Christian Nowak und Peter Mirtic | Credit: Fotostudio Ute Klein

05.04.2022

Christian Nowak, Peter Mirtic: Unser Ziel, Alles Made in Solingen

UST hat sich seit seinem Verkauf an Certina komplett neu aufgestellt. Klare Markentrennung von Tondeo und Jaguar, Millionen-Invest in Produktion und die klare Strategie den gesamten Herstellungsprozess in Solingen zu vereinen…

Im Gespräch mit Raphaela Kirschnick

Im April 2021 hat der Investor CERTINA die UST übernommen, was hat sich in diesem Jahr getan Herr Nowak?
Christian Nowak:
Es hat sich sehr viel getan, Certina hat uns in diesem Jahr inspiriert. Gemeinsam haben wir in unserer roadmap definiert, wohin wir uns entwickeln müssen. Ein zentrales Thema war  Markenfokus und Markentrennung. Wir haben herausgearbeitet, dass Jaguar und Tondeo viel zu viele Überlappungen haben, nicht nur im Portfolio, sondern auch in der Kommunikation und im Markenauftritt. Die letzten neun Monate haben wir intensiv genutzt, um den Markenkern bei beiden Marken nochmals deutlicher herauszustellen.

Was sind jetzt die Kernunterscheidungen zwischen Jaguar und Tondeo?
CN:
Tondeo steht ausschließlich für Premium, Manufaktur, Handwerkskunst. Unser Slogan „Tradition meisterlicher Handwerkskunst“ drückt es treffend aus. Wir haben dafür eine neue hochwertige Design-, Bilder- und Farbwelt geschaffen, die seit 1.3.2022 die Marke prägt. In unserem neuen sehr hochwertigen Katalog ist dies alles wunderbar dargestellt. Damit sprechen wir gezielt besonders qualitätsbewusste Friseure an, die das hochwertigste Werkzeug und dessen Langlebigkeit präferieren und bereit sind den entsprechenden Preis für hochwertiges Material, aber auch die vielen Arbeitsschritte der handwerklichen Produktion, zu bezahlen. Ebenfalls wurde die gesamte Tondeo Premium Collection konsequent auf die innovative Con-Blade Technologie umgestellt.

Und Jaguar?
CN:
Jaguar spricht eher eine breite Zielgruppe und jüngere Friseure an. Hier setzen wir mit sehr guter Qualität auf Promotion-Schwerpunkte. Produkte, wie die JaguArt, begeistert saisonal mit schön designten, bunten Scheren. Diese Aktionsschwerpunkte werden hervorragend von unseren Großhandelspartnern in Szene gesetzt. Jaguar deckt alle Preiskategorien ab, stoppt aber da, wo Tondeo anfängt.

Herr Mirtic, Sie sind seit Juni `21 Geschäftsführer für Produktion. Wie spiegeln sich dort die zwei unterschiedlichen Markenwelten wider?
Peter Mirtic:
Die Marken sind in der Produktion nach Sterneklassen geclustered. Ein Stern ist das preiswerteste Segment, sechs Sterne ist absolutes Premium, bei Tondeo ist das die Thor Damast. Dafür wurde die Produktion in einen preiswerten und einen Premium-Produktions-Strang geteilt. Premium ist aufwendiger, es gibt viel mehr manuelle Arbeitsschritte, dennoch überschneiden sich vergleichbare Abläufe in der Produktion.

„Premium Schere...120 einzelne Arbeitsschritte und circa 25 unterschiedliche Handwerkshände“

Wie viele Arbeitsschritte sind bei einer hochwertigen Schere notwendig und durch wie viele unterschiedliche Handwerkshände geht sie?
PM:
Wir haben das mal gemessen, am Ende waren es 120 einzelne Arbeitsschritte und circa 25 unterschiedliche Handwerkshände, und das sind alles Lehrberufe. Eine Schere durchläuft im Haus bis zu 6 Kilometer, bevor sie im Lager ankommt.

Wie viele Scheren werden im Monat produziert?
PM:
Aktuell produzieren wir das, was verkauft wird, das sind durchschnittlich 1.700 Scheren am Tag. Seit der Neuausrichtung unserer Produktion im letzten Jahr haben wir Kapazitäten für 5.000 Scheren täglich.

