| C: Dean Zill

27.05.2021

Stephan Conzen: Kleinstunternehmerregelung schafft Ungleichbehandlung

Corona hat nichts verändert und wird nichts verändern, ist Glynt Geschäftsführer Stephan Conzen überzeugt und fokussiert auf Herausforderungen, wie Preissensibilität, Wettbewerbsverzerrung und Nachhaltigkeit...

Im Gespräch mit Raphaela Kirschnick

Wie geht es nach über einem Jahr Corona bei Glynt?
Stephan Conzen: Wir leben zu über 92% von dem Geschäft mit Friseurbetrieben, die anderen 8% sind Haarkosmetik-Geschäft über andere Vertriebswege, hauptsächlich Online.  Auch wir hatten im Lockdown Stillstand, damit saßen wir in genau dem gleichen Boot wie jeder unserer Kunden.

Viele Geschäfte haben sich ins Digitale verlegt, wie sieht das bei Glynt aus?
SC:
Auch bei uns ist Online überproportional gewachsen, das ist der Gang der Zeit. Im Zuge der Nachhaltigkeitsdiskussion gibt es allerdings langsam eine Bewegung, die in Frage stellt, ob es eigentlich ökologisch vertretbar ist, etwas online zu kaufen, das einmal durch die komplette Republik gefahren und dann vielleicht wieder zurückgeschickt wird. Das ist noch gar nicht so richtig in der öffentlichen Debatte angekommen.

Sollten Friseure versuchen auf Online-Modelle aufzuspringen?
SC:
Für Salons ist das kein richtiges Geschäftsmodell, sondern nur Service. Das wirkliche Geschäft machen die großen Onlinehändler. Refill bietet da eher eine Möglichkeit für Salons, Kunden für den stationären Einkauf zu gewinnen, denn Nachfüllservice kann nicht online gemacht werden. Ab Juni gibt es auch von Glynt eine mobile Refill Station. Das eröffnet zumindest eine kleine Chance. 

„Früher wollte man Geld sparen, heute möchte man Verpackung sparen.“

Nachfüllstationen konnten sich bei Friseuren nie durchsetzen!
SC:
Ich glaube das wird eine Renaissance erfahren, denn die Motivation der Kunden ist heute eine andere. Früher wollte man Geld sparen, heute möchte man Verpackung sparen..

Bei Refill war immer die große Herausforderung, dass der Friseur die Produktqualität beim Nachfüllen nicht gewährleisten kann. Wie wird damit umgegangen?
SC: Wichtig ist, dass der Kunde ein Angebot erhält sein Produkt selbst nachzufüllen. Man darf als Salon kein Volumenversprechen machen und für das Produkt in der mitgebrachten Verpackung keine Verantwortung übernehmen. Der Friseur kann die Qualität des Behältnisses nicht seriös beurteilen, man weiß ja nicht, ob der Sohn der Kundin da Haushaltsreiniger reingefüllt hatte. Der Verantwortungsbereich bleibt beim Kunden.

Wie verändert die Corona-Zeit die Branche?
SC: Ich glaube, Corona hat nichts verändert und wird nichts verändern. Testnachweise, Hygiene- und Maskenvorschriften sind temporäre Erscheinungen. Was sich gerade ändert ist nicht kausal Corona bedingt.

Welches sind für Sie die wichtigsten Einflüsse?
HC:
Das gesamte Handwerk leidet unter Personalmangel, das liegt an unserer Demografie. Es gibt nur noch halb so viele 18-jährige Menschen wie vor 35 Jahren, wovon die meisten heute dazu neigen, einen akademischen Weg zu wählen. Das wird sich vielleicht ändern, sollte haptisches Arbeiten wieder populärer, weil sinnstiftender, werden, aber diese Prognose will ich hier jetzt noch gar nicht wagen. Die Zunahme der EPUs macht mir ebenfalls Sorge.

Ist es nicht verständlich, dass sich viele Friseure im Zuge des Personalmangels, für kleinere Saloneinheiten entscheiden?
SC:
Natürlich, aber durch die Kleinstunternehmerregel ist das wettbewerbsverzerrend. In Deutschland wurde die Grenze gerade auf 22.000€ angehoben. Das gibt kleinen Salons das Privileg die Umsatzsteuer zu vereinnahmen. Überprüfungen gibt es kaum.

Spüren sie eine gewisse Preissensibilität bei Friseuren?
SC: Wenn ich den Statistiken Glauben schenken darf, dann hat es ja für die Friseurdienstleistungen im Laufe der letzten 18 Monaten erhebliche Preissteigerungen von 7% gegeben, also deutlich über der Inflationsrate. Das ist nicht ungefährlich, denn Kunden müssen dazu erst einmal ‚Ja‘ sagen. Solange ein Teil der Friseurunternehmer fiskalisch bevorzugt wird, solange werden die Dienstleistungspreise auch immer wieder wie ein Bleigewicht nach unten gezogen. Es wird in der Nachbarschaft immer einen Kleinstunternehmer geben, der es sich leisten kann, für 20% weniger zu arbeiten. Das ist eine Ungleichbehandlung. Solange wir diese in unserer Branche nicht lösen, die wie keine andere vom B2C Geschäft abhängig ist, wird das auch nichts ändern.

Thematisiert wird das Thema von Seiten der Kammern nie. Weshalb eigentlich?
SC: Es wird zwar immer wieder genannt, aber dann kommt irgendein Politiker, der sagt, nein, das steht momentan nicht auf der Agenda. Das ist politisch so gewollt, Kollateralschäden nimmt die Politik in Kauf, nur sind diese in der Friseurbranche leider besonders deutlich.

