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17.05.2016

Entgelt-Atlas der Arbeitsagentur: Friseure auf letztem Platz

Gastkommentar von Dieter Schneider

Die Bundesagentur für Arbeit hat im Internet Zahlen über Bruttoverdienste in Deutschland veröffentlicht: Der Entgelt-Altlas. "Atlas" deshalb, weil mit Anklicken auf einer Deutschlandkarte das durchschnittliche Bruttoentgelt für alle möglichen Berufe in den einzelnen Bundesländern abgefragt werden kann.

Prompt steht da der Beruf „Friseur/Friseurin“ mit 1.390 Euro pro Monat an letzter Stelle.

Verwundert reiben sich da Insider die Augen. Gilt nicht seit dem 1.August 2015 der länderübergreifende Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde? Das sind bei einer 37-Stundenwoche 1.362 Euro pro Monat und bei einer 40-Stundenwoche sogar 1.472 Euro. Hat da möglichweise die Bundesagentur für Arbeit Mindestlohn mit Durchschnittslohn verwechselt?

Erklärungsversuche

1. Erhebungszeitraum
In den Medien steht fast nie, dass der Erhebungszeitraum das Jahr 2014 ist. Gerade wegen der Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes hat sich bei den Friseurlöhnen vor allem in den neuen Bundesländern einiges nach oben getan. Aber auch in den „alten“ Bundesländern sind sowohl einige Tariflöhne, als auch effektive Löhne seit 2014 deutlich gestiegen.

Das aber kann allein den angeblichen Durchschnittswert von 1.390 Euro nicht erklären. Es kommen noch gewichtigere Argumente dazu, dass der Durchschnittswert für Brutto-Entgelte für Friseurinnen und Friseure in Deutschland wesentlich höher sein muss.

2. Vollzeitkräfte
Es ist weder auf der Internetseite des Bundesanstalt für Arbeit und schon gar nicht in den Medienberichten erkennbar, wie „Vollzeitkraft“ definiert wird. Normalerweise gilt mehr als 20 Stunden Wochenarbeitszeit als Vollzeitarbeit. Eine frühere Untersuchung der „MARKTLÜCKE“ über Löhne der MARKTLÜCKE-Leser hat gezeigt, dass eine große Zahl der angeblichen Vollkräfte deutlich weniger als 37 Stunden in der Woche arbeitet.

Das drückt den statistischen Durchschnittslohn für Vollkräfte nicht wenig. Die Tendenz zur untertariflichen Arbeitszeiten zwischen 20 Stunden und 37 Stunden in der Woche hat in den letzten Jahren sogar noch zugenommen. Einerseits deshalb, weil die Verweildauer im Friseurberuf als Angestellte bei guten, langjährigen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen steigt und andererseits, weil verstärkt mit der Arbeitszeit in Absprache von Chefs und Mitarbeitern gemogelt wird, um die vor allem die tariflichen Mindestlöhne für höherqualifizierte Friseurinnen und Friseure zu umgehen. Die liegen für etliche Mitarbeiter in leitender Position in einigen Bundesländern über 2.000 Euro.

3. Mittleres Entgelt
So nennt die Bundesagentur für Arbeit die ermittelten Durchschnittswerte. Der Laie geht und davon aus, dass es sich um ein sogenanntes arithmetisches Mittel handelt. Dafür ein einfaches Beispiel:

Das arithmetische Mittel wäre dann 1.930 Euro (17.370 durch 9). Das ist das typische Zusammenschütten von heißem und kalten Wasser, bei dem wenn es zusammengeschüttet wird, eine angenehme Temperatur herauskommt.

Die Bundesagentur verwendet aber nicht das arithmetische Mittel, sondern den sogenannten Median. Da wird, der Teufel, der im Detail steckt vom Beezelbub (eine Art Oberteufel) ausgetrieben. Das heißt: Ein Übel durch ein noch größeres Übel ersetzt.

Bei Ermittlung des Median wird die Menge der ermittelten Daten in zwei gleich große Teilmengen (50%/50%) unterteilt. Der Wert genau an der Grenze zwischen den beiden Teilmangen ist der Median, also der Wert genau in der Mitte. Die Bundesagentur für Arbeit erklärt in diesem Zusammenhang, dass Verzerrungen durch extreme Höchst- und Niedrigwerte beim Median geringer seien, als beim arithmetischen Durchschnitt. Im obigen Beispiel ist der Median 1.400 Euro.

Im Friseurhandwerk kommt die Lohnspreizung tendenziell dem obigen Beispiel sehr nahe. Ein großer Teil der angestellten Friseurinnen und Friseure wird nur nach Tarif oder sogar unter Tarif bezahlt. Inwieweit die Bezahlung unter Tarif durch Schwarzlohn aufgestockt wird, darüber gibt es im Hinblick auf den Umfang nur Vermutungen auf Grund von Einzelerfahrungen. Dieses Branchenbild entspricht stark vereinfacht der linken Seite im obigen Zahlenbeispiel. Die rechte Seite ist sehr viel differenzierter. Das reicht von tüchtigen Jungfriseurinnen bis hin zu Filialleiterinnen oder sogar von Gesellschaftern/ Geschäftsführern von Friseur-GmbHs.

4. Lohn und Einkommen
Das ist grundsätzlich und speziell im Friseurhandwerk nicht das Gleiche. Im Gegensatz zu den meisten anderen Berufen bekommen Friseurinnen und Friseure erheblich steuer- und sozialabgabenfreies Trinkgeld. Das hebt die Einkommenshöhe, auf Bruttolohn umgerechnet von den genannten 1.400 Euro als Mittelwert auf fast 2.000 Euro brutto.

Gerade die Mitarbeiterinnen zwischen 20 und 27 Stunden Arbeitszeit, erwirtschaften mit „privater“ Friseurarbeit nicht unerheblich Einkommen. Das reicht von illegaler Schwarzarbeit bis zu legalen Familienhilfe. Selbst die Kombination von sozialversicherungspflichtiger Anstellung und angemeldeter selbständiger Arbeit nimmt zu. Auch die für sie kostenfreie Behandlung im Salon ist ein nicht zu unterschätzendes Einkommen. Es ist ja bekannt, dass eine Friseurin zwischen fünf und sieben Stunden arbeiten müsste, um sich eine Stunde ihrer eigenen Arbeit leisten zu können.

Fazit

Es ist nahezu unmöglich, öffentlich gegen die reichlich schräge Darstellung der Zahlen der Bundesagentur im Internet und den Medien zu argumentieren, wenn keine eigenen Erhebungen vorhanden sind. Deshalb ist der Verbandsorganisation auch kein Vorwurf dahingehend zu machen, die Zahlen nicht sofort richtig gestellt zu haben. Sie sind ja nicht falsch. Aber Georg Christoph Lichtenberg hat es sehr treffend formuliert: "Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt"

Das Beste wäre, den immer wieder kolportierten Unwahrheiten über die Einkommenssituation von angestellten Friseurinnen und Friseuren glaubwürdige Wahrheiten gegenüberzustellen. Das wäre z. B. eine aktuelle und differenzierte Ermittlung von Mitarbeiterlöhnen und -leistungen, wie sie vor vielen Jahren von der MARKTLÜCKE schon einmal vorgenommen wurde. Bei der auch in den nächsten Jahren bleibenden strategischen Engpass Arbeitsmarkt hätte eine solche Darstellung der tatsächlichen Verhältnisse auf dem Friseurarbeitsmarkt einen PR-Wert von einigen Millionen Euro.