Werden diese Kapazitäten denn benötigt?
PM:
Ehrlicherweise sind wir in den Jahren davor mit der Produktion nicht nachgekommen. Es war also nötig zu investieren, zum einen in Technologie, Materialfluss, Produktionsabläufe, aber auch in das Bewusstsein, in die Kultur vor Ort. Wir können heute arbeitstäglich 5.000 Scheren in der Maschinenschleiferei und bis zu 3.000 in der Endmontage produzieren.

Was macht die Endmontage langsamer?
CN:
Nur ein Beispiel für Premium:Die neue hochwertige Verpackung der Premium-Scheren und eine noch umfangreichere Qualitätskontrolle als bisher, die jetzt vom Kontrolleur als Zertifikat handsigniert wird.

Wie viele der 1.700 Scheren gehen in den deutschsprachigen Raum?
CN:
Wir haben für unser gesamtes Geschäft in unserer Heimatregion DACH einen Umsatzanteil von ungefähr 40 %. Jaguar verkaufen wir in über 80 Ländern und sind gut gestreut international aufgestellt. Bei Tondeo sind wir zudem sehr stark in Westeuropa vertreten, Frankreich ist ein sehr wichtiger Markt für Tondeo.

Wo liegt das Wachstumspotenzial der Marken?
CN:
Wir haben das Wachstumspotenzial die letzten Jahre generell nicht ausgeschöpft, weil wir die Nachfrage gar nicht bedienen konnten. Erst jetzt sind wir dazu überhaupt in der Lage, deswegen gibt es ein natürliches Wachstum, dass wir step-by-step ausschöpfen. Der neue Markenauftritt und die neue Bilderwelt schaffen einen unglaublichen Anreiz. Wichtig ist auch, dass wir uns auf unsere besonderen Stärken besinnen und dies hervorheben. Wir sind als Marktführer der einzige Hersteller von Friseurscheren made in Germany/made in Solingen!

Wie häufig kauft sich ein Friseur eine neue Schere?
CN:
Das hängt davon ab, wie stark die Schere in Anspruch genommen wird, dann wird die Schere gewartet. Manche haben ihre Schere ewig, andere kaufen sich regelmäßig eine Neue.

Gibt es bei der Schere auch Modekäufe, Jaguar setzt ja auf saisonale Scheren Designs.
CN:
Gerade bei Jaguar ist das oft ein Impulskauf. Unsere Pastellscheren kosten um die 100 €, das erleichtert die Entscheidung, sich mal eben eine neue schöne Schere zu gönnen. Wir haben gerade die Thor-Damast bei Tondeo eingeführt, diese kostet 1.500 €, die kauft man sich vielleicht nicht einfach aus einem Impuls heraus.

Wie viele Schnitte kann ich mit der Thor-Damast machen?
CN:
Das kommt immer darauf an, wie man sie pflegt. Es ist nicht selten, dass Friseure unsere Premium-Modelle schon 15 Jahre im Einsatz haben. Allerdings wurden diese dann auch regelmäßig gewartet. Die Thor Damast ist unsere absolute Speerspitze, hergestellt aus dem hochwertigen und innovativen „Damasteel“ geschaffen in der jahrhundertealten Tradition der Solinger Klingen und der Schwerterherstellung.

„Me fecit Solingen“

Ist Tradition ein Thema?
PM:
‚Me fecit Solingen‘, ‚Mich schuf Solingen‘ wurde im Mittelalter auf die hochwertigsten Schwerter, die aus Solingen kamen, geprägt. Das war bereits im 14. Jahrhundert ein absolutes Qualitätsmerkmal und ist es heute noch. Unsere Thor Damast ist in dieser Tradition geboren und trägt diese Prägung.

Also ein regionales Produkt. Kommt auch der Stahl von hier?
PM:
Ja! Für die Sterneklassen 4-6, werden wir nach allen geplanten Investitionen in diesem Jahr, in der Lage sein, alle Produktionsschritte hier am Standort/regional zu machen und sind damit vom außereuropäischen Ausland unabhängig (Damaststeel Herkunft: Schweden). Damit können wir auch schneller und effizienter auf Kundenwünsche eingehen.

Wieviel wurde denn in den letzten Jahren konkret in Produktion investiert?
PM:
Seit meinem Start im Unternehmen im März 2018 habe ich jährlich ca. 2,5 Millionen € investiert.

