Credit: Raman Photos | Zur Verfügung gestellt von Michael Müller

24.06.2019

Michael Müller über den Bodensatz der Gesellschaft & selbstverschuldete Dumpinglöhne

Der Frankfurter Salonunternehmer Michael Müller gibt einer Tageszeitung ein Interview und ließ mit seinen provokanten Aussagen über Friseurbranche, Image und Löhne die Emotionen hochgehen. Was ihn bewegt...

Das Interview führte Katriina Janhunen

imSalon: Sie sagen in der Frankfurter Rundschau, dass unsere Branche „nicht mehr das Auffangbecken für den Bodensatz der Gesellschaft sein darf“. Das ist eine Aussage, die auf Facebook die Emotionen hochgehen liess… Wie haben Sie das gemeint?
Michael Müller:
Ja, in den sozialen Netzwerken war einiges los. Den Dialog und die kritische Auseinandersetzung wollte ich damit auch erreichen. Ich glaube, dass mir die Leser zustimmen werden, wenn ich sage: Das Image der Friseurbranche ist miserabel. Damit meine ich Einkommensverhältnisse, Altersvorsorge, Aufstiegschancen und Sozialprestige.
Wenn über den Niedriglohnsektor berichtet wird, kommen Friseure oder Pflegekräfte. Das macht Stimmung in die falsche Richtung. Das hat die Branche nicht verdient. Und da gehört sie auch nicht hin.

„Ich brauche keine kleinen Friseusen“

Auf Ihrer Webseite steht viel zu Teamarbeit. Warum arbeiten Sie dennoch alleine?
MM:
Ich betreibe mein Unternehmen jetzt 22 Jahre, 20 davon als Partner von Klaus Peter Ochs und seit zwei Jahren alleine. Unternehmerisch lief das viele Jahre auf sehr hohem Niveau und mit vielen Auszeichnungen. Es hat sich aber das Gefühl eingestellt, sich im Kreis zu drehen. Der Aufwand Mitarbeiter ständig in die Champions League der Friseure zu coachen, war mir - gemessen am Ertrag - zu hoch.
Eine hohe Fluktuation und ein sehr hoher Schulungsetat kamen dazu. Es braucht viel Geld, Zeit und Energie für die Entwicklung von Mitarbeitern. Und ich brauche Leute mit Ecken und Kanten, keine kleinen Friseusen.

Sie zahlen doch weit über dem Durchschnitt - reicht Geld nicht als Motivator?
MM:
Friseure sind meist sehr sozial und ich frage oft bei Bewerbungsgesprächen „Wenn Sie sich nur für eines entscheiden können, was nehmen Sie: Team, Weiterbildung oder Gehalt?“. Das Geld ist immer an letzter Stelle. Wenn das Team sich verändert und nicht mehr passt, gehen Mitarbeiter trotz guten Gehalts.

Wie viel soll ein Friseur verdienen?
MM:
Grundsätzlich sollte jeder Friseur das verdienen, was er „verdient“! Wenn ich mich für einen 10€-Betrieb entscheide, sollte ich wissen, dass es Akkord ist, dann darf ich kein Top-Gehalt erwarten.
Ich bin doch oft verwundert, wie viele Friseure über das Gehalt klagen, sich in der Opferrolle sehen und „nebenher“ etwas dazu verdienen müssen. Die haben nicht die Energie und die geistigen Fähigkeiten, etwas zu ändern. Erfolg ist kein Zufall, dafür muss ich mich halt bewegen! In dem Fall haben sie es nicht anders „verdient“.

Credit: Raman Photos

Saloninhaber fragen sich, woher sie mehr Geld für die Mitarbeiter nehmen sollen. Ihre Antwort?
MM:
Am Ende des Tages kann ich nur das Gehalt zahlen, das auch tatsächlich erwirtschaftet wird. Um eine Win-Win-Situation zu erreichen, braucht es einen Brutto-Durchschnittsumsatz von mindestens 1,50€/Arbeitsminute. Mitarbeiter Jahresgehälter von 60.000 sind möglich! Mit Discountpreisen kann man aber keine Top-Gehälter zahlen!
Wenn ich Qualitätsführer sein möchte, muss ich demnach handeln. Hohe Preise durchzusetzen und sich im Premium Segment zu etablieren bedarf natürlich ein professionelles Konzept, Ausdauer und Unternehmertum.

Und was macht der Friseur, der gar nicht Premium sein möchte, der nur Angst hat, dass ihm seine Kunden weglaufen?
MM:
Wenn dein Produkt attraktiv ist, zahlen die Leute auch. Wenn du nur Mittelmaß bist, kannst du auch nie ernten.

Wie kann man das Image der Branche verbessern?
MM:
Die Zugangsvoraussetzungen für Berufseinsteiger müssen höher sein. Das Image muss sich von oben ändern, indem das System von untern erneuert wird, etwa mit einem dualen Studium. Dann wird auch eine andere Zielgruppe angesprochen, die erfolgs- und karriereorientiert ist.

Höhere Zugangsvoraussetzungen, obwohl jetzt schon ein Fachkräftemangel herrscht?
MM:
Wir kriegen nur motivierte Karriereleute, wenn man ein hochseriöses Umfeld schafft. Eine Selektion muss her, damit sich der Markt bereinigt. Wir haben aktuell auf 1000 Einwohner einen Salon. Das ist ein tödlicher Verdrängungswettbewerb. Die Discounter und mehrwertsteuerbefreiten Betriebe müssen einer Marktbereinigung zum Opfer fallen.

„Friseure liefern die Expertise, aber die Produkte werden dann billig online angeboten“

Kann die Industrie das Branchenimage stärken?
MM:
Grundsätzlich könnte sie das schon, mir fehlt hier aber der Dialog. Die Beziehungen zur Industrie haben sich gewandelt, viele Friseure kaufen günstiger beim Versandhandel und bekommen auch hier Außendienstbetreuung. Friseure sollen den Kunden die Expertise liefern und die friseurexklusiven Marken werden dann billig online angeboten. Das zerstört die Reputation der Friseure. Mit innovativen Produkten oder Dienstleistungen hat sich die Industrie in den letzten Jahren schwergetan. Imagekampagnen zur Mitarbeitergewinnung sind leider verpufft.

Welche Rolle spielen Innungen und Verbände?
MM:
Wir haben leider keine starke Lobby, die unsere Interessen vertritt. Alles ist klein, klein und wurschtelt vor sich hin. Den Innungen laufen seit Jahren die Mitglieder weg, der Zentralverband klopft sich auf die Schultern und feiert die digitale Berichtsheft App als durchschlagenden Erfolg.
Die Neugestaltung des Manteltarifvertrages ist nicht zukunftsorientiert, in Zeiten in denen auch Lufthansa, Deutsche Bank, Siemens und Co sich um dieselben Talente bemüht - wir halten alle die Angel in den selben Teich. Nur haben die eine bessere Zukunftsperspektive!

Was wünschen Sie sich für die Branche?
MM:
Weniger Low-Quality-Salons, bessere Beratungsqualität, mehr Kundenbindung, Vollauslastung der Mitarbeiter, Mütter die nach der Schwangerschaft wieder in den Beruf einsteigen. Echte Friseurexklusivität der Haarkosmetik, Interessenvertretung durch die Verbände, einen zeitgemäßen Ausbildungsrahmenplan, mehr Kontrollen der Ämter in Puncto Schwarzarbeit, illegale Beschäftigung und Geldwäsche. Und natürlich deutlich höhere Löhne, durch den Mut zu leistungsgerechten Preisen und dadurch ein besseres Image.