Sind Friseure derzeit offen für Neues?  
SC: Corona hat das finanzielle Fundament vieler Geschäfte arg in Mitleidenschaft gezogen, und wenn man jetzt erst mal wieder ein bisschen Fleisch auf die Knochen bekommen möchte, wird man zumindest in der Anfangszeit weniger risikobereit sein. Insgesamt sind Friseure aber sehr innovationsfreudig und begeisterungswillig.

Ist das jetzt positiv?
SC:
Friseure stürzen sich eigentlich immer mit Freude auf neue Produkte und Techniken. Ich sehe das eher ein bisschen problematisch, da sie nicht gerade durch Stetigkeit glänzen, es scheitert eher daran aus Innovationen ein langfristiges Geschäft zu machen. Nehmen Sie Olaplex, das war ja nicht nur ein neues Produkt, sondern eine neue Dienstleistung. Die Friseure haben alle mitgemacht, fragt man heute, wie sich das Pflegegeschäft etabliert hat, dann hört man nicht mehr viel.

Was braucht der Markt, um auch nach außen innovativ zu wirken?
SC:
Beratung muss digitalisiert werden. Wenn man sich in diesem Bereich offen zeigen würde, brächte das einen großen Fortschritt. Die Kommunikation zwischen Kunde und Friseur ist mehr oder weniger dem Zufall überlassen.

„Wenn man in dem Bereich der Innovation auf die Kommunikation setzt und die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden erfährt, ist das ein größerer Fortschritt als alle Haarstärkeanalysegeräte…“

Sollte das nicht teil jedes Beratungsgespräches sein?
SC:
  Nehmen Sie Augenbrauen-/ Wimpernservice, da gibt es beeindruckende Fallbeispiele. Wenn man konsequent Kunden darauf anspricht, nehmen 80% der Kunden den Service in Anspruch. Das Geld liegt also auf der Straße, wer das Geschäft nicht macht, hat nur ein kommunikatives Problem. Wenn man in dem Bereich der Innovation auf die Kommunikation setzt und die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden erfährt, ist das ein größerer Fortschritt als alle Kopfhautanalysegeräte,  mit denen kriegt man keinen richtigen Hering vom Teller!

Glynt hat die bisherige Coronazeit genutzt, um sich neu aufzustellen. Nachhaltigkeit ist jetzt das große neue Thema, wie ist es dazu gekommen?
SC: Wir wurden schon immer als semi-medizinische Marke wahrgenommen. Das ist auch so von der Herkunft begründet, mein Vater hatte ja angefangen mit dermatologischen Produkten. Über die Jahre wurden die Produkte dann Schritt für Schritt beautylastiger. Um Nachhaltigkeit kommt man heute nicht mehr umhin, der Kunde verlangt das.

Wir schwierig ist es eine Marke nachhaltig umzuentwickeln?
SC:
Es ist nicht schwierig eine grüne Rezeptur zu machen, aber eine grüne Rezeptur, die etwas taugt, das ist das Problem. Die Perfomance muss stimmen und das hat eine Weile gedauert, bis wir das erreicht hatten. So sind wir jetzt zumindest im Pflegebereich total green. Das ist die Rezepturseite, bei der Verpackung ist das ja keine Hexerei. Wir setzen auf Recyclingmaterialien.

Was inspiriert Sie in punkto Nachhaltigkeit?
CS:
Wir haben seit diesem Jahr einen Nachhaltigkeitsbotschafter engagiert, Arved Fuchs, eine unglaubliche Persönlichkeit. Wir sponsoren seine Expedition „Ocean Change“, wo er die Änderungen des Golf Stroms erforscht. Als ich mich mit ihm über das Thema Nachhaltigkeit unterhalten habe, merkte ich, er kann das auf Grund seiner eigenen Erfahrung wirklich beurteilen. Wenn Arved sagt, wir haben Wasserproben vor Grönland mit Mikroplastik gefunden und das, obwohl in der Nordwestpassage eigentlich niemand ist, dann kommt man schon ins Grübeln. Arved Fuchs sagt, jeder kleine Schritt ist wichtig, um daraus einen Großen zu machen.  Das motiviert.

Was brauchen Friseurunternehmen, um das Thema ordentlich umzusetzen?
SC: Ich glaube, dass es genau diese kleinen Schritte sind, die uns auch selbst im Unternehmen motivieren. Als Beispiel: Alles das, was wir in den Ausfluss schütten, hat Auswirkungen auf die ganze Welt, Arved Fuchs hat das eindrücklich veranschaulicht.  Im Salonalltag soll ein Gefühl gegeben werden, dass man sich vorher überlegt, wie viel man anmischt, um nicht die Hälfte wieder wegzuschütten oder in den Müll zu schmeißen. Kunden möchten sich auch eher in natürlichen Materialien bewegen als in Plastik, ob das jetzt Fußböden oder der Waschsessel ist. Aber dieses nachhaltige, bewusste und ressourcenschonende Arbeiten wird etwas sein, dass zukünftig selbstverständliche Zusatzerwartung sein wird. Wir, mit den Produkten, sind gar nicht an erster Stelle, aber wenn das mit einer guten Dienstleistung einhergeht, dann schaut das am Ende für alle gut aus.

Lieber Herr Conzen, vielen Dank für diesen hochinteressanten Austausch und weiterhin viel Erfolg.