27.09.2024
"Wenn man etwas braucht, dann muss man sich dafür stark machen"
Einige Herausforderungen im Friseurhandwerk lösen sich nicht von selbst. Nachwuchsmangel, Schattenwirtschaft und andere gehören in die Köpfe der Politiker. Dafür kämpft Ines Tietböhl in vielen Gremien …
Nebst Salonunternehmerin zu sein, sind sie in vielen Gremien vertreten: Zentralverband, Handwerkskammer, Intercoiffure, Landesinnungsverband. Was motiviert Sie so aktiv unterwegs zu sein?
Ines Tietböhl: Es ist vor allem die Liebe zum Beruf. Ich habe es aber auch satt, mir ständig anhören zu müssen, was alles nicht gut läuft. Ich komme aus dem Norden Mecklenburg-Vorpommerns und habe gelernt, wenn man etwas braucht, dann muss man sich dafür starkmachen.
Wie macht man sich in diesen Ämtern stark?
IT: Ich knüpfe viele Kontakte und suche das Gespräch. Man kann die einzelnen Ämter ganz gut miteinander vernetzen.
Handwerkskammer und Landesinnungsverband verfolgen teilweise unterschiedliche Ziele, wem liegt denn ihr Herz näher? Und wo kann man für die Friseure mehr bewegen?
IT: In der Handwerkskammer setzen wir uns für alle Belangen des gesamten Handwerks ein und da muss ich häufig erst vom Friseurhandwerk überzeugen. Der Landesinnungsverband ist ausschließlich auf Friseure ausgerichtet, das ist mein Ursprung und wichtige Basis.
Ich höre häufig den Satz „Friseure sind zu leise und werden nicht gehört“. Was müssen wir tun, um noch stärker gehört zu werden, vor allem von der Politik?
IT: Der direkte Weg ist der richtige. Wir müssen Politiker immer wieder auf uns aufmerksam machen und mit ihnen das Gespräch suchen. Wir bekommen auch offenes Gehör, nur das erfordert permanentes Reden und dranbleiben. Es sind leider immer die gleichen, die reden und auf sich aufmerksam machen, dagegen muss man selbst angehen und sich ins Gespräch bringen.
Was raten Sie Ihren Kollegen, wie können die unterstützen?
IT: Mit politisch aktiven Kundinnen oder Kunden rede ich ganz offen und kläre auf, was am Markt los ist. Das können alle.
Sind sie gut vernetzt in der Politik
IT: Teilweise! Ich habe 2 Kandidaten, die auch im Landtag sitzen und mit ihnen suche ich regelmäßig das Gespräch. Bei relevanten Themen mache ich auch ordentlich Feuer, denn die müssen verstehen, was an der Basis los ist.
„Wir müssen in den Köpfen der Politiker bleiben.“
Sie sind auch im Zentralverband, dort ist mehr auf bundespolitischer Ebene zu tun. Was muss hier passieren, um mehr gesehen zu werden und ein Mindset für Friseure schaffen?
IT: Auch hier müssen wir permanent auf uns aufmerksam machen, um in den Köpfen der Politiker zu bleiben. Nehmen Sie die Baustelle 7 % Mehrwertsteuer, da wird keine Entscheidung über Nacht getroffen, da müssen wir permanent dranbleiben. Genauso die Kleinunternehmerregelung, diese ist unfair für das Friseurhandwerk und das müssen wir denen klarmachen. Gleichzeitig ist es die Aufgabe des Zentralverbands, das auch auf Landesebene herunterzubrechen.
Sie sind eine der wenigen Frauen auf der noch immer eher männlich dominierten Verbandsebene. Was muss geschehen, dass mehr Frauen aktiv werden oder den Sprung nach oben schaffen?
IT: Viele Frauen sind sehr aktiv, aber Frauen machen gerne ihren Job und drängen nicht in den Vordergrund. Und teilweise liegt ja auch viel mehr Belastung auf den Frauen, was Familie und so weiter angeht. Aber ich würde mir auch mehr Beteiligung von deren Seite wünschen.
Was sind denn die aktuellen Themen in Mecklenburg-Vorpommern?
