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15.05.2012

Haarig babylonisches Sprachgewirr

Für was ist dieses Produkt nochmal? Sleek, Casual, Crunch oder Beach-Look? Styling, Pflege oder zum Glätten? Schwerelos, mikrofein, Avocadoöl. Ratlos bleibt man häufig, weiß Aaron Leufen

Kürzlich griff ich mein Produktregal und wühlte nach dem richtigen Produkt für meine Kundin. Dabei fiel mir eines in die Hand, das ich schon lange nicht mehr beachtet hatte. Typisch nichts sagende Verpackung, optisch noch vor dem Relaunch der Marke, halb voll.
Für was ist dieses Produkt nochmal? Sleek, Casual, Crunch oder Beach-Look? Styling, Pflege oder zum Glätten? Die Beschreibung auf der Rückseite half nur bedingt bei der Analyse, der Name selbst entschlüsselte das Produkt nicht. Es standen da irgendwelche Wörter drauf, schwerelos, mikrofein, Avocadoöl. Ratlos stellte ich es wieder an seinen Platz.


Zurzeit führen wir in unserem Betrieb zwei so genannte friseurexklusive Marken. Zusammen genommen sind das mehr als vierzig unterschiedliche Produkte, Shampoo und Pflege ausgenommen. Beide Firmen repräsentieren mit ihrem Auftritt, auf ihre Art, den Zeitgeist. Während die Eine sich sehr bunt, aber trotzdem edel, individuell und auffallend zurückhaltend präsentiert, besticht die andere Marke dadurch, dass sie sich komplett reduziert und wegen ihrer schönen Schlichtheit auffällt. Wir im Salon arbeiten mit beiden Firmen sehr gerne, auch wenn sich der Schwerpunkt immer wieder verlagert. Jede Marke hat seine "Heroes", also jene Produkte, die einzigartig sind und sich quasi von selbst verkaufen.

So weit, so Salonrealität. Nachdem meine Kundin weg war, hatte ich noch etwas Zeit, mir zu überlegen, wozu dieses eine Produkt denn nun gut wäre. Auf seiner Rückseite war ein kleiner, nur schwer lesbarer Text aufgedruckt, der die Anwendung beschreiben sollte und jede Menge Inhaltsstoffe. Ich verstand ihn nicht. Bleibt dann ja nur noch ausprobieren übrig, doch wann und bei wem?

Die letzten Jahre brachten für Friseure viele neue, interessante Innovationen. Welle wurde neu definiert, Haarfarben sind noch besser, haltbarer geworden und haben an Deckkraft gewonnen. Auch die Haarpflegeprodukte entwickelten sich weiter. Vor etlichen Jahren war der Haarspray die Wahl der Mittel, heute gibt es davon durchschnittlich vier unterschiedliche Haltkategorien. Daneben gibt es drei verschiedene Wachssorten, Gel für Wetlook oder "Betonlocke", verschiedenste Sofortpflegen, schier unendliche Sortimentsgrößen, die natürlich auch mal den Platzrahmen sprengen - kurzum, die Industrie hat sich dem Verbraucherwunsch gestellt und liefert, speziell und individuell, für Jeden soll etwas dabei sein.

Jeder friseurexklusive Lieferant hat mindestens eine spezielle Pflege- oder Stylinglinie alle haben eigene Philosophien, um den Kunden sowie Friseure zu überzeugen, das ihr Wässerchen das Beste und Neuste ist. Damit einhergehend ist sowohl der Schulungs- als auch der Verkaufsaufwand enorm gestiegen. Die schier unendliche Auswahl macht es dem Kunden zusehends schwieriger, die Niete von der Goldlocke zu unterscheiden – und er hat oft das Problem, neben den gesamten Inhaltsstoffen, herauszufinden, für was das Zeug eigentlich gut sein soll.

Doch der Industrie gehen langsam die Worte aus um zu beschrieben, wozu ein Texturizer, Bounce Back Spray, Taming Elixir oder Molding Paste Putty Mutty überhaupt gut sein soll. Kunstvoll greifen dann die Marketingstrategen in die Trickkiste, bedienen sich vorwiegend im Englischen, um ansonsten besonders füllende Umschreibungen auf die Verpackung drucken zu können. "Wir sind ein internationaler Konzern" lautet vielfach die Antwort auf die Frage, wieso denn dann alles in Denglisch geschrieben werden muss.

Entstanden ist eine neue Unkultur der Sprachvereinfachung: Schwerelos, geschmeidig, flexibel. Adjektive, die aneinandergereiht, versetzt mit sprachfremden Begriffen, nichts beschreiben.

