Auf Naturprodukte und Pflanzenfarben zu setzen heißt nicht, "esoterisch" zu sein | C: Jolly Schwarz

01.04.2021

Naturfriseurin Iris Untermaurer: Keine Verpackung ist die einzige, die nachhaltig ist

Wenn man als NaturfriseurIn arbeiten möchte, muss man lernen, die richtigen Fragen zu stellen. Denn Nachhaltigkeit muss auf sämtlichen Ebenen durchdacht werden, auch wenn das bedeutet, Kunden vom zu vielen Haare waschen abzuhalten...

Im Telefoninterview mit Katja Ottiger

Iris, du bist seit 15 Jahren Naturfriseurin, inzwischen ist auf dem Markt viel passiert. Fühlst du dich als Pionierin?
Iris Untermaurer:
Aufklärungsarbeit ist unser tägliches Brot. Biolebensmittel und Naturkosmetika sind natürlich präsenter, weil auch die Sortimente im Drogeriemarkt wachsen, damit wächst aber nicht unbedingt das wichtige Hintergrundwissen. Viele können mit dem Begriff „Naturfriseur“ immer noch nichts anfangen, bzw. ist es immer wieder spannend, was sich mancher darunter vorstellt. Nur weil wir ausschließlich auf Naturprodukte und Pflanzenfarben setzten, bedeutet das nicht, dass wir „esoterisch“ arbeiten.

„Weil wir auf Naturprodukte und Pflanzenfarben setzten, heißt das nicht, dass wir „esoterisch“ arbeiten.“

Gibt es mittlerweile mehr Naturfriseure?
IU:
Das Interesse am Naturfriseur ist größer geworden, weil Kunden in sensiblen Phasen des Lebens keine Chemie mehr verwenden wollen oder dürfen und Friseure dadurch beginnen, über Alternativen nachzudenken.

Woran kann das liegen?
IU:
Es fängt schon in der Friseurausbildung an, hier geht es meistens ums Herkömmliche. Im Fachbuch wird das Thema Pflanzenfarbe nach wie vor mit einem kleinen Absatz abgehandelt.

Könnte man das Fachbuch nicht aktualisieren?
IU: Ja, das wäre eine sehr schöne Aufgabe, ich denke, da gibt es so manches, was wir beitragen könnten, um mit Mythen rund um das Thema Pflanzenfarben aufzuräumen.

„Haarausfall wird immer mehr zum Thema.“

Der Friseurmarkt ist in Bewegung - wie hat sich die Kundschaft verändert?
IU:
Was immer mehr zum Thema wird, ist Haarausfall, was vor allem Ausdruck der psychischen Belastungen ist, die zugenommen haben. Das Corona-Jahr hat einen Teil unserer Kundinnen dazu bewogen, die Farbe auswachsen zu lassen und zu sich selbst zu stehen. Ich muss feststellen, dass es ein spannender Prozess ist, Kundinnen dabei zu begleiten, Farbe rauswachsen zu lassen.

Zum Nachteil eures Umsatzes?
IU:
Mein Zugang ist: Ich begleite meine Kunden in allen Lebensphasen und hole das Beste aus den Haaren heraus. Dann bleiben die KundInnen treu und statt Haarfarbe gibt es dann farbloses Henna zur Stärkung und Pflege.

Hat das Einfluss auf eure Produktentwicklung, zum Beispiel in der Pflege?
IU: Nein. Pflanzenfarbe ummantelt, schützt das Haar und macht es weniger anfällig für Spliss und Farbverlust. Pflanzenfarbe bleibt stabil glänzend bis zum nächsten Färben, es braucht keine Unmengen an Pflegeprodukte.

Wie, Pflanzenfarbe braucht weniger Pflege?
IU:
Wir bauen auf unser Bausteinsystem, für das, was das Haar braucht: Feuchtigkeit und/oder Festigkeit mit eventuell etwas Öl dazu, das genügt.

Welche nachhaltigen Veränderungen hat Corona gebracht?
IU:
Im 1. Lockdown, als in Venedig das Wasser glasklar war und sogar Delfine aufgetaucht sind, war das für viele Menschen ein Wow – Moment. Der Weckruf der Natur war beeindruckend. Zu sehen, wie schnell die Natur sich erholen kann, hat viele über ihr Verhalten nachdenken lassen. Leider vergisst der Mensch ebenso schnell und verfällt wieder in alte Muster. Trotzdem glaube ich daran, dass aus Krisenzeiten etwas Positives hervorgeht und dadurch eine Entwicklung stattfinden kann.

Wie nachhaltig ist Verpackung?
IU:
Gibt es überhaupt eine nachhaltige Verpackung? Die Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten, denn es geht nicht nur um das Produkt Verpackung, sondern wo und wie die Rohstoffe für diese produziert werden.

