Credit: Bernhard Ries

25.02.2022

Bernhard Ries: Die Politik glaubt, dass sich der kleine Mann nicht wehrt, aber …

Der Salon-Unternehmer gründete die Facebook Gruppe „Initiative Friseure für Gerechtigkeit“. Mit 2.500 Mitgliedern und 36.000 Euro war das Vorhaben beim Bundesverfassungsgericht eine Änderung im Infektionsschutzgesetz für eine Entschädigung bei Betriebsschließungen zu erreichen. Nun wird ein zusätzlicher Weg eingeschlagen …

Im Telefoninterview mit Juliane Krammer

Herr Ries, Sie haben einen Salon und die Initiative Friseure für Gerechtigkeit gegründet. Wie kam es dazu?
Bernhard Ries:
Alles entstand aus der Situation heraus, dass wir unsere Läden von 16. Dezember 2020 bis Ende Februar 2021 schließen mussten. Von Seiten der Bundesregierung hieß es damals, dass die Überbrückungshilfe III zur Verfügung gestellt wird. Erst am 10. Februar 2021 standen überhaupt Formulare bereit. Diese konnten aber nur über die Steuerberater abgerufen werden. Die Friseurbetriebe sind ab 16. Dezember ohne Umsätze dagestanden und das bis Februar. Sie konnten wenigstens Kurzarbeitergeld für diese Zeit für Mitarbeiter beantragen. Aber 2,5 Monate der weiteren Kosten, wie Miete, Strom, Gas, Wasser, Versicherungen und Sonstiges sowie den eigenen Lebensunterhalt mussten die Unternehmen aus den Rücklagen bestreiten. So kann man mit Unternehmen, die Arbeitsplätze geschaffen haben und Steuern bezahlen, nicht umgehen. Deshalb haben wir die Initiative Friseure für Gerechtigkeit gegründet.

"Die ... ständig neu entwickelten „Hilfsprogramme“ ... mit ihren völlig irrwitzigen unterschiedlichen Bedingungen müssen ein Ende haben."

Welches Ziel verfolgt die von Ihnen gegründete Initiative?
BR:
Die von der Politik ständig neu entwickelten „Hilfsprogramme“, wie Soforthilfe, Überbrückungshilfen, Neustarthilfen etc. mit ihren völlig irrwitzigen unterschiedlichen Bedingungen müssen ein Ende haben. Dafür braucht es eine Änderung der Gesetze. Das können wir nur erreichen, wenn wir ans Bundesverfassungsgericht gehen: Wenn Behörden die Schließung von Salons erlassen, sollte automatisch der Entschädigungsfall für Betriebe in Kraft treten. Dieser Entschädigungsfall ist im Infektionsschutzgesetz seit vielen Jahren vorgesehen. Das heißt, wenn in einem Geschäft die Masern oder Pocken ausbrechen würden, dann schließt das Gesundheitsamt den Laden, damit keine weitere Ausbreitung stattfindet. In so einem Fall ist der Betrieb ein sogenannter Ausscheider und das Infektionsschutzgesetz sieht dafür eine Entschädigung für Betriebe vor.

… und dann kam Corona?!
BR:
Unsere Gesetzesmacher hatten keine Idee, dass so etwas wie eine Pandemie überhaupt einmal passieren könnte, in der man Betriebe schließt, um eine Ausbreitung von Infektionen zu verhindern - ohne, dass sie sogenannte Ausscheider wären. Das Infektionsschutzgesetz muss deshalb in Angriff genommen werden. Verändert wurde es in den letzten zwei Jahren schon öfters. Nur in diesem Punkt, der die Entschädigungen betrifft, hat man es nicht getan. Das ist Punkt 1.

… und die weiteren Punkte?

Punkt 2 ist der erhebliche Eingriff in das Eigentumsrecht und Berufsausübungsrecht. Den Unternehmen wurde die existenzielle Grundlage genommen. Es gab zwar diverse Hilfen, aber die konnten nicht ansatzweise die tatsächlichen Verluste der Unternehmen auffangen. Man konnte Fixkosten von Mitte Dezember bis Ende Februar 2021 in die Überbrückungshilfe mit einbinden, aber die eigentlichen Lebenserhaltungskosten für die Unternehmer, die sind außen vorgeblieben. Man konnte sich beim Arbeitsamt melden und Hartz IV beantragen, „großzügigerweise“ ohne Vermögensprüfung.
Punkt 3 ist der Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Politik hat beschlossen, dass die Friseursalons, Restaurants, Clubs, Sportstudios, etc. zumachen müssen, um die Ausbreitung der Pandemie zu verhindern. Die anderen Handwerksbetriebe oder die Industrie durften mit ein paar Auflagen weiterarbeiten. Da ging das Geschäft weiter, als wäre nichts gewesen.
Bei Mercedes weiß man, dass die über 700 Millionen Euro an Kurzarbeiter-Geld beantragt und bekommen haben, obwohl das Jahr 2020 eines der erfolgreichsten Geschäftsjahre von Mercedes war. Kurzarbeitergeld ist die eine Sache, Gewinne einfahren eine andere: Warum wird das in der Großindustrie anders gehandhabt als bei uns? Sie drehen es sich so hin, wie sie es brauchen, weil sie glauben, dass sich der kleine Mann nicht wehrt.

