Credit: Jose Antonio Alcauce

23.07.2018

Cihan Bulut ist Erdbeerschnitte, denn alles andere gibt es schon.

Bloß nichts Plakatives! Der gebürtige Ludwigsburger zwischen Experten und Gästen, Songwriting für Xavier und unverblümter Ehrlichkeit. Denn so, wie der Beruf oft dargestellt wird, will den eigentlich keiner sehen.

Warum bitte nennt man seinen Salon ERDBEERSCHNITTE?
C.B.:
Ich wollte keinen plakativen Namen, der an Friseur erinnert. Erdbeerschnitte gibt es seit 18 Jahren und ist mittlerweile eine Marke. Und es gibt Kopien, z.B. Rhabarberschnitte (lacht).

"Ich distanziere mich vom klassischen Old School Barbering."

Inkludiert ist die Erdbeerschnitte Gentlemen. Ein Barber?
C.B.:
Jain! Ich distanziere mich vom klassischen Old School Barbering. Wir haben einen zeitgemäßen Zugang zu männlichem Styling.

Verbinden Männer mit dem Namen nichts Mädchenhaftes?
C.B:
Wenn man drin war, weiß man, das hat nichts mit Mädchen zu tun: Clubatmosphäre mit Hang zur Prohibition, Underground mit dem Gefühl des Verbotenen. Geheimnisvoll, verwinkelt, dunkel, düster.

Du inszenierst dich auf you tube als Künstler, Netzwerker, Lifestyler, weniger als Friseur...
C.B:
Ja, weil es egal ist, ob ich Friseur, Schreiner, Metzger bin. Es geht immer um den Menschen und darum Mensch zu sein! Wer ich bin und was ich mache, erfahren die die sich wirklich interessieren.

Welche künstlerischen Ambitionen sind deine?
C.B: Früher war ich Frontsänger einer Band „CIAAN“, wir haben deutschsprachigen Soul und R&B gemacht. Ich schrieb Musik für Xavier Naidoo, Texte für Cassandra Steen von „Glashaus“. Aber die Musikindustrie war mir zu falsch und dann hab ich mir einen anderen Spielplatz gesucht. Profane Frage: Was wärest du, wärest du kein Friseur? C.B: Egal, was ich geworden wäre, es hätte mit Handwerk zu tun und ich würde auch dort, der Misteriöseste, der Außergewöhnlichste und der Menschlichste sein.

"Wir nehmen Kunden das Denken ab."

Bei dir menschelt es überhaupt.
C.B:
Ich finde es wichtig, mit Mitarbeitern eins zu sein. Deren persönliche Belange sind doch auch meine. Deren gute Stimmung, ist meine gute Stimmung - und anderes herum. Man muss Mitarbeiter und Kunden so abholen, dass sie sich persönlich und respektvoll wahrgenommen fühlen. Bei uns werden Kunden geführt, wir nehmen denen das Denken ab, beraten in Form, Farbe und Leben, Freude und Leid. Ohne es zu unserem Problem zu machen.

Deine Mitarbeiter nennst du Experten!
C.B:
Ja, denn das sind sie! Meine Mitarbeiter sind Spezialisten auf unterschiedlichen Gebieten. Wir nehmen ausgiebig Seminare, reduzieren das Wissen auf die Perfektion der Basis - nur die Essenz darf bleiben. Meine Mitarbeiter vertrauen mir da. Mittlerweile kann ich mich komplett rausziehen und der Laden funktioniert trotzdem. So macht arbeiten Spaß, das ist fantastisch.

Welche Seminare?
C.B:
Letzens z.B. Tigi Academy Creative Cut&Colour in Mailand.

Warum Mailand?
C.B:
Weil Fashion Week war und ich mit dem Team mal wo anders sein wollte. Gutes Essen, guter Wein, gute Zeit. Intensiv-time, Teambuilding - wobei, ich hasse dieses Wort!

Deine Mitarbeiter sind alle Trainer?
C.B:
Ja. Und wenn Tigi Copyright (neue Pflegeserie, Anm.) auf den Markt kommt, werden wir gemeinsam mit Tigi ein neues Seminarformat kreieren. Das wird anders, als alles, was bisher da war.

"Unser Seminarformat: Alte Werte in neuen Kleidern."

Wohin soll`s gehen?
C.B:
In Richtung Erdbeerschnitte! Denn alles andere gibt es ja schon. (lacht) Also, hier stricken wir gerade. Es soll offen, spaßig, emotional sein, ehrlich und direkt, klar und zukunftsweisend. Alte Werte in neuen Kleidern.

Eure Visitenkarten duften nach Erdbeeren.
C.B:
Stimmt. Als ich das erste Mal die Visitenkarten in der Hand gehalten habe, habe ich die der Agentur zurück auf den Tisch geschmissen und gefragt: „Und, was ist das Besondere?“ Ich dachte ja an etwas Visuelles. Und dann habe ich´s gerochen: Erdbeerduft an meinen Fingern! Ich war total geflasht! © Bastian Reffke Agentur, Businessplan, Architekt… Du hast für all das viel Geld in die Hand genommen? C.B: Oja! Sehr viel! Und ich hatte vor allem keines. Ich musste, wie die meisten von uns, zu meiner Bank gehen. Und unglaublich hohe Zinsen zahlen!

Willst du darüber reden?
C.B:
Warum nicht? Ich stehe dazu, ehrlich zu sein! Die Bank hatte nicht an meine Vision geglaubt. Die haben vorher noch nie einen Friseur mit einem Businessplan gesehen. Die haben mir die vollen Zinsen verpasst. Zwei Jahre später, als ich vergrößert habe, war das dann schon anders.