Was ist mit Glas als Verpackung?
IU:
Glas braucht in der Herstellung viel Quarzsand, Energie und Wasser und nicht jede Art von Glas ist recycelbar. Glas muss wieder eingesammelt, transportiert und mit vielen Chemikalien gereinigt werden. Abgesehen davon gibt es Verordnungen, die in Nassräumen Glasflaschen untersagen. Laut einer aktuellen Schweizer Studie ist recycelbares PET momentan am nachhaltigsten, weil es mannigfach wiederverwendet werden kann.

Welche Tipps gibst du Friseuren, die ihre Salons nachhaltig aufstellen wollen?
IU:
Es gibt sehr viele schlaue Bücher und Bloggs, das Beste ist, sich breit aufgestellt zu informieren und immer hinter die Dinge zu blicken. Man kann sich auch die Frage stellen, was kann ich reduzieren, was kann ich weglassen?

Als Produkthersteller ist es einfach zu sagen: Wir setzen jetzt auf Maisstärke! Die richtige Frage ist jedoch: Wo wird der angebaut? Wie wird geerntet? Gibt es dadurch noch mehr Monokultur, Waldrodung und Pestizide? Nachhaltigkeit muss auf sämtlichen Ebenen durchdacht und betrachtet werden. Es schaut vieles gut aus, aber man muss konstant fragen, was steht dahinter?

„Wir hinterfragen das Waschverhalten unserer KundInnen.“

Wie berät ein Naturfriseur richtig?
IU:
Wir hinterfragen z.B. das Waschverhalten bei Kunden. Warum täglich das Haar mit Shampoo entfetten, um dann unzählige Produkte aufzutragen, die es gar nicht bräuchte? Das Bürsten mit einer Naturborstenbürste reinigt die Kopfhaut, regt die Durchblutung und somit das Haarwachstum an, gibt Volumen und versorgt das Haar mit der besten Pflege der Welt, dem eigenen Talg! Da reduziert sich gleich der Wasser-, Strom-, Verpackung- und Produktverbrauch um die Hälfte, wenn nur jeden 2. Tag gewaschen wird.

Wenn man sich plötzlich für nachhaltige Produkte entscheidet, was macht man mit den anderen?
IU: Aufbrauchen, weiter verschenken, zum Boden aufwischen oder als Geschirrspülmittel verwenden. Schaut euch die Zusammensetzung an: die Inhaltsstoffe eines Shampoos sind fast dieselben wie beim Geschirrspülmittel. Hier kann man komplett reduzieren. Ich wasche seit Jahren zu Hause mit ökologischem Geschirrmittel auch den Boden auf. Das hilft Produkte und Verpackung zu sparen.

Wie nachhaltig sind eure Salons aufgestellt?
IU:
Wir nutzen Ökostrom, haben Plastik weitestgehend aus den Salons entfernt und verwenden, wo es möglich ist, wiederverwendbare Alternativen. Als wir im letzten Jahr plötzlich alle Plastikumhänge verwenden sollten, war das ein besonders großes Ärgernis. Wir haben dann mit der Innung Rücksprache gehalten und uns das Okay eingeholt, dass es weiterhin möglich ist unsere Umhängemäntel bei 60 Grad und Hygienespüler zu waschen. Abgesehen von dem unglaublichen Plastikmüll waren die Plastikumhänge in ganz Österreich und Deutschland ausverkauft und die, die es gab, kosteten das Dreifache! Ein Wahnsinn!

„Reduktion der Produktanwendung –
die geben wir auch an unsere Kunden weiter.“

Was ist mit Müllvermeidung und Wasser?
IU:
Wir drängen auf Reduktion der Produktanwendung, das geben wir auch an die Kunden weiter. Unser Müll ist allgemein reduzierter, da wir, wo es geht, wiederverwertbare Materialien nutzen. Pflanzenfarbe braucht beim Abspülen leider mehr Wasser als Chemiefarbe. Aber dadurch, dass wir keine Chemikalien ins Wassersystem ableiten, gleicht es sich etwas aus.

Haben sich eure Preise seit Corona verändert?
IU:
Im Jänner 2020 haben wir unsere Dienstleistungen angepasst und beschlossen, keinen Coronazuschlag zu machen.

Was ist eure derzeitige Hauptherausforderung?
IU:
Der Osterlockdown! Ich komme mir als Unternehmerin dermaßen auf den Arm genommen und von unserer Unternehmervertretung diesbezüglich im Stich gelassen vor. Wir sind die einzige Branche mit solch hohen Hygienestandards und den Eintrittstests - und wir werden wieder geschlossen!? Es ist alles eine einzige Farce, denn gelten die Tests jetzt oder nicht? Jeder Unternehmer in Österreich hat im letzten Jahr versucht, Lösungen zu finden und umzusetzen, aber die Regierung drängt die Leute durch die Lockdowns in die privaten Räume, wo nachweislich die meiste Ansteckungsgefahr droht, und öffnet Pfuschern noch mehr die Tür. Schwierig, bei diesen unverständlichen Maßnahmen positiv zu bleiben.

Über HAARMONIE Naturfrisör

  • 3 Salons
  • 30 Mitarbeiter, 4 Lehrlinge
  • 1 Akademie in Wien