Credit: Andrii Zastrozhnov | Adobe Stock

02.10.2021

Was ist ein Friseur wert? Eine ernüchternde Nicht-Wertschätzung

Da war sie wieder, die mediale Keule fürs Friseurhandwerk: Niedriglohn – Armut – Friseur: Prime Time Stern TV, es geht ums Geld verdienen – Zuschauer durften bestimmen, was ein Friseurberuf wert ist, das Ergebnis ernüchternd…

Dienstag Abend, Prime Time 20:15 Stern TV Spezial: Was verdienst Du?  

Der Moderator Steffen Hallaschka will von unterschiedlichen Gästen wissen, wieviel sie in welchem Beruf verdienen. Die Zuschauer dürfen abstimmen, ob es das wert ist oder auch nicht. Gleich zu Beginn die richtige Frage: Wie kann es sein, dass jene, die mit Menschen arbeiten (Pfleger, Friseure, etc.) extrem viel weniger verdienen, als ein Beamter der Papiere ablegt. Der Herr im Hintergrund, beamtet, will sein Gehalt auch gar nicht erst offenlegen und verweist zusätzlich auf die tollen Privilegien, die er hat, wie hohe Pension und den unkündbaren Beruf.  

Ganz anders der offene junge Mann, der es bei Facebook auf saubere 19.000 € brutto monatlich bringt – What? Da denkt man an einen täglich 20 Stunden hackelnden Top Manager, oder? Weit gefehlt, es bleibt genug Zeit, nebenbei einen eigenen YouTube Channel zu bespielen, der zusätzliche 5.000 € im Monat bringt. Bumm, ‚ich mache etwas falsch‘.

Also die FriseurInnen

Dann kommt die Gruppe der Niedriglöhner … schon im Wort selbst schwingt Negativität. Es folgen der LKW Fahrer, der Lieferando-Radler und die Friseurin.

Super sympathisch Friseurin Didem Dogru aus Düsseldorf, die ihr Gehalt offenlegte: 12,50 € Stundenlohn, 1.600 € brutto im Monat. Gleich 3x viel der Begriff Armut und beschrieb, was man sich nie leisten können wird, sogar die Rente wird von Armut begleitet sein.

Der Blick auf die Zahlen trübt weiter

1.600 € brutto verdient also die Friseurin, der Lieferando-Radler 1.800 €, im Übrigen ohne Ausbildung, wie auch der LKW Fahrer, der lediglich den LKW Führerschein braucht. Ungelernte männliche Niedriglöhner, ohne jegliche Ausbildung, verdienen mehr als die Friseurin nach dreijähriger Lehrzeit und konstanter Weiterbildung?

Die RTL Recherche mit Verweis auf offizielle Daten vom Statistischen Bundesamt ermittelt den Durchschnittslohn eines Friseurs in Deutschland:  Ø 1.813 €.

In Relation gesetzt: 2.267 € ist der Ø Niedriglohn in Deutschland, da liegt unsere Branche weit drunter. Trinkgelder sind bei allen Berechnungen ausgeklammert.

Sollen FriseurInnen mehr verdienen?

Aber was soll eine Friseurin eigentlich verdienen, wurde über eine Onlineerhebung erfragt: 2.109 € befinden knapp 53% der VoterInnen, das sind unsere KundInnen. Allerdings denken das nicht alle:

42.263 Personen wünsche dem Friseur ein höheres Gehalt von Ø 29 % mehr  = 2.109 €.

35.866 Personen sagen, dass aktuelle Gehalt des Friseurs (1.813 €) ist ok, er verdient nicht mehr.

1.037 Personen würden der FriseurIn sogar weniger geben wollen.

Damit bleibt die FriseurIn auch im Auge des Publikums unterm Niedriglohndurchschnitt.

