04.02.2021
Björn von Rotz: Wir Friseure sind im Schweizer Lockdown die einzigen Entertainer
Die knallharte Einhaltung der Hygieneregeln ist DIE perfekte Friseur-Lobby, die neuen Abstandsregeln werden zeitgeistig, der Virus bleibt, wo er ist, nämlich draußen aus dem Salon! Björn von Rotz arbeitet in Zürich seit Ende April durchgehend ...
Im Telefoninterview mit Katja Ottiger
„Es geht darum Mitarbeiter und Kunden zu halten (…) wie in guten, so in schlechten Zeiten.
Wie geht es dir aktuell?
Björn von Rotz: Das hängt immer von den Zahlen ab. Im November hatten wir 10.000 Neuinfektionen pro Tag, da hatten wir im Salon grobe Verluste, weil Kunden ausblieben. Unser Gewinn gegenüber Vorjahr ist gleich Null, aber eigentlich geht es darum nicht. Wir müssen „politisch“ nach außen positiv wirken und an Mitarbeitern und Kunden festhalten. Ich sehe das wie in einer Ehe: Wie in guten, so in schlechten Zeiten!
Wie ging es dir im 1. Lockdown?
BvR: Beim 1. Lockdown war ich froh, dass ich zu sperren konnte, der Umsatzverlust war enorm - trotz der betriebswirtschaftlich ordentlichen Rücklagen von drei Monaten. Nach sechs Wochen Lockdown war ich dann froh, wieder öffnen zu können und die Chance auf Überleben zu haben.
„Die Schweiz ist wirtschaftlich und nicht sozial orientiert.“
Eure Salons sind offen, magst du, dass das so bleibt? Auch in der Schweiz ist die Virusmutation in aller Munde …
BvR: Die Schweiz ist im Gegensatz zu unseren Nachbarn wirtschaftlich und nicht sozial orientiert. Ein filigranes Thema, denn es braucht die Balance aus beidem. Allein der Mietzins muss hier zu 100 Prozent gezahlt werden, da wird nicht geholfen, die Schweiz möchte finanziell nicht aufkommen. Dass wir offenbleiben, ist für mich sehr wichtig, wenn man selber Verantwortung tragen darf, kann man besser mit der Situation umgehen.
„Die Regelungen wurden durchgezogen (…) von dieser Lobby profitieren wir.“
Eure Hygiene- und Abstandsregeln gelten in der bestehenden Form seit dem 1. Lockdown?
BvR: Ja. Die Coiffure Suisse hat nach dem 1. Lockdown harte Regelungen festgelegt und diese wurden von Anfang an durchgezogen, obwohl viele im Sommer nach Lockerungen riefen. Die Linie zu halten hat unserer Branche geholfen und von dieser Lobby profitieren wir.
Die strikten Maßnahmen bringen interne Veränderungen. Wir haben unsere schönen Holztische mit Glas abdecken müssen, eine Folge der Desinfektionsmittel. Wir arbeiten den ganzen Tag unter Masken, die alle 2 Stunden gewechselt werden. Kaffees schenken wir nur aus, weil wir eine entsprechende Spülmaschine haben, die mit mindestens 60 Grad wäscht, auch die Schneidemäntel werden bei 60 Grad gewaschen. Pausen finden getrennt statt.
„Wir hatten Kunden, die den Virus im Nachhinein hatten, aber er ist niemals zu uns übergegangen.“
Was macht das mit dem Team?
BvR: Durch intensive Kommunikation schärft sich das Bewusstsein für die Situation. Die Mitarbeiter verstehen, dass es ihnen nur gut geht, wenn es dem Geschäft gut geht. Wir hatten schon Kunden, die anriefen nach dem Besuch bei uns, weil sie im Nachhinein schon mit dem Virus infiziert hatten, aber niemals ist der Virus auf uns übergegangen. Die Maßnahmen sind keine Bremse für unseren Betrieb, sondern Sicherheit. Es ist weniger riskant, damit zu arbeiten, als im privaten Bereich.
„Die Abstandsregeln haben sich zum Zeitgeist entwickelt.“
Ein Learning aus den letzten Monaten?
BvR: Dass die Abstandsregeln sich zum Zeitgeist entwickeln. Da wir die Warteräume in den Arbeitsbereichen nicht mehr verwenden durften, hatte ich spontan im Garten ein Zelt aufgebaut, damit die Kunden draußen warten konnten. Mittlerweile musste ich das wieder abbauen, das Bauamt hatte sich gemeldet. Ich habe stattdessen extra Räume geschaffen, in denen sich pro Raum maximal zwei Leute aufhalten. Diese werden wir auch so beibehalten, der Zeitgeist nicht zu nah aufeinander zu arbeiten ist für Kunden wie Friseur wichtig.
