Jutta Gsell, Salon Kopfkunst Bad Mergentheim | Credit: Kevin Bailey

07.12.2020

Jutta Gsell: Die Billigketten haben unsere Branche verramscht

Die derzeitige Marktbereinigung durch Insolvenzen hat begonnen. Vom Preisdumping erholt die Branche sich nicht so leicht, ist Jutta Gsell überzeugt. Wie sie Motivation in der Ausbildung sieht und elterliche Hemmklötze, ihre Ideen dazu und wofür sie die Barber bewundert. Ein Talk ...

Im Telefoninterview mit Katja Ottiger

Jutta, alle deine Mitarbeiterinnen hast du selbst ausgebildet. Was hältst du von ausbildungsverweigernden Kollegen?
Jutta Gsell:
Es ist feige nicht auszubilden. Wir haben den jungen Leuten gegenüber Verantwortung und da gibt es keine Ausreden! Sie verdienen ihre Chance - alles andere wäre nicht fair. Chefs, die ausbilden, sollten sich wiederum mehr in die Ausbildung einbringen. Jeder macht irgendwie sein Ding, auch die Schulen.

Deshalb dein Engagement in der Berufsschule?
JG:
Mir ist bei einer Prüfungsabnahme mal der „Kragen geplatzt“ und ich habe die mangelnde Motivation vonseiten der Prüfer angesprochen: Ein Berufsschullehrer meinte dann: „Jutta, dann mach doch mal selbst!“ Das habe ich getan und unterrichte nun einmal im Jahr. Anfangs war ich schon erschrocken, wie die zum Teil desinteressiert dagesessen sind. Ich habe den Jugendlichen gesagt: „Ich opfere heute einen Tag und werde den nicht verplempern!“. Die Schüler sind sogar freiwillig länger geblieben.

Nachwuchsmangel – die immer wiederkehrende Frage: was tun?
JG:
Interesse wecken ist wichtig! Deshalb bin ich immer wieder auf Ausbildungsmessen unterwegs. 9 von 10 Mädels interessieren sich für die Beautybranche. Das Problem sind die Eltern. Sie sind der Hemmklotz und glauben nicht an den Erfolg der Ausbildung. Sie kennen nicht die Möglichkeiten, weil wir die Vorzüge nicht in den Vordergrund stellen. Ich habe so einen großartigen Beruf, ich kann mein Leben lang, weltweit, in diesem Beruf arbeiten, ohne mein Leben komplett umkrempeln zu müssen. Derzeit sitzen viele zuhause im Homeoffice oder arbeiten gar nicht und vermissen soziale Kontakte. WIR haben die! Der Friseurberuf kann nicht ersetzt werden! Jeder Friseur kann sich in seiner Gegend als Friseurstar profilieren und im Kleinen seinen persönlichen „Fame“ abbekommen.

"Billigfriseurketten – die nehme ich der Branche übel.“

Niedrige Lehrlingsgehälter sprechen eine eigene Sprache!
JG: Das ist leider das, das immer hängenbleibt. Wir haben versäumt das Gehalt attraktiv zu machen und das ist eine Hemmschwelle für Eltern. Aber ich denke, dass die heutige Jugend da anders denkt, die wollen in erster Linie glücklich sein.

Geld ist kein unschlagbares Argument?
JG:
Ach, immer dieses Jammern um zu wenig Geld! Unsere Branche ist selbst schuld. Es gibt zu viele Friseure, die nicht verstehen, dass sie für ihre Arbeit entsprechend Geld verlangen können. Unsere Branche wurde von den Billig-Friseurketten verramscht – und die nehme ich unserer Branche wirklich übel! Aber gut, momentan findet eine Bereinigung statt (► Insolvent: Klier). Es tut mir leid für jeden Einzelnen, der davon betroffen ist, aber sich von diesem Preisdumping zu erholen, ist für die Branche nicht einfach. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt Geld für unsere Leistungen zu verlangen.

