Credit: Jens Großmann

17.02.2022

Michael Bredtmann kalkuliert in Minuten und erhöht Preise halbjährlich

Preiskalkulation pro Minute, StylistInnen-Level und im Kleidergrößenformat! Der Wuppertaler Salonunternehmer Michael Bredtmann pfeift auf’s Gendern und lässt uns in seine Zahlen blicken.

Im Interview mit Katja Ottiger
 

Michael, du berechnest Dienstleistung nach Minutenpreisen? Seit wann?
Michael Bredtmann:
Gestartet haben wir damit vor genau 10 Jahren. Es dauerte aber Jahre, bis ich die Preise richtig angeglichen hatte. Männer waren damals viel zu billig.  Ein Grund für mich war die Einsicht, dass ich prinzipiell anders kalkulieren musste - etwas, das viele Friseure lernen müssen. Ich bin jetzt seit knapp 40 Jahren Friseur und habe in der Vergangenheit einiges Geld verloren, weil ich die Auslastung falsch berechnet hatte. 

Verrätst du uns ein paar Zahlen? Deine Lösung sind Minutenpreise?
MB:
Minutenpreise sind ein sehr heikles Thema, auch, weil wir in Deutschland die Mindestlohnerhöhung bekommen. Alle wissen, dass sie die Preise erhöhen müssen. Nur wie, das wissen viele nicht. Ich kalkuliere für jeden Mitarbeiter nach einem bestimmten System. Dazu muss man wissen, dass wir bei uns verschiedene Stylisten-Level haben. Jemand, der gerade die Gesellenprüfung gemacht hat, ist natürlich nicht so erfahren wie jemand, der seit 20 Jahren im Beruf steht. 

MB: Beim „Stylist“, der bzw. die gerade ausgelernt hat, berechne ich bei einer Auslastung von 75 Prozent 1,11 € die Minute. Der „Upper-Stylist“ mit mindestens einem Jahr Berufserfahrung kommt auf 1,20 €, die „Top-StylistInnen“ auf 1,30 € die Minute. Die MasterstylistInnen berechne ich mit 1,40 €. So kommt der Master hochgerechnet auf 84,50 € in der Stunde. Hinzu kommen 4,18 € pro Buchung. Dies sind nur die Basislöhne. Bei höheren Umsätzen gibt es zusätzlich noch Prämien.

„Wir nehmen beim Masterstylisten nicht einmal die Hälfte von einem Autohandwerker!“

Ich würde denken, das ist eigentlich zu wenig.
MB:
Stimmt! Und dazu möchte ich nur ein kurzes Beispiel bringen: Vor etwa vier Jahren stand ich in einer Auto-Werkstatt für „Minis“. Dort hing eine Tabelle mit der Kostenauflistung, getaktet in 10 Minuten-Preisen. Hochgerechnet kam die Arbeitsstunde auf 200 €. Wir nehmen beim Masterstylisten also nicht einmal die Hälfte von einem Autohandwerker!

Ist das unterschiedlich schnelle Arbeiten beim Verrechnen nach Zeit nicht ein Problem?
MB:
Dieser Gedanke ist tatsächlich absolut typisch für die Friseurbranche! Bei meiner Kalkulation unterteile ich die 10 Minutenblöcke zusätzlich auch in Kleidergrößen. Von der „Speedy“ Dienstleistung XXXS von 10 Minuten, über S, 40 Minuten, bis zu XXXL mit 80 Minuten. Ein guter Richtwert ist die Größe L mit einer Stunde. Nach außen wissen die Kunden gar nicht, dass wir nach Zeit berechnen!

Das ist Gender-neutral?
MB:
Ja, bei dieser Berechnung ist es egal, ob eine Frau oder ein Mann die Dienstleistung in Anspruch nimmt. „Queen Cut“ und „Kings Cut“ dauern 40 Minuten und kosten gleich viel. Die Frau braucht lediglich mehr Material. Das Barbering wiederum gibt es im XS zu einer halben Stunde.

Warum berechnest du 75 Prozent Auslastung und keine 100?
MB: Eine Auslastung zu 100 Prozent ist purer Stress für Mitarbeiter. Also habe ich zwei Preistabellen kalkuliert und miteinander verglichen. Bei 100 Prozent Auslastung sind die Preise zu gering, beim Paket L war das gegenüber der 75-prozentigen Auslastungsberechnung ein Minus von zum Teil 8-10 Euro in der Stunde. Ich habe alle Variablen wie Auslastung, Anzahl der Mitarbeiter, Höhe des Lohnfaktors, von einem Programm berechnen lassen und dachte mir beim Ergebnis nur: Nein, so viel kann ich unmöglich nehmen!

