"Im Wochenbett, da sollte keine Mutter arbeiten müssen. ... Bei Selbstständigen ist das dein Privatvergnügen."

Schutzbedarf mit zweierlei Maß?
JR:
Das ist die besondere Situation: Die Schwangere braucht einen besonderen Schutz und darf nicht benachteiligt werden. Sie bekommen volles Geld, obwohl sie nicht arbeiten. Die Frau soll sich auf die Geburt vorbereiten, Kraft tanken und schonen. 8 Wochen danach ist das Wochenbett, da sollte keine Mutter arbeiten müssen. Das gilt aber nur, wenn du angestellt bist. Bei Selbstständigen ist das dein Privatvergnügen. Da musst du schauen, wovon du in dieser Zeit lebst.

Johanna Röhls Salon

Gibt es irgendeine Versicherung, die du abschließen könntest?
JR:
Es gibt bestimmt für alles eine Versicherung, aber die Frage ist doch, wer kann sich das leisten und weshalb ist es bei jedem Angestellten in der Basisversicherung abgedeckt, bei Selbstständigen aber nicht. Ich zahle jeden Monat fast 600€ Krankenversicherung und da ist nichts Spezielles drin. Für einen jungen Mensch, der sich das Leben gerade erst aufbaut, ist das eine echte Herausforderung.   
Klar, ich kann alles absichern, davon leben ja auch die Versicherungen, aber ist das fair? Dass sich angestellte Frauen um gar nichts kümmern müssen und Selbstständige jeden Monat in eine Kasse einbezahlen müssen, nur damit wir in diesen 12 Wochen Geld bekommen?

Man bekommt das Krankengeld erst 6 Wochen nach der Geburt?
JR:
Korrekt, durch die ersten 6 Wochen muss man finanziell auch erstmal durch. Das ist ein ganz schön langer Urlaub. Jede Selbstständige weiß, wie schwer es ist, auch nur 2 Wochen Urlaub zu machen.

Wie sieht es denn dann mit der Elternzeit aus?
JR:
Das Elterngeld bekommt man auch als Selbstständige, aber erst 8 Wochen nach der Geburt. Man erhält vom monatlichen Durchschnittseinkommen des Vorjahres 65%.

Deine Forderung an die Politik?
JR:
Frauen sollen sich in der Zeit, in der sie ein Kind bekommen, keine Gedanken machen müssen, ob der eigene Betrieb es schafft. Ich möchte keine Angst um meine Existenz haben, wenn ich gerade das Schönste in meinem Leben erleben darf. Die Politik spricht immer von Frauenrechten, will die Frau als Unternehmerin fördern und dann schafft sie, es Cannabis zu legalisieren, aber nicht die Frauenrechte.

Frauen sollen Chancen haben, sich selbstständig zu machen. Es herrscht hier eine unglaubliche Benachteiligung gegenüber Männern und Arbeitnehmerinnen.

Was empfiehlst du jungen Frauen, die sich selbstständig machen?
JR:
Ich war mit 23 selbstständig, da hab‘ ich nicht über Familie nachgedacht. Dann kommt man an den Punkt, hättest du das gemacht, wenn du das gewusst hättest? Oder wäre es einfacher, jetzt angestellt zu sein, in einer guten Position? Das sollte man als junger Mensch zumindest durchdenken und sich dann entscheiden.
Und es ist ja nicht nur das eigene fehlende Gehalt einzukalkulieren, sondern auch sämtliche Betriebskosten, die anfallen, z.B. Miete, Energie, Versicherungen,…

Deine nächsten Schritte?
JR: 
Manchmal geht es auch darum, ein bisschen Lärm zu machen! Ich spreche es jetzt auf jeder Tagung an, vor allem bei Politikern, vor Kurzem bei Andrea Nahles. Ich hoffe es wird hier etwas passieren.

Johanna, ich danke dir für dieses offene Gespräch und wünsche dir eine wundervolle Schwangerschaft und viele erfolgreiche politische Kontakte.