IT: Eines der größten Themen ist der Nachwuchsschwund. Fachkräftemangel ist das eine, aber dass niemand nachkommt, das ist brisant. Unsere Berufsschulklassen sind sehr schwach besetzt. Das erste Lehrjahr brachte viel zu wenige neue Auszubildende und aus Erfahrung brechen viele dann auch noch ab. Parallel nimmt die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe weiter ab. Letztendlich ist das eins zu eins wie auf Bundesebene.
Wie sieht es aus mit der Schattenwirtschaft?
IT: Schwarzarbeit floriert, genau wie bundesweit! Wir rechnen brav ab und legen bei Kontrollen alles offen und um Barbershops werden große Bögen gemacht.
Finden Kontrollen statt?
IT: Wir haben gute Kontakte zu den Finanzbehörden oder Zollämtern und weisen sehr direkt auf Unstimmigkeiten hin. Vereinzelt finden auch Kontrollen statt, aber meistens heißt es, wir haben keine Zeit oder gehen lieber in Großbetriebe, wo es mehr zu fischen geht.
Glauben Sie, wir hätten mehr Nachwuchs, wenn es andere Ausbildungsmodelle gäbe?
IT: Jein. Ich bin von der Dualen Ausbildung überzeugt, aber natürlich gibt es auch hier ein paar Dinge, die wir ändern müssen. Aber welche Alternativen gibt es denn? Es gibt aktuell noch keinen guten Lösungsansatz und ich glaube, das wird noch ein paar Jahre dauern, bis sich hier etwas ändert. Außerdem gibt sehr viele Gegner und Bremser in den Diskussionen.
Wir hören immer, die Handwerkskammern sitzen auf der Dualen Ausbildung und lassen keine Änderung zu. Stimmt das?
IT: Natürlich verteidigen die Handwerkskammern hier auch ihre Hoheit. Aber die Duale Ausbildung soll ja nicht verschwinden, sondern es muss zusätzliche Konzepte geben. Daran müssen wir arbeiten.
Die vielen Themen schlagen sich häufig auch in der Preisgestaltung nieder. Auf der einen Seite Wettbewerbsdruck durch Billigsalons, auf der anderen Seite Mindestlohnerhöhung, Inflation und gestiegene Kosten. Wie ist die Situation in Mecklenburg-Vorpommern?
IT: Wir haben viele Mitglieder, die sich sehr bewusst darüber sind, was sie wert sind. Diese Unternehmen ziehen Preisanpassungen konsequent durch. Aber natürlich gibt es auch die, die von Angst geprägt sind und lieber selbst draufzahlen, als Preiserhöhungen an ihre Kunden weiterzugeben.
Ich denke, diese zwei Fraktionen halten sich die Waage.
Was könnte man tun, um diese Angst zu nehmen?
IT: Wir Friseure werden rar und was rar ist, wird kostbar. Ich muss einen guten Job machen, das ist das Wichtigste. Die Kunden haben einen Anspruch und das ist etwas wert, das sollte jeder erkennen.
Viele Innungen beklagen einen starken Mitgliederschwund, wie sieht es bei Ihnen aus?
IT: Wir haben das Problem des Altersschwund. Wir müssen aktiv neue Mitglieder gewinnen und das ist nicht leicht. Aufrufe über Social Media helfen da nicht. Das geht nur Face-to-Face und obwohl es mühselig ist, bringt es etwas. Und dann muss man als Verband liefern und einen Mehrwert bieten?
Was ist der Mehrwert?
IT: Tatsächlich unser Vernetzt-sein. Wir haben Antworten auf jede Frage, die sich ständig im Salonalltag ergeben. Es findet ein regelmäßiger Austausch zu aktuellen Themen statt, davon profitieren alle. Das möchten die meisten Mitglieder nicht missen.
Wird die politische Arbeit verstanden?
IT: Ja, aber da wird ein Problem eingegeben und dann erwartet, dass wir etwas tun, nur das dauert in der Regel. Es wird aber auch verstanden, dass wir mit vielen kleinen Schritten unterwegs sind und nicht auf Knopfdruck etwas politisch ändern können. Ich denke, unsere Mitglieder sehen, wie bemüht wir sind.
Liebe Frau Tietböhl, ich bedanke mich für Ihr Engagement und das Gespräch.