Und wer einen Blick darauf werfen möchte, was andere Berufsgruppen verdienen und sollten  ►   LINK 

Die Sicht des Unternehmers

Danke an Rene Krombholz, der als Unternehmer, ebenfalls der Runde beiwohnte. Als Initiator des Projektes „Der faire Salon“ macht er sich unter anderem stark für eine bessere Entlohnung dank fairer Preise. Das Problem „Verbraucher haben 10 € Preise im Kopf,“ so Krombholz, da fällt es vielen schwer Preise anzuziehen. Krombholz klärt auf, was sich eigentlich alles hinter so einem Preis verbirgt „Der Friseur muss in der Stunde 60 € pro Mitarbeiter einnehmen, um selbst auch etwas zu verdienen, letztlich bleibt ihm aber auch nicht mehr viel.“ Ein Dilemma!

Gender Gap

Der Gender Gap ist vor allem im Niedriglohnsektor noch immer präsent.

Die spannende RTL Zahlen Aufbereitung

Es gibt 4 Mio. Niedriglöhner, die Ø 2.267 € verdienen

Verteilt man das auf die gemeldeten Beschäftigten nach Geschlecht und Arbeitszeiten, so erhalten wir folgenden Durchschnitts-Stundenlohn:

  • Männer: 22,78 € / Stunde
  • Frauen: 18,62 € / Stunde

Frauen verdienen 18% weniger als Männer. Das Geschlecht ist also noch immer ein Lohnfaktor.

Ein Fazit-Versuch

Wo ist die vielgepriesene Wertschätzung aus Lockdown-Zeiten, fernab der vielen Insta-Memes. Die Bereitschaft mehr zu zahlen, um den vermissten Friseuren eine gerechte Entlohnung zukommen zu lassen, spiegelt das nicht wider.

„Ich habe irgendwann verstanden, dass ich das wert bin“ sagt ein 16.000 € monatlich verdienender YouTube Zocker und nach einer Offenlegung von Anwältin 8.500 €, Mathematikerin im Beamtenstand 6.700 €, Hufschmied 9.000 € wird nach dieser Sendung ganz bestimmt niemand sagen: Kind werde Friseurin.

Unsere Branche braucht endlich einen neuen Fokus in der Öffentlichkeit, sollen sich die Sender doch auf andere Berufsgruppen stürzen und nicht immer den Friseurberuf als Negativbeispiel lieben. Es reicht! Wo sind die Verbände und Lobbyisten, um hier andere Botschaften zu setzen? Wer setzt sich für die Good News unserer Branche im Prime Time TV ein?

Der Tiefststand an Auszubildenden ( ►  Link) mit einem Rückgang von über 50% in nur 10 Jahren ist ein Weckruf. Die weitreichenden Folgen, es wird schon sehr bald viel weniger FriseurInnen geben.

Was werden die Konsequenzen sein?

  • Kollektiv für alle nach oben?
    Ist das zu schaffen? Kann das Friseurhandwerk für Dienstleistungen einen Stundenlohn von 80 – 120 € einfordern? Installateure, Mechaniker, etc. machen das längst!
     
  • Es bleibt, wie es ist? Irgendwann gibt es einige wenige großartige Salonkonzepte mit Mehrwert, die hohe Preise verlangen, gutverdienende FriseurInnen beschäftigen und Flagships sind? Die Spreu trennt sich vom Weizen…
     
  • Die Mikronisierung schreitet voran, es gibt immer mehr Soloselbstständige, die nur für sich arbeiten, meist unter der Umsatzsteuergrenze. Ausbildungsbetriebe werden zum Auslaufmodell.
     
  • Ausbildung wird privatisiert, wer FriseurIn werden möchte, zahlt für seine Ausbildung? 
     
  • Schwarzarbeit blüht? 
     
  • Oder? ...

Die Antworten werden weh tun, so oder so, wie diese SternTV Sendung.

In jedem Fall jedoch sollte die Antwort auf die eingangs zitierte Frage lauten: Nein! Ein Mensch, der mit und an Menschen arbeitet, ist nicht weniger wert als ein Beamter, der Akten sortiert.

LINK Die gesamte Stern Tv Sendung   ► „Was verdienst Du“ zum Nachschauen !