Das sieht momentan aber nicht danach aus. Es gibt ja schon zahlreiche Klagen, die abgewiesen wurden?
BR:
Genau, alleine in NRW gab es bisher über 2500 Klagen, weil man vor Weihnachten 2021 damit begonnen hat, die „Hilfen“, die als nicht rückzahlbare Zuschüsse versprochen waren, zurückzufordern. Die Behörden sind jetzt mal die nächsten Monate damit beschäftigt, diese zu sortieren.
Wir reden gar nicht vom Ersatz unseres Umsatzes, aber wir sollten wenigstens das erhalten, was man uns versprochen hat. Das jetzt zurückzuverlangen ist eine Frechheit. Wir sind jetzt im ersten Schritt auf dieses Thema losgegangen, nachdem unsere Mitglieder hilferufend uns angeschrieben haben.

Dafür haben Sie Schriftsätze formuliert, die bei einer Klage bzw. bei einem Widerspruch verwendet werden können.
BR:
Wir haben uns mit Anwälten zusammengetan und die beiden Schriftsätze aus dem Boden gestampft, damit wenigstens in der größten Not etwas da ist, das die Leute verwenden können (► imSalon hat darüber berichtet). Etliche Mitglieder unserer Gruppe verwenden diese Schriftsätze.

Hat ein Mitglied schon eine Rückmeldung erhalten?
BR:
Nein, das nicht. Dafür ist noch zu wenig Zeit vergangen. Aber da der Gegenwind schon recht stark geworden ist, hat die Politik ein Friedensangebot geschickt: Wirtschaftsminister Robert Habeck hat die Länder aufgefordert, sie sollen großzügige Regelungen für die Rückzahlungen dieser Soforthilfen aufstellen. Da sind teilweise die Zeiträume bis Oktober 2022 ausgedehnt worden, damit die Betriebe die Möglichkeit haben, das sukzessive in Raten zurückzuzahlen. Bis dahin werden aber entsprechend Widersprüche und Klagen eingegangen sein.

Wie viel Zeit bringen Sie für die Initiative auf?
BR:
Das sind schon einige Stunden, die hier von mir und meinen Mitstreitern investiert wurden. Natürlich ist das mit Arbeit verbunden. Ich bin schon seit so vielen Jahren in der Branche tätig und war vor über 20 Jahren federführend bei der Initiative zur Einführung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes für lohnintensive Dienstleistungen mit dabei. Damals haben wir auf analogem Wege über eine Million Unterschriften gesammelt. Als Coiffeur Kooperation schlossen wir uns mit dem ZV zusammen. Dieser hat das als Verbandsorgan übernommen. Das ist aber leider so richtig in die Hose gegangen, denn der Zentral-Verband hat die Unterschriften dann versäumt rechtzeitig beim Finanzministerium einzureichen. Das ist zwar Schnee von gestern, aber mein Enthusiasmus bezüglich des Zentralverbandes hält sich seitdem eher in Grenzen.

Was war denn mühsamer? Damals auf analogem Wege zu kämpfen oder so wie heute mit digitalen Tools?
BR:
Wir haben damals bei unseren Kunden die Unterschriften eingefordert. Ähnliches wird unter Umständen auch jetzt geplant: Eine Petition, bei der wir unsere Kunden mit einbinden. Wir haben jeden Tag 800.000 davon in Deutschland. Wenn sich nur 10% eintragen und unterschreiben, haben wir in kürzester Zeit wieder eine Million Unterschriften. 

"Nun haben wir die Situation neu evaluiert und auch unsere Anwälte haben den Vorschlag gemacht, noch stärker in die Öffentlichkeitsarbeit zu gehen, um den Druck auf die Politik zu verstärken."

Sie haben mittlerweile 36.000 Euro im Zuge der Initiative gesammelt. Wohin geht das Geld?
BR:
Ursprünglich haben wir damit die Verfassungsklage angestrebt. Nun wurde die Situation neu evaluiert und auch unsere Anwälte haben den Vorschlag gemacht, noch stärker in die Öffentlichkeitsarbeit zu gehen, um den Druck auf die Politik zu verstärken. Der Grund ist, dass uns eine zusätzliche Klage im Moment nicht weiterbringt, da aktuell sehr viele eingereicht wurden. Mit unseren Mitgliedern kommunizieren wir das Vorhaben aber transparent.
Die gesammelten 36.000 Euro waren als Minimum nötig, damit wir bis zum Bundesverfassungsgericht kommen. Fakt ist, dass wir die Verfassungsklage nicht ad acta gelegt haben, sondern einen zusätzlichen Weg einschlagen. Wir haben aber immer mit offenen Karten gespielt und das Geld ist, ohne das größere Beträge weggegangen sind, noch vorhanden - bis auf zwei Rechnungen für Rechtsanwälte, die wir beglichen haben.

Vielen Dank, Herr Ries, für dieses offene Gespräch und alles Gute für die Zukunft!