Credit: Patrick Franz

18.03.2022

Andrea Hecker: Farbunfall – das Schlimmste ist, sich rauszureden

Souveränität bei unerwünschten Farbergebnissen und mehr Farbvielfalt in den Instagram Feeds der Kolleg*innen wünscht sich die Münchner Color-Koryphäe. Wir sprachen mit ihr über die Farbkorrektur von Billie Eilish und wie man mit Reklamationen umgeht.

Im Interview mit Juliane Krammer

Hallo Andrea, wie viele Heim-Unfälle musst du monatlich korrigieren?
Andrea Hecker:
(lacht) Heimunfälle kommen keine zu mir. Die letzte Korrektur, die mich sehr viele Nerven gekostet hat, hat ein sehr berühmter Kollege von mir verursacht. Unfälle von Kollegen machen einen Großteil meiner Korrekturen aus. Meistens sind diese Unfälle Missverständnisse, mit dem Ergebnis, dass sich die Kundin nicht wohl fühlt. 

Was war das für eine Korrektur?
AH:
Das war ein Profimodel, das bei einer Fotoproduktion verfärbt wurde und die mit ihrem neuen Look total unglücklich war.

Und dieses Model ist hilferufend zu dir gekommen?
AH:
Der Verlag der Produktion hat mich angerufen und gemeint: „Wenn das jemand retten kann, dann du.“ Ich hab das Ganze tatsächlich retten können aber es waren zwei Färbeeinheiten notwendig. Haare sind ja auch nur bis zu einem bestimmten Grad belastbar.

Wenn so eine Korrektur über 2 Einheiten abläuft, wie ist hier denn der Zwischenschritt?
AH:
Da gibt es diverse Zaubermittel, mit denen man frische Farbe gut künstlich rausziehen kann. Das klappt bis zu einem gewissen prozentuellen Anteil. Wenn das nicht ausreicht, musst du dann am Ende mit Blondierung ran. Klar ist, je öfter gefärbt wurde, umso mehr Pigment muss abgebaut werden. Eine Pigmentüberlagerung ist schon tricky.
Glücklicherweise ist die Technik heutzutage bei den Produkten schon weiter und diese leisten mehr, als das früher der Fall war. Zudem ist auch ein haarschonender Einsatz möglich geworden. Das Know-how brauchst du aber trotzdem.

Was bringt der Farbmarkt der Zukunft?
AH:
Der Farbmarkt ist ganz klar im Umbruch. Das macht sich auch schon bei den Endverbrauchern unter 25 Jahren bemerkbar. Die greifen wieder auf Extremes - ein wiederkehrendes Phänomen in Zeiten der Revolution. Die Jungen, die Generation Z, gehen freitags auf die Straße, demonstrieren und boykottieren – auch am Kopf!

Und wohin geht es mit der omnipräsenten Balayage?
AH:
Die Balayage ändert sich genauso, so wie jedes Styling ein Ablaufdatum hat. Im Moment kannst du die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, weil der Instagram Feed der Friseure gleich aussieht: Balayage Look und Haare, die von hinten mit dem Lockeneisen bearbeitet werden. Gerade der Farbmarkt bringt so eine Vielfältigkeit und derjenige, der es vorleben müsste, ist der Friseur!
Friseure brauchen in den nächsten Jahren viel mehr Fachwissen, um die zukünftigen Kunden-Wünsche umzusetzen und das muss Face-to-Face passieren.  

"Die Look-Änderung von Dunkel auf Monroe-Blond hat sich über mehrere Wochen gezogen und dazwischen wurde auf Perücken zurückgegriffen."

Wie werden die zukünftigen Looks aussehen?
AH:
Es wird rotziger und die 70er Jahre kommen wieder zurück – auch in Form von uniform gefärbten Köpfen: natürlich gefärbt oder total gebleacht in Blond oder Retro-Blond-Tönen. Der damalige Billie Eilish Look ist so ein Beispiel. Das war eine mords Farbkorrektur. Ihr Hairstylist Benjamin Mohapi hat das selbst geschildert: Man kann nicht zaubern. Die Look-Änderung von Dunkel auf Monroe-Blond hat sich über mehrere Wochen gezogen und dazwischen wurde auf Perücken zurückgegriffen.
Außerdem habe ich im Moment auch eine große Nachfrage an Entfärbungen. D.h. Menschen, die sich jahrelang gefärbt haben, mache ich weiß bzw. grau.

Grau-Looks sind noch immer ein kontroverses Thema, oder?
AH:
Ich war am Wochenende bei einer Veranstaltung mit Kollegen und da hat mich jemand darauf angesprochen: „Bist du bescheuert, du machst Kunden zu Nichtfärbern!“. Im Gegenteil: Die Kunden haben ein viel cooleres Gefühl, weil sie nicht mehr in der Abhängigkeit sind im 14 Tagen-3 Wochen Takt nachzufärben. Ich finde es total gut, unabhängig von Haarfarben zu sein. Die Kunden kommen trotzdem, damit das Haar schön kühl und leuchtend bleibt. Für den Salz und Pfeffer Effekt kommen dann immer wieder ein paar dunkle Strähnen rein. Viele glauben, Graue Haare sind ein Kleinding, aber das ist Quatsch. Du musst halt Haarefärben können, um solche Kunden nicht als Farbkunden zu verlieren.