Woran hat die Bank sich gestoßen?
C.B:
Die waren skeptisch: Laden im Hinterhof, verschlossene Türen, keine Laufkundschaft und hoch kalkulierte Preise. Ein Jahr später, nach den ersten Bilanzen, haben sie mir gesagt, dass sie das nie für möglich gehalten hätten.

"Entschleunigungszone - Es wird nicht telefoniert!"

Und die Kunden? Kein Problem damit?
C.B:
Anfangs dachten einige, das ist seltsam. Ich muss in den Hinterhof, ich muss anläuten und warten. Aber dann werde ich abgeholt! Explizit persönlich empfangen und an den Platz gebracht! Mittlerweile lassen die Kunden alles frei liegen. Handy, Tasche, Jacke. Keine Angst, dass was weg kommt. Und es darf nicht telefoniert werden, denn es ist eine Entschleunigungszone, eine Ruheoase!

Du hattest Bart längst vor dem Hype. Kennst du religiöse Vorurteile?
C.B:
Man darf einem Mann nicht auf den Bart starren, seh deinem gegenüber in die Augen, die verraten viel mehr über ihn. Ein gut gepflegter Bart ist Stilmittel und man erkennt klar den Unterschied. Ich bediene mich hier gern bei Tigi´s S-Factor, wegen der reichhaltigsten Inhaltstoffe. Ein Bart ist störrisch und hart. Der braucht Feuchtigkeit und Weichmacher.

Stört es dich, wenn man fragt, wo du herkommst?
C.B:
Ich sage immer: Meine Wurzeln habe ich in der Heimat meiner Vorfahren, der Türkei! Ich bin hier geboren und aufgewachsen, hab einen deutschen Pass. Deutschland ist meine Heimat und ich liebe es, hier zu Leben.

"Was die Kids wollen, ist Fashion, Instagram, Fortnite! "

Dein Wunsch an die Branche?
C.B:
Ich denke, der Friseurberuf wird falsch dargestellt. Gerade Innungs- und zugängliche Endverbraucher Veranstaltungen müssen anders werden. Das will doch kein Jugendlicher sehen! Was die Kids wollen, das ist Fashion, das ist Instagram, Fortnite ...! Die wollen Vollgas geben, leben, Lifestyle. Und keine alten Männer wie mich auf einer Bühne sehen, außer sie sind so cool wie wir (lacht!). Der Friseur selbst muss erkennen, dass, wenn der Kunde König sein will, sich der auch so zu benehmen hat. Denn das ist eine höfliche, respektvolle Begegnung.

Sind Preise ein Thema bei jungen Menschen?
C.B.:
Gerade die geben irrsinnig viel Geld aus für gebrandete Schuhe und Klamotten, einen 1000er für ein neues Smartphone. Die zahlen diese Preise um in einer „Familie“ dabei zu sein. Übertrieben gesagt: 200 Euro für einen Schnitt … Wenn die es wollen, zahlen die das. Und die anderen denken dann: Wow! Erdbeerschnitte! Das will ich auch. Da will ich sogar Friseur sein!

Also Anreiz für den Nachwuchs?
C.B.:
Wir müssen den Kindern vorleben, dass der Beruf nicht „nur“ Salon und Haare schneiden ist. Und man sich weiterentwickeln kann. Du musst die Leute abholen, dann können sie laufen, rennen, fliegen.

Wie könnte man`s ändern?
C.B.:
Unser Beruf ist seit Jahren in der Misere. Kunden wollen Qualität und auch dafür zahlen. Man muss nur schauen, was die Leute kaufen. Das Geld ist da. Man muss sich fragen, wo sie das ausgeben, im besten Falle bei mir! Ändere dich selbst, dann ändert sich alles. Nicht darauf warten, machen!

Wie überzeugst du Kunden, Geld bei dir zu lassen?
C.B.:
Ich kaufe mir nur aller 3-6 Monate ein paar Schuhe, dafür aber sind die teurerer und hochwertiger. Und weil sie das sind, pflege ich sie richtig, damit ich lange etwas davon habe.

Und genau das sage ich meinen Kunden. Es reicht, wenn sie alle 8 Wochen vorbeikommen. Wichtig ist, die Haare gut zu pflegen. Wenn der Schnitt, Farbe passt, kein Problem. Dafür können sie auch mehr ausgeben. Das ist Nachhaltigkeit! Was ist dein Verkaufsanteil bei Pflege? C.B.: Ca. 20-25 %.

"Dünnes Haar kann ich nicht dicker machen, aaaber ..."

Was macht dein Service besonders?
C.B.:
Ich liebe es, Menschen Ihre Sorgen und Ängste aus dem Mund zu nehmen und Lösungen zu finden. Klar, dünnes Haar kann ich nicht dicker machen. Aber ich kann die positiven Dinge hervorheben, wie z.B. feine Haare brauchen nicht so viel Zeit zum Trocknen. Und es gibt viele passende Lösungen für einen schönen Haarschnitt. Das ist tägliches Coaching für unsere Kunden. Eigentlich müssten wir uns allein dafür schon bezahlen lassen. Denn wir verändern Gewohnheiten, die das Leben leichter machen.

Fakten:

  • 1 Salon Ludwigsburg seit 2014 | 14 Jahre Stuhlmieter
  • 4 Mitarbeiter | alle mit Trainerausbildung!
  • seit 10 Jahren ghd Trainer