Die Frage ist, wie Kunden das mittragen?
JG:
Ich gehe gern mit Kunden in die Diskussion und rege an, zu bedenken, was eine Friseurin alles kann: Welche Ausbildung sie hat, was sie immer wieder dafür tun muss und dass Friseurin sein nicht nur aus einer Balayage besteht, sondern breitgefächert und hochwertig ist.

„Wir dürfen die Mädels nicht unterschätzen, die sich zuhause stylen (…) die haben ein Grundverständnis für Tools.“

Bist du mit dem Ausbildungsmodell zufrieden?
JG: Die Ausbildung muss überdacht werden. Hier sind die Handwerkskammern gefragt. Wir sollten uns immer wieder fragen, warum jemand Friseur lernt. Wir dürfen die Mädels nicht unterschätzen, die zuhaue ihre Freundinnen stylen oder sich selbst mit Glätteisen und Lockenstab. Die haben ein Grundverständnis für die Stylingtools. Aber wir zeigen ihnen erst einmal, was sie nicht können: Sie kommen in die Schule und lernen Dauerwelle wickeln und im Betrieb Haare kehren.

Aber Dauerwelle ist auch Handwerk. Was wäre denn dein Vorschlag?
JG:
Zuerst sollten wir zeigen, was alles möglich ist. Die Azubis sollen sich hinstellen und am Trainingskopf ein Styling umsetzen. Danach überlegen, wie es sich verbessern lässt – mit Farbe, Wellen oder einem Schnitt? Wir können zeigen, die Dauerwelle als Element zu sehen, als Kür und nicht als Pflicht und bei ihnen den Ehrgeiz wecken, das können zu wollen. Wir sollten aufhören, die Dauerwelle als Schrecken über Generationen zu verkaufen!

Und Beautysense entwickeln?
JG:
Ja, wir müssen lernen zu lehren, was schön ist. Die Mädels von heute haben ein anderes Gefühl dafür: zu viel Make-up, zu viel Augenbrauen, zu viel Wimpern. Sie müssen die breite Schönheit kennenlernen, die natürliche, die ältere! Sie müssen verstehen, dass ein „Muttchen“ auch gern ein Muttchen sein möchte, aber eben ein „flottes“! Das lernen sie nicht in der Schule, da sind wir Ausbilder gefragt, mit unser Erfahrung. Wir müssen ihre Sichtweisen verändern, dann einen Schritt zurücktreten und sie machen lassen.

„Es reicht nicht mehr, ollen Kaffee aus einer ollen Kaffeemaschine anzubieten.

Chris Coenen meinte beim letzten Intercoiffure Business Kongress, dass es beim Gegenüber einen Unterschied macht, zu sagen, er ist Barber, statt er ist Friseur. „Barber“ als Imagepolitur?
JG:
Die Barber haben es vorgemacht, die haben an ihrem Inventar und an ihrem Image gearbeitet. Du schaust in deren Läden und denkst: WOW! Es reicht eben nicht mehr, ollen Kaffee aus einer ollen Kaffeemaschine anzubieten. Ich verkaufe das Gefühl „Schönheit“ doch schon an der Eingangstür! Ich muss mich fragen, wie ein Bedienplatz heute ausschauen sollte und muss mich trauen, mich zu bewegen.

Was wünschst du dir von den Kollegen?
JG
: Eine Diskussionsplattform, einen runden Tisch mit erfahrenen Menschen, die im Leben stehen - das müssen nicht unbedingt nur Friseure sein - gemeinsam mit jungen Leuten und unseren Azubis! Die sollten wir ins Boot holen, denn die tragen den Beruf weiter. Wir verlangen und verlangen, aber fragen die jungen Leute nicht, was sie denken und wollen und was sie wie verändern würden. Am Ende des Tages machen die es doch ganz gut! Wir sollten sie an die Hand nehmen und begleiten und auch mal DANKE sagen.


Über Jutta Gsell:

  • Inhaberin „Kopf-Kunst“, Bad Mergentheim / Baden-Württemberg
  • 7 Mitarbeiterinnen / 4 Lehrlinge
  • Wella Professionals Topakteurin, Farbspezialistin