Auf der anderen Seite, würden Wörter wie "Transluzent" ausgeschrieben, wäre ja der Platz kaum ausreichend.
Dass die reziproke Eigenschaft von transluzenten Objekten die Opazität ist, wissen auf Anhieb wohl nur Grafiker, heißt für den Normalverbraucher übersetzt, das ein beleuchteter Körper (Haar, Haut) partiell (teilweise), Licht durchlässt, also nicht komplett transparent (Opazität) ist. Wenn ich das so Frau Maier erklären würde, dass dies eine supertolle Eigenschaft der Haarfarbe ist, würde sie mich fragen ob die eh die Weißen recht gut deckt.

Babylonisches Sprachgewirr herrscht zwar noch nicht und gerade die jüngere Generation an heranwachsenden Friseuren hat kaum noch Probleme zwischen Sprachen zu wechseln. Ältere haben sich daran gewöhnt, trotzdem bleibt die Unklarheit, was bestimmte Aussagen auf Produkten bedeuten mögen. Selbst ganze Konzepte um einen Haarschnitt zu beschreiben werden aus dem Englischen 1:1 übernommen, entweder um sich elitär abzuheben oder um die Verständlichkeit mit nicht muttersprachlich Deutschen zu verbessern, wir sind ja alle international. Oxipetale Abteilung, oder Apex, schon mal gelesen, und verstanden? Vielfach muss ein Glossar mit gedruckt werden um derart fremden Wörtern einen verständlichen Kontext zu geben.

Auch ich benutze diese Wörter. Sie sind in mein Repertoire (französisch!) übergegangen, manchmal rede ich so viel Friseurdeutsch das ich ganz stolz auf mich selber bin - nur beim Kunden nicht. Jenen erkläre ich locker und ohne viel Aufwand, lasse ihn greifen und fühlen, zeige verschiedene Ergebnisse, erkläre die Anwendung. Dabei reduziere ich die Sprache trotzdem so, dass es mein Gast versteht. Was aber tut der Kunde, wenn er vergessen hat wie das mit dem Produkt funktioniert, damit es wieder so toll wird wie beim Friseur? Dann steht der Kunde da und liest - Friseurdeutsch.

Ein paar Beispiele für besonders gelungene Produktbeschreibungen, die ich meinen Kunden sicher so nie vorlesen würde:

"Reichhaltige, cremige, fasrige Stylingcreme für einen Casual Look. Kreiert unfrisierte Stylings mit einer Textur von Dread Looks."

Reichhaltig und cremig beschreibt, ohne Zweifel, den taktilen (angreif-) Genuss bei diesem Produkt, Casual Look dürfte zu fasrig passen, aber die Textur von Dread Looks? Bei Dreadlocks habe ich immer das Gefühl, in einen aufgerauten Schwamm zu greifen. Und bei Grunge taucht vor meinem inneren Auge Kurt Cobain auf, eher ein schlechter Werbeträger wenn es um ein Bild ohne Musik geht.

Auch interessant:
"Ein geschmeidiger Texturizer, der für seidige Definition und ein dreidimensionales, schwereloses Mikronetz an Struktur im Haar sorgt. Jederzeit umformbar. Für flexible Textur und fühlbare Bewegung."

Bei diesem Produkt den Nutzen zu erfassen reicht es abermals nicht aus, die Beschreibung zu lesen. So blumig die Beschreibungen auch sind, meist fehlen selbst die wichtigsten Hinweise. Mengenangaben? Sprühabstand? Fehlanzeige.

Versinnbildliche Darstellung ist gerade in unserem Beruf enorm wichtig. Wir lernen vom Selbermachen, von Bildern, vom Fühlen. Vor einiger Zeit hatte ich die Idee, auf Shampoos und Pflegen kleine Bilder zu kleben. Vier davon reichen um jede Anwendung verständlich zu präsentieren.

Natürlich ist es gerade für Marketingleute schwierig, ohne Erfahrung im Beruf, sprachlich bestimmte Eigenschaften zu beschreiben. Sprache ist ein Transportmittel für Bilder, doch ohne Bilder wird jeder Versuch kläglich scheitern.

Doch bevor ich meinen Kunden vorne an der Rezeption frage, ob sie noch etwas für zu Hause braucht, muss ich noch den Haarschnitt personalisieren, am besten mit Deep-Point-Cut, um dem Haarschnitt eine fedrige Textur zu geben und die Schwere aus der Hutlinie raus nehmen. Die Kundin nimmt sich dann doch wieder kein Produkt mit, Shampoo und Pflege hat sie irgendwoher und die Produkte, die ich verkaufe, sind ihr eh zu teuer. Die Werbung sagt ja, gute Pflege wie vom Friseur muss nicht teuer sein. Garantiert ohne Silikone.

P.s. das Produkt vom Anfang ist wieder in den Untiefen des Regals verschwunden.