Credit: Sandra Stiemert

25.02.2022

Sandra Stiemert kämpft weiter vor Gericht für entgangenen Unternehmerlohn: Abfertigung nach 13 Minuten Online-Verhandlung

Sandra Stiemert ist Selbstständige aus Sachsen-Anhalt. Ihre Klage am Landgericht Magdeburg auf entgangenen Unternehmerlohn wurde abgewiesen. Unterstützung erhält sie dabei aus der Industrie, deswegen ist ihr Kampf für sie und die Branche noch nicht vorbei.

Im Interview mit Juliane Krammer

"Ich saß zu Hause vor dem Rechner, der Richter vor Gericht und mein Anwalt in Frankfurt am Main vor seinem Bildschirm."

Liebe Sandra Stiemert, im Mai letztens Jahres haben Sie eine Zahlungsklage eingereicht. Nun wurde diese abgewiesen. Was ist in den letzten 9 Monaten passiert?
Sandra Stiemert: Im Prinzip ist nicht viel passiert. Wir hatten vor Kurzem diese Verhandlung, die online war. Ich saß zu Hause vor dem Rechner, der Richter vor Gericht und mein Anwalt in Frankfurt am Main vor seinem Bildschirm. Ich muss dazu sagen: Die Akustik war eine absolute Katastrophe, man hat nichts verstanden. Meiner Meinung nach war es ein Abfertigen, denn das Ganze hatte insgesamt 13 Minuten gedauert. Der Richter hat im Vorhinein schon gesagt, dass die Chancen schlecht stehen. Das war uns schon klar, aber einen Funken Hoffnung hat man ja trotzdem. Letzte Woche kam der Beschluss, dass das abgelehnt ist.

Wie haben Sie vom Ergebnis erfahren?
SST:
Das wurde mir telefonisch vom Gerichtssprecher übermittelt.

Wie geht es weiter?
SST: Wir werden jetzt in die zweite Instanz gehen, weil wir wirklich jeden Weg gehen wollen. Deshalb haben  wir auch vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe auf die Zahlung eines Unternehmerlohnes geklagt. Stellvertrenden für alle Selbständigen in der selben Lage.Ich möchte eigentlich nur vom Staat in Ruhe gelassen werden. Wenn mir aber verboten wird, der Arbeit nachzugehen, dann bin ich der Meinung, dass der Staat auch dafür Sorge tragen muss. Ich binSelbstständige und nicht die einzige, der hier das Genick gebrochen wurde. Wir müssen hier entschädigt werden. Für mich stellt sich die Frage, warum im Infektionsschutzgesetz die Regelung für die Selbstständigen fehlt. Für mich gibt es nur zwei Varianten: Entweder wir wurden vergessen, dann ist das eine riesige Schlamperei oder es wurde extra so gemacht. Beides wäre eine Katastrophe. Aber wir sind ja sowieso dem Staat ein Dorn im Auge. Wir zahlen nicht in die Arbeitslosenversicherung ein und in die Rentenversicherung. Demzufolge wird das sicherlich keiner zugeben: aber das ist eine große Schweinerei und das Infektionsschutzgesetz muss daraufhin geprüft werden.

Sie sprechen hier immer in der „wir“-Form, wer steckt denn hier alles dahinter?
SST: Ich alleine als Saloninhaberin wäre mit dieser Problematik völlig überfordert. Ich habe das Glück den Geschäftspartner Noah Wild zu haben von Wild Beauty. Die haben mich juristisch und organisatorisch aber vor allem finanziell auf diesem Weg unterstützt. Alleine hätte ich das nie geschafft.

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Und auch jetzt im Nachhinein, wenn es um die Verfahrenskosten geht, werden Sie weiterhin unterstützt?
SST:
Ja, denn diesen finanziellen Background hätte ich gar nicht gehabt. Es tut auch gut, nicht für mich alleine zu kämpfen, sondern für alle. Das was hier passiert ist, ist meiner Meinung nach verfassungswidrig. Man kann uns hier nicht auslassen. Für Mitarbeiter gibt’s Kurzarbeitergeld, für Salonunternehmer Überbrückungshilfen – aber das ist ja nicht mein Unternehmerlohn. Es ist wichtig, dass da einer agiert und das überprüfen lässt. Wir haben viel zu viel, die das Recht hätten, Geld zu bekommen.

Wie kam Noah Wild auf Sie zu?
SST:
Ich hatte damals für Sachsen-Anhalt für die Wiederöffnung geklagt. Wir hatten damals für jedes Bundesland einen Vertreter, der dafür gekämpft hat. Nachdem dann wieder die Salons geöffnet wurden, kam die Frage auf, wie es jeden einzelnen erging. Bei mir ist zu dieser Zeit viel passiert: Meine Ehe ging auseinander, ich musste mit zwei Kindern in eine eigene Wohnung ziehen, … Ich habe meine Geschichte in der Gruppe geteilt. Daraufhin hat Noah gemeint, dass er mich unterstützt, um für mich und letztendlich auch für alle hier zu kämpfen.

Haben Sie Unterstützung von Branchen-KollegInnen erhalten?
SST: Ja. Ich habe hier ganz viel mentalen Support erhalten. Oft haben mir Unternehmer Feedback gegeben, dass sie da hinter mir stehen. Das war sehr wichtig. Das ist eine Sache, die viele betrifft. Wenn die finanziellen Mittel da wären, würden da viel mehr KollegInnen juristisch vorgehen. So ein Klageweg bringt ja Kosten im fünfstelligen Bereich mit sich. Das muss man einmal finanziell tragen, mit dem Risiko, dass alles abgeschmettert wird.

Vielen Dank, Frau Stiemert, für die Offenheit und alles Liebe für Ihre Zukunft.