Welches Wachstum erwarten Sie dadurch?
PM:
Wir haben 80.000 Salons in Deutschland, darin durchschnittlich zwei Friseure mit im Schnitt 2 Scheren, ergibt rein theoretisch 320.000 Scheren im deutschen Markt. Mit beiden Marken können wir da noch stark wachsen.

„Nichts ist undenkbar“

Wie ist dafür der Vertrieb aufgestellt?
CN:
Für Tondeo Premium ist die ganz klare Strategie der Direktvertrieb, den wir aktuell in Deutschland, Frankreich und Österreich weiter ausbauen. Hochwertige Premiumscheren müssen vor Ort fachkundig präsentiert, erklärt und vorgestellt werden. Bei Jaguar wird überwiegend über den Vertriebsweg Großhandel vertrieben sowie im Ausland durch eine Vielzahl langjähriger Importeur Partner.

Ich sitze im schönen neuen Showroom in Solingen, hier kann man sich wunderbar die Markenwelten und die Produkte anschauen. Ist sowas wie Flagship-Stores geplant?
CN:
Das haben wir aktuell nicht geplant, könnte aber durchaus eine Zukunftsvision sein. Inspiriert durch unsere Eigentümer sage ich: ‚Nichts ist undenkbar‘.

Peter Mirtic | Credit: Fotostudio Ute Klein

Tondeo hat in den vergangenen Jahren einige Themen, wie die heiße Schere, neu belebt, oder Innovationen, wie etwa Con-Blade geprägt. Welche Innovationen kommen noch?
CN:
Beim Care-Cut haben wir festgestellt, dass wir unser Potential bei weitem nicht ausschöpfen und rollen das gesamte Care-Cut Thema jetzt stärker als ein Full-Service-Konzept aus. Neu ist, dass man die TCC nicht mehr kaufen muss, sondern mit einem 2-jährigen Full-Service-Vertrag und einer moderaten Monatsgebühr, u.a. die Garantie erhält, immer ein funktionsfähiges TCC-Gerät zur Verfügung zu haben. Darin enthalten sind Reparatur oder Neugerätetausch und Wartungsservice. Man ist zusätzlich Teil einer Community mit ganz besonderen, exklusiven Vorteilen. TCC ist in erster Linie kein Produkt, sondern ein Full Service für den Friseur und den Endkunden.

Ist das Revival der Heißen Schere erfolgreich gelaufen?
CN:
Revival ist der falsche Ausdruck. Die TCC ist für uns das zweitstärkste Einzelprodukt, unsere Umsatzziele haben wir erreicht, aber das Potenzial ist noch viel höher. Dafür haben wir einige spannende Neuheiten im Köcher und den Anspruch, den Friseur 24 Stunden zum Thema TCC zu begleiten, um den maximalen Erfolg mit diesem einzigartigen Service sicherzustellen. Spannend für den Friseur: Mit dem Einsatz der TCC grenzt er/sie sich von seinem Wettbewerb ab und durch das neue Full Service Konzept mit den moderaten monatlichen Beiträgen verdient er garantiert ab dem ersten Tag zusätzliches Geld – rechnerisch bereits bei nur 1 Schnitt im Salon mit der TCC pro Tag.

Hängt Jaguar eigentlich irgendwie mit der Automarke zusammen?
CN:
Nein, gar nicht.

Es gibt 3 Geschäftsführer an der UST Spitze, Christian Klüber kann heute leider nicht dabei sein, was sind seine Aufgaben?
CN: 
Christian Klüber ist seit 1.6. 2021 unser dritter Geschäftsführer-Kollege, er verantwortet komplett unser Jaguar Geschäft.

Was kann man sich auf dem Scherenmarkt in den nächsten Jahren erwarten?
CN:
Ab heute in ziemlich genau einem Jahr wird es eine richtig fette Innovation geben, etwas Einzigartiges, was es so noch nie gegeben hat, ich kann aber leider nicht mehr dazu sagen. Seien Sie aber gespannt….

Lieber Herr Nowak, lieber Herr Mirtic, dann bin ich schon sehr gespannt, sage vielen Dank für die spannenden Einblicke in das Solinger Scherenleben.