Skrupel?
MB:
Bei mir als Friseur kommt da gleich das Emotionale durch und blockiert mich. Kunden wachsen dir ans Herz wie eine Familie und du denkst, wenn du die Preise empfindlich erhöhst, kommen die nicht mehr. Das war für mich immer eine Hemmschwelle! Nur davon muss man sich verabschieden! Du wirst in 10 Jahren nicht mehr alle deine Kunden von heute haben. Manche werden sich das nicht mehr leisten können oder wollen. Als Unternehmer musst du das nüchtern und kaufmännisch betrachten und die Emotionen rausnehmen. Durch falsche Kalkulation in der Vergangenheit habe ich gute Mitarbeiter überlastet und verloren. Da verliere ich lieber Kunden! 

„Wir erhöhen halbjährlich die Preise für Dienstleistung und halbjährlich für Chemie.“

Und wie argumentierst du das?
MB:
Wir erhöhen halbjährlich die Preise, einmal die Haarschnitte und einmal die chemischen Dienstleistungen. Meine kommende Preiserhöhung, die wird richtig wehtun. Letztlich legt die mir ja mein Unternehmensberater nahe. Und das ist auch gleich eine wichtige Argumentation!

Inwiefern Argumentation?
MB:
Die MitarbeiterInnen machen das doch auch gern: „Das hat der Chef gesagt!“ Und da ich niemanden über mir habe, schiebe ich es auf den Unternehmensberater. Wirklich empfehlenswert, macht einiges leichter! (lacht)

Wie reagieren die Kunden?
MB:
Manche Kunden bleiben weg oder kommen seltener, denen sind wir zu teuer; manche sind verwirrt und Männerkunden reagieren ganz gern mal mit schlechter Bewertung. Wenn die neu zu uns kommen, kriegen die mitunter einen Schock. Wir haben die Männerpreise angehoben, im Gegenzug aber besser zahlende Frauen dazu gewonnen.

In Puncto Terminierung: Bei bestehenden Kunden lässt sich der Zeitaufwand einschätzen, aber wie ist das bei Neukunden?
MB:
Wir veranschlagen pauschal 60 Minuten. Beraten die Kunden, analysieren die Wünsche und Vorstellungen. Danach treffen wir die Einstufung für die Zukunft. Deshalb kommunizieren wir die Preise nicht direkt. Und ich weiß, es wird Kollegen geben, die jetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. (lacht)

Deshalb findet man bei euch ausschließlich „ab“- Preise. Fühlen sich die MitarbeiterInnen von Minutenpreisen unter Druck gesetzt? 
MB:
Ich denke, Mitarbeiter fühlen sich generell unter Druck gesetzt. Aber ja, manche haben Preisangst, denn sie müssen die Preise nach ihrer tatsächlichen Arbeitsleistung weitergeben und entsprechend in der Terminierung beachten.

Trainiert ihr mit euren Mitarbeitern auf Zeit zu arbeiten?
MB: Nein, das ergibt sich. Denn jeder hat seinen eigenen Spielraum. Ein perfektes System gibt es da nicht. Das wichtige ist, dass Mitarbeiter die Preise richtig kommunizieren und von ihnen überzeugt sind.

„Mitarbeiter: Die Balayage - Generation ist höhere Preise gewöhnt, die ‚erfahrenen StylistInnen‘  haben ‚Preisangst‘.“

Ist es schwieriger, die Preisgestaltung euren Kunden nahezubringen oder sie im Team zu etablieren? 
MB: Im Team, vor allem bei denen, die länger als 10 Jahre bei uns sind! Die „Balayage-Generation“, die Jüngeren, sind es gewöhnt, dass der Friseur teurer ist und man sich den leistet. Die ‚erfahrenen StylistInnen‘ haben „Preisangst“ und sind unsicherer in der Kommunikation. Als Chef sehe ich mich hier in der Pflicht, diese Kommunikation zu trainieren und meinen Mitarbeitern das Selbstbewusstsein mitzugeben, ihre Arbeitsleistung richtig einzuschätzen und entsprechend zu benennen.


Michael, ich danke dir für deine offenen Worte und wünsche euch, ach deiner lieben Frau Denise, weiterhin alles Gute!

Über Michael Bredtmann:

  • verheiratet mit Denise Bredtmann, beide Friseure in 4.Generation, 1 Tochter (Charleen Bredtmann), ebenfals Friseurin
  • Seit 2000 Übernahme des „Bredtmann“ Familiengeschäftes, bestehend seit 1884!
  • 2 Friseurgeschäfte in Wuppertal: „Bredtmann Eastside“, „Bredtmann Westside“ mit 28 Mitarbeitern, davon 8 Auszubildende
  • seit 2018 Ambassador Affinage