Welche Fehler machen KollegInnen bei Farbkorrekturen?
AH:
Ich will mir hier nicht anmaßen, Fehler bei anderen Friseuren zu finden, aber es muss schon klar sein: Wenn du eine Korrektur machst, dann kostet das Geld. Es muss einem bewusst sein, wie viel Zeit und Produkt man in eine Korrektur investiert. Die kann man nicht einfach so zwischendrin annehmen. Es braucht außerdem Selbstbewusstsein, um zu sagen, was funktioniert und was nicht. Oft werden Dinge versprochen, die man gar nicht halten kann. Wichtig ist auch, die Kundin wissen zu lassen, was sie dafür tun muss, damit das gewünschte Ergebnis erreicht wird.

Was empfiehlst du bei Reklamationen?
AH:
Das passiert - auch mir. Da muss man wirklich lernen, damit umzugehen. Mein früherer Chef bei Wella hat immer gesagt: „An jedem Stück Haar hängt auch ein Stück Mensch dran“, der hat Gewohnheiten und Vorstellungen und manchmal passieren Dinge, die du dir zwar nicht erklären kannst, aber womit du souverän umgehen musst.
Wenn du am Waschbecken schon merkst, dass es nicht so aussieht, wie gewünscht, dann ist es wichtig, dass du keine Panik und Angst kriegst. Das Schlimmste ist, wenn man so tut, als wäre nichts passiert oder wenn man versucht, sich rauszureden. Meine Güte, wir sind alle Menschen.
Man muss einfach ein gutes Gefühl haben, wer da vor dir sitzt bei der Beratung. Deswegen auch 5 Minuten mehr in Fragen oder Zuhören investieren, als nachher zu sagen „Oh mein Gott“.

"... nach „kaputt“ kommt „ab“."

Gibt es auch Farbkorrektur-Wünsche, die du ablehnst?
AH:
Wenn die Haarstruktur zerstört ist, kann ich auch nichts mehr machen, denn nach „kaputt“ kommt „ab“. Ich entscheide wirklich an der Haarstruktur, ob ich die Korrektur mache. Wenn die passt, dann lehne ich kaum etwas ab. Da ist ja auch der Nervenkitzel für mich. Es gibt auch Momente, in denen ich mir manchmal in den Arsch beiße und mich frage: „Warum machst du das?!“ (lacht)

Angenommen ich hab eine klassische Folien-Strähnen Kundin und sie möchte einen Balayage Look. Hast du Tipps und Tricks zum Punkt Farbkanten ausbessern?
AH:
Zu einer Kundin, die Foliensträhnen gewohnt ist und die ein weicheres, natürlicheres Farbergebnis möchte, bin ich ganz ehrlich: „Bis ich meine Handschrift in der Farbe erkenne, brauche ich dich ein paar mal am Stuhl.“
Viele bearbeiten die Ansätze bei einer Balayage chemisch. Dann wird das in 6 bis 8 Wochen komisch. Wenn die Ansätze dann angeknackt sind, dann geht das über rot oder orange und das sieht nicht gut aus.
Du kannst aber mit einem soften Rootfading tricksen.

Wie gehst du beim Dunkelfärben vor? Pigmentierst du die Haare vor?
AH:
Das kann man nicht pauschal sagen, denn das kommt auf die Haarstruktur an. Im Grunde lass ich die Finger von Farben und greife auf Tönungen, Direktzieher oder Intensivtönung. Auf jeden Fall pigmentiere ich immer mit reduziertem Wasserstoffperoxyd vor. Ich finde es ist wichtig, dass die Kunden lernen, dass es nicht so einfach ist von Blond auf Braun zu kommen. Kunden müssen mitarbeiten, zum Beispiel mit Farbmasken zu Hause, sie müssen zwischendurch kommen, damit ein Glaze drauf kommt. Das sage ich der Kundin, dass das ein längerer Prozess ist. Es gibt Farbgesetze, die ich nicht ändern kann.

Wie gehst du mit Grünstich nach dem Sommer vor?
AH:
Wenn es sich um einen klassischen Poolunfall handelt, hilft eine Aspirin+C Haarwäsche. Das kann man den Kunden für eine Heimanwendung empfehlen. Wenn das aber gar nicht hilft, dann machst du eine ganz softe Blondierwäsche im Laden.

" ... du musst abrechnen, wenn die Kundin an der Kasse steht und nicht vorher!"

Welche Preise verrechnest du für eine Farbkorrektur?
AH:
Es ist schwierig zu sagen, was der Preis ist. Es kostet was es kostet und du musst abrechnen, wenn die Kundin an der Kasse steht und nicht vorher!
 

Danke dir, Andrea, für das spannende Gespräch und alles Liebe für die Zukunft!