Du bist Mitglied der Coiffure Suisse?
BvR: Ja, der Coiffeur Suisse bietet gute Hilfestellung, die wirklich für jede Art von Friseur geeignet ist und alles abdeckt. Wenn man Lehrlinge hat, sind die überbetrieblichen Kurse für Mitglieder auch günstiger.
"Mein Geschäft funktioniert mit oder ohne Lehrlinge.“
Du hast keine Auszubildenden mehr?
BvR: Ich richte mein Geschäft nicht mehr nach Lehrlingen aus, es gibt bei uns in der Schweiz sehr viele offene Lehrstellen. Nach 15 Jahren habe ich jetzt aufgehört, auszubilden. Ehrlich gesagt hatte ich in den letzten Jahren immer mehr Mühe, die Qualität der Lehrlinge zu bekommen, die ich benötige. Sollte aber jemand sich vorstellen, der Wille und Freude an unserem Beruf hat, würden wir wieder gerne ausbilden.
Wie läuft es mit der Schule, du bildest Haar-&Make-up Artists aus.
BvR: Wir waren ein knappes Jahr geschlossen und haben in der letzten Woche wieder aufgemacht. Die Nachfrage ist da. Wir bilden aus im System ein Lehrer ein Teilnehmer, beide mit Masken und Abstand, wir arbeiten mit Powerpoint und Dollheads.
Hast du gehört, ob deutsche Kunden in die Schweiz zum Coiffeur fahren?
BvR: Ich persönlich habe sowieso deutsche und österreichische Kunden, aber die haben in der Regel einen Zweitwohnsitz oder jemanden, bei dem sie sich regelmäßig aufhalten. In den Grenzgebieten könnte ich mir das vorstellen, weiß es aber nicht.
„Wir haben Farbformeln rausgegeben (…) ich denke, ein Teil des Umsatzverlustes beruhen darauf.“
Gab es Änderungen im Service – mehr Farben mehr Schnitte?
BvR: Wir haben während des Lockdowns unsere Farbformeln rausgegeben, damit sich die Kundinnen die Ansätze machen konnten. Ich denke schon, dass die 10 Prozent weniger Umsatz bei der Farbdienstleistung darauf beruhen.
„Wir Friseure sind im Lockdown die einzigen Entertainer in der Schweiz.“
Könnte aber auch daran liegen, dass die Leute im Moment mehr vor dem Bildschirm sitzen und der Glamour weniger geworden ist. Aber die Kunden kommen gern, denn wir sind im Lockdown ohne Restaurants, Kino etc. und dadurch wird sogar der Friseur zum Entertainer. Das Wichtigste dabei ist, dass die Kunden sich sicher fühlen und genießen können. Durch innovative und konsequente Umsetzung der Maßnahmen kann unser Gewerbe auch sehr positiv auffallen.
Es freut mich sehr, dass meine Kollegen in Österreich nächste Woche die Tore auch wieder aufmachen dürfen. Und ich hoffe, dass in Deutschland in den nächsten Wochen auch ein positiver Entscheid für die Friseure fällt. Gewerbe auch sehr positiv auffallen.
Wenn du auf 2020 zurückblickst – was siehst du?
BvR: Die Heldin des letzten Jahres: die Schutzmaske! Ohne sie würde sehr wahrscheinlich mein Geschäft heute nicht mehr so da stehen. Für viele immer noch ein schreckliches Ding - ich verwende sie ständig - alles Einstellungssache.
Björn, vielen Dank für deine Einblicke und weiterhin alles Gute!
Über Room of Design:
- 1 Salon in Zürich
- 1 Hair - & Make-up Schule
- 8 Mitarbeiter
- www.roomofdesign.ch
Aktueller Stand 2. Lockdown in der Schweiz
Die Schweiz befindet sich seit 22.12.20 im 2. Lockdown, ►es gelten verstärkte Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus, die in der letzten Sitzung des Bundesrates am 27.01. nochmals nachjustiert wurden. Trotzdem sind u.a. Coiffeure, Massagenpraxen, Baumärkte, aber auch Schulen und Hotels und deren Restauration für die Gäste geöffnet. Der Einzelhandel steht still. Es besteht die Verpflichtung zu Homeoffice, mit wenigen Ausnahmen bis vorerst Ende Februar. Es gibt derzeit keine FFP2 Maskenpflicht in öffentlichen Bereichen oder ähnlichem. Der 2m Abstand aus dem 1. Lockdown im Frühjahr wurde auf 1,5 m herabgesetzt, ab 2 Leute in einem Raum herrscht Maskenpflicht.