| C: Dean Zill

29.04.2022

Stephan Conzen: Die Friseurbranche befindet sich in einer fiskalischen Zweiklassengesellschaft

Darüber wie Kleinstunternehmertum, der Aderlass an Auszubildenden und eine ungerechte Besteuerung personalintensiver Branchen miteinander verknüpft sind und der Friseur Besseres verdient hat…

Im Gespräch mit Raphaela Kirschnick

Viele sprechen aktuell von einer existentiellen Krise der Friseure. Wie erleben Sie den Markt?
Stephan Conzen:
Viele Unternehmer, mit denen ich spreche, haben eine harte Zeit hinter sich, sind aber Kämpfermentalitäten und glauben, sie würden auch dieses Tal durchschreiten. Ich bin da weniger optimistisch.

Das klingt pessimistisch!
SC:
Pessimismus hat ja keine Anziehungskraft, ich sehe mich auch eher als rechnender Realist. Ich glaube nicht daran, dass es ganz so einfach wird, sich wieder zu erholen, weil dafür die Rahmenbedingungen im Markt nicht gut genug sind.

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„Es ist verkehrt, besonders personalintensive Branchen mit einer hohen Mehrwertsteuer zu belegen…“

Von welchen Rahmenbedingungen im Markt sprechen Sie?
SC:
Ich glaube, dass es verkehrt ist, besonders personalintensive Branchen mit einer hohen Mehrwertsteuer zu belegen. In Branchen, in denen man auf maschinelle Hilfe umsteigen kann, wird man die überproportionale Teuerung der menschlichen Arbeit abfedern. Wenn wir handwerkliche Arbeitsplätze erhalten wollen, dann müssen wir geeignete fiskalische Rahmenbedingungen schaffen. Dazu gehört in allererster Linie ein reduzierterer Mehrwertsteuersatz, anders als für maschinell erzeugte Güter.

Es gibt eine Initiative mit dem  Ruf nach 7 %. Unterstützen sie das?
SC:
Mit voller Inbrunst! Das würde viele Herausforderungen für Friseurunternehmer deutlich leichter machen.

„Wir haben einen überproportionalen Aderlass an Auszubildenden…“

Welche konkret in Ihren Augen?
SC:
Drei ganz besonders. Erstens: Wir haben einen überproportionalen Aderlass an Auszubildenden. Demografisch liegt der Rückgang der 18-Jährigen bei 20 %, im Handwerk bei 25 % und beim Friseur bei 58 %, das hat ja einen Grund. Viele Friseurbetriebe können sich die Ausbildung nicht mehr leisten. Friseure brauchen Substanz und eine Betriebsgröße, um ausbilden zu können.

Weshalb trifft das die Friseurbranche besonders intensiv?
SC:
Das ist der zweite Punkt:  In einer Branche, wo mit unterschiedlichen fiskalischen Gegebenheiten gearbeitet wird, haben in diesem Fall die traditionellen Strukturen keine Chance. Aufgrund der Kleinstunternehmerregelung muss bis 22.000 € keine Umsatzsteuer abgeführt werden. Damit befindet sich die Friseurbranche in einer fiskalischen Zweiklassengesellschaft. In Deutschland sind das 30.000 von 80.0000 Betrieben. Knapp 40 % der Salons können die UST voll vereinnahmen. 

Auszubildende, fiskalischer Nachteil und das Dritte?
SC:
Der staatlich auferlegte Mindestlohn! Höhere Löhne heißt nämlich auch, dass jemand bereit sein muss, einen höheren Preis zu zahlen. Das wird zu einem Strukturwandel führen, zu immer mehr Ein-Personen-Unternehmen. Die seit der Pandemie blühende Schwarzarbeit wird weiter zunehmen. Es gibt keine Branche, die das so sehr trifft, wie die Friseurbranche.  

Wird das mit Preiserhöhungen zu kompensieren sein?
SC:
Friseure brauchen eine Preiserhöhung, um explodierende Energiepreise, Mieten, gestiegene Personalkosten auszugleichen, aber auch um notwendige Zukunftsinvestitionen vornehmen zu kommen. Sollte keine Umsatzsteuer-Reduktion kommen, dann werden die Preise massiv erhöht werden müssen und das wird mit Sicherheit zu einem großen Kundenverlust führen.

„Der Gap zwischen 0 % und 19 % ist zu groß.“

Von den explodierenden Kosten sind aber auch Kleinstunternehmer betroffen, auch diese werden Preise anheben müssen.
SC:
Ich habe gar nichts dagegen, dass Kleinstunternehmer die Mehrwertsteuer behalten dürfen, sie dürfen ja auch nicht saldieren. Aber der Gap zwischen 0 % und 19 % ist zu groß. Man darf nicht vergessen: Ein Zweitmarkt steht willig bereit. Dann ist im Übrigen auch das Duale Ausbildungs-System nicht mehr zu erhalten.

Muss sich dann nicht das Ausbildungssystem verändern?
SC:
Das kann schon sein. Ich finde das Duale System hervorragend, auch wenn man über Dauer und Inhalte diskutieren kann, aber das ist für mich ein anderes Kapitel.

Was könnten alternative Salon Strukturen sein?
SC:
Sollte es nur noch Ich AGs geben, dann kann man auch daraus Geschäftsmodelle machen. Salonbesitzer werden Infrastrukturunternehmer und schaffen im Salonhaus 20 Arbeitsplätze. Die einmietenden Friseure arbeiten selbstständig auf eigene Rechnung, bilden nicht mehr aus, so ein bisschen wie in den Vereinigten Staaten. Das wäre dann die Amerikanisierung des Marktes.

Wird es denn dann überhaupt noch Salons geben, wie wir sie kennen?
SC:
Eine Kategorie von Salons wird es immer geben und das ist die Premiumklasse. In unseren wohlständigen Ländern gibt es Kundinnen und Kunden, denen es egal ist, ob sie 100 oder 150 Euro zahlen, diese wollen in luxuriösem Ambiente bedient werden. Dieser kleine Kreis von Salons wird das alles gar nicht spüren.

Warum sieht die Politik diese Probleme nicht?
SC:
Die Politik hat ja kein Interesse an uns. Der Fiskus wird sagen, wir haben jetzt kein Geld für eine solche Partikularinteressensverfolgung. Da kann ja jede Gruppe kommen, morgen die Tischler, dann die Soundso. Dabei ist es aber ordnungspolitisch schon immer verkehrt gewesen, personalintensive Branchen mit dem erhöhten Mehrwertsteuersatz zu belegen. Da muss jetzt richtig entschieden werden.

Ihre Hoffnung?
SC:
Unsere Branche braucht mehr Luft zum Atmen. Ich finde, Friseure arbeiten für ihr Geld ziemlich hart. Sollte die Forderung nach 7 % UST durchgehen, dann wäre das ein großartiges politisches Zeichen für Friseure. Wenn das käme, dann würden wir in viele glückliche Gesichter blicken. Das wäre wie eine große Aufbruchsstimmung.

Herr Conzen, vielen Dank für das Gespräch und ich freue mich auf die Aufbruchsstimmung samt glücklicher Gesichter.  

Gebt der Forderung mit eurer Stimme Gewicht